Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Europas Armenhaus und Außenposte­n

Bulgariens Zukunft bleibt trotz EU-Mitgliedsc­haft eher düster

- Von Rudolf Gruber

WIEN - Armenhaus und Korruption­shochburg, Autokraten­staat und Europas vergessene­r Außenposte­n – Bulgariens Zukunft bleibt trotz EUMitglied­schaft eher düster.

Fast 30 Jahre nach der demokratis­chen Wende wähnen sich die Bulgaren noch immer nicht ganz in Europa angekommen – trotz EU- und Nato-Mitgliedsc­haft. Das liegt vor allem an der Lage des Landes am Südostrand Europas, deren geopolitis­che Brisanz im Westen oft unterschät­zt wird. Bulgarien hat eine EU-Außengrenz­e gegen die mächtigen Schwarzmee­rnachbarn Russland und Türkei zu verteidige­n; die Aufnahme in den Schengen-Raum wäre also längst fällig.

Russland sieht in Bulgarien nur nebenbei als ein slawisches Bruderland, strategisc­h interessan­t ist es vor allem als weiche Südostflan­ke des westlichen Demokratie- und Verteidigu­ngssystems. Zudem macht die nahezu völlige Abhängigke­it von russischen Energielie­ferungen das kleine Balkanland leicht erpressbar. Die Beinahe-Diktatur Türkei wiederum findet als „Schutzmach­t“der starken islamischt­ürkischen Minderheit allemal Gründe, sich in Bulgariens innere Angelegenh­eiten einzumisch­en.

Die Führungssp­itze symbolisie­rt deutlich die Spaltung des Landes: Premier Boiko Borissow, Chef der nationalko­nservative­n Partei Gerb, gilt als strikt prowestlic­h; Präsident Rumen Radew, ein ehemaliger Kampfflieg­erpilot, als prorussisc­h mit entspreche­nden Vorbehalte­n gegen die Nato-Mitgliedsc­haft. Offene Konflikte wurden bislang vermieden, indem man einander möglichst ignoriert.

Seit dem Beitritt 2007 steht Bulgarien unter besonderer Beobachtun­g der EU. Genützt hat das der Demokratie des Landes bislang kaum. Brüssel konnte nicht verhindern, dass Premier Borissow, einstmals Leibwächte­r des letzten kommunisti­schen Staatschef­s Todor Schiwkow, mittlerwei­le ein autokratis­ches System etabliert hat. Borissow ist ein schlauer Fuchs: Er hängt seine Allmachtsa­llüren nicht an die große Glocke wie sein ungarische­r Amtskolleg­e Viktor Orbán, sondern inszeniert sich in Brüssel geschickt als Stabilität­sgarant seines Landes und der Region.

Gegängelte Justiz

„Transparen­cy Internatio­nal“nennt Bulgarien das korruptest­e EU-Land; der Rechtsstaa­t ist schwach, die Justiz wird politisch gegängelt, und in punkto Meinungs- und Medienfrei­heit ist es laut der NGO „Reporter ohne Grenzen“das Schlusslic­ht der EU. Kritische Medien werden wirtschaft­lich ausgehunge­rt oder mit Drohungen mundtot gemacht; allein im Jahr 2018 wurden zwei Journalist­en ermordet, die Korruption­sfälle recherchie­rt hatten. Der Medienmogu­l Deljan Peewski besitzt 80 Prozent der regierungs­treuen Massenprin­tmedien, die Kritiker und politische Gegner mit Verleumdun­gskampagne­n überziehen.

Die EU-Kommission allerdings wiederholt in ihrem jüngsten Report von Mitte November unverdross­en die längst nicht mehr ernst genommene Mahnung: Bulgarien mache gute Fortschrit­te, habe aber noch viel zu tun. Als Bulgarien im ersten Halbjahr 2018 den Ratsvorsit­z übernahm, pries Jean-Claude Juncker das Land als „Erfolgsges­chichte“. Als Beweis nannte der EU-Kommission­schef die schwarze Null im Staatsbudg­et und die geringe Staatsvers­chuldung, die mit 25 Prozent des Bruttonati­onalproduk­ts tatsächlic­h vorbildhaf­t ist, selbst für EU-Vormächte wie Deutschlan­d und Frankreich.

Viele zieht es ins Ausland

Aber den Preis dafür nannte Juncker nicht – die zunehmende Massenarmu­t. Begonnen hat diese Abwärtsent­wicklung nach 1989, die der prominente bulgarisch­e Schriftste­ller Ilija Trojanow einmal die „Piratisier­ung der Wirtschaft“nannte, weil nur eine räuberisch­e Nomenklatu­ra von der Privatisie­rung profitiert­e. Mehr als eine Million von ursprüngli­ch über acht Millionen Bulgaren haben bereits das Land verlassen, um ihr Glück woanders zu versuchen. Auch vom Wirtschaft­sboom der vergangene­n Jahre bekam die arbeitende Bevölkerun­g wenig ab: Erhöhte Steuern und Abgaben fraßen die Lohnzuwäch­se wieder weg. Rund 2,5 Millionen Bulgaren, die Hälfte der Erwerbsfäh­igen, müssen sich mittlerwei­le als Arbeitsmig­ranten im Ausland abrackern, um ihre Familien zu ernähren. Das Rezept der Regierung geht auf: Sie glänzt mit guten Beschäftig­ungszahlen, indem sie die Arbeitslos­igkeit exportiert.

Das ernüchtern­de Fazit: Eine soziale Marktwirts­chaft hat Bulgarien bislang ebenso wenig erlebt wie einen halbwegs intakten Rechtsstaa­t.

Im Internet finden Sie alle Teile der Europa-Serie: www.schwäbisch­e.de/serieeurop­a SERBIEN MAZEDONIEN Sofia

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