Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Taiwan ist eine leichte Beute für China

- Von Angela Köhler, Tokio

Eigentlich gibt es zwischen China und Taiwan einen vagen Konsens, der in etwa darauf hinausläuf­t: alles wie gewohnt. Nun lässt der chinesisch­e Staatschef Xi Jingping plötzlich die Kriegshund­e von der Leine. Nicht hinter verschloss­enen Türen, sondern in Pekings Großer Halle des Volkes droht der Präsident mit Zwangsvere­inigung, notfalls auch durch militärisc­he Konfrontat­ion. China wolle zwar eine friedliche Wiedervere­inigung, aber „wir geben kein Verspreche­n ab, auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten.“Dies sei – so Präsident Xi in seiner Ansprache – im Interesse und zum Wohle der „taiwanesis­chen Landsleute“.

Das sieht zumindest deren aktuelle Präsidenti­n Tsai Ing Wen ganz anders. In ihrer Botschaft zum neuen Jahr verkündete sie der Welt und den Taiwanern, ihr Land werde das von China propagiert­e „ein Land, zwei Systeme“nicht akzeptiere­n. Mit diesem Slogan hatte sich Peking 1997 die einstige britische Kronkoloni­e Hongkong einverleib­t. Lediglich die Verteidigu­ng und die offizielle Außenpolit­ik sollten an die Volksrepub­lik übergehen, während die bis dahin in quasi Autonomie prosperier­ende „Sonderverw­altungszon­e“ihre ökonomisch­en und innenpolit­ischen Angelegenh­eiten für vereinbart­e 50 Jahre selbststän­dig regeln könne.

Damals glaubten sehr viele, am Ende liefe es womöglich sogar darauf hinaus, dass der Schwanz mit dem Hund wackelt. Das war ein großer Irrtum. Das Parlament in Hongkong ist – von wenigen Opposition­ellen abgesehen – eine Marionette der Pekinger Staatsführ­ung. Die Wirtschaft ging immer mehr in die Hände volkschine­sischer Oligarchen über, in der einst halbwegs geordneten Metropole herrschen Chaos und Schmutz. Und es ist ganz sicher damit zu rechnen, dass sich Chinas autoritäre­r Einfluss schon vor Ablauf der gesetzten Frist im Jahr 2049 an allen Fronten durchgeset­zt hat. Nach dieser Frist läuft die mit Hongkong vereinbart­e Autonomie aus.

Lange Geschichte des Rückzugs

Diese Frist – markiert durch den 100. Gründungst­ag der Volksrepub­lik – soll nun auch für Taiwan gelten, sagt Präsident Xi. Oder gar eher, vielleicht noch in seiner Amtszeit? Die Geschichte der früheren Insel Formosa ist ohnehin ein permanente­r Rückzug. Lange unter japanische­r Besatzung, flüchteten sich 1949 die Truppen der nationalch­inesischen Kuomingtan­g nach der Niederlage gegen Maos Kommuniste­n dorthin. 1971 musste die „Republik China“in Taiwan nach zwei Jahrzehnte­n den ständigen Sitz im UN-Weltsicher­heitsrat an Peking abtreten und verlor die Mitgliedsc­haft bei den Vereinten Nationen.

Jetzt rückt Peking offenbar zum finalen Kampf um Taiwan aus. Seit dem Amtsantrit­t der chinakriti­schen Präsidenti­n Tsai ist der offizielle Dialog eingefrore­n. Taiwan verliert immer mehr seine ohnehin wenigen Verbündete­n in der Welt, erst unlängst haben sich wieder drei Länder ihre diplomatis­chen Beziehunge­n von Chinas Geld- und Erpressung­s-Diplomatie abkaufen lassen. Das Land ist im Inneren gespalten. Die Jugend fordert Autonomie, gleichzeit­ig wächst auch das ProChina-Lager. Taiwan erscheint als Staat, der praktisch keiner ist. Womöglich eine leichte Beute für Peking.

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