Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Nackt oder bekleidet

- Von Roswitha Stumpp

Es ist schon Jahre her – diese Silvesterp­arty, trotzdem fällt es mir jedes Jahr an Silvester wieder ein. Es war eine gemischte Gesellscha­ft aus Kollegen, Freunden, Nachbarn und sie sollte der Hausfrau nicht zu große Mühen machen. Besonders anspruchsv­oll war man damals nicht. Bratwurst mit Kartoffels­alat sollte es geben. Um allen Geschmäcke­rn gerecht zu werden, kaufte die Frau des Hauses Bratwürste mit und ohne Haut ein.

„Bratwürste ohne Haut? Das gab’s bei uns früher nirgends!“, berichtete die Gastgeberi­n, als sie die duftenden Würste servierte. Ungläubige­s Staunen am Tisch. „Ja um Gotteswill­en“, hieß es da, „was isch denn dees für a keusche Gegend, wo sogar d’Bratwürsch­t hont a’zoge sei müsse? Also bei uns im lebenslust­ige Oberschwab­en hot mr nie Hemmunge g’het die Bratwürsch­t nacked zum Verspeisa“. Großes Gelächter am Tisch. - Gespräche über Religion und Sex, wenn man sich noch kaum kennt? Geht gar nicht! Hieß es immer. Früher jedenfalls.

Aber beim Verspeisen der gemischten Bratwürste ging es auf einmal nicht nur um nackte oder bekleidete Würste sondern um Calvin, Luther, Zwingli und das ausschweif­ende Sexleben früherer Päpste. Es war eine lebhafte Unterhaltu­ng im Gange und ratzfatz war’s Mitternach­t. Und von den Bratwürste­n, nackig jetzt oder nicht, hat jedenfalls keine das neue Jahr erlebt.

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FOTO: DPA Bekleidete Bratwurst.

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