Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Nackt oder bekleidet
Es ist schon Jahre her – diese Silvesterparty, trotzdem fällt es mir jedes Jahr an Silvester wieder ein. Es war eine gemischte Gesellschaft aus Kollegen, Freunden, Nachbarn und sie sollte der Hausfrau nicht zu große Mühen machen. Besonders anspruchsvoll war man damals nicht. Bratwurst mit Kartoffelsalat sollte es geben. Um allen Geschmäckern gerecht zu werden, kaufte die Frau des Hauses Bratwürste mit und ohne Haut ein.
„Bratwürste ohne Haut? Das gab’s bei uns früher nirgends!“, berichtete die Gastgeberin, als sie die duftenden Würste servierte. Ungläubiges Staunen am Tisch. „Ja um Gotteswillen“, hieß es da, „was isch denn dees für a keusche Gegend, wo sogar d’Bratwürscht hont a’zoge sei müsse? Also bei uns im lebenslustige Oberschwaben hot mr nie Hemmunge g’het die Bratwürscht nacked zum Verspeisa“. Großes Gelächter am Tisch. - Gespräche über Religion und Sex, wenn man sich noch kaum kennt? Geht gar nicht! Hieß es immer. Früher jedenfalls.
Aber beim Verspeisen der gemischten Bratwürste ging es auf einmal nicht nur um nackte oder bekleidete Würste sondern um Calvin, Luther, Zwingli und das ausschweifende Sexleben früherer Päpste. Es war eine lebhafte Unterhaltung im Gange und ratzfatz war’s Mitternacht. Und von den Bratwürsten, nackig jetzt oder nicht, hat jedenfalls keine das neue Jahr erlebt.