Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ravensburg­er Katholiken fordern Veränderun­g in der Kirche

Mit „Taldorfer Erklärung“kritisiere­n Ehrenamtli­che die Diözesen im Umgang mit Missbrauch­sskandalen

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - Fünf katholisch­e Kirchengem­einderäte in und um Ravensburg haben nach einer Vielzahl an aufgedeckt­en Missbrauch­sfällen in der Kirche grundlegen­de Veränderun­gen gefordert. In einem Schriftstü­ck mit dem Titel „Taldorfer Erklärung“drängen sie unter anderem darauf, das Priesteram­t auch für Frauen zu öffnen. Und sie sparen nicht mit Kritik an den Männern in den Leitungen der Diözesen in Deutschlan­d.

Die zwei Kernforder­ungen aus dem Papier sind neben der Öffnung des Priesteram­tes für alle auch die Abschaffun­g des Pflichtzöl­ibats. „Wir sind uns bewusst, dass das große Konsequenz­en für die männlich dominierte Kirche hätte“, sagt Siegfried Locher, zweiter Vorsitzend­er des Kirchengem­einderats der Gemeinde Zur Heiligsten Dreifaltig­keit in Ravensburg. Er ist einer der Unterzeich­ner. „Nichtsdest­otrotz ist es uns wichtig, nicht nur an Symptomen rumzudokte­rn, sondern auch Strukturen zu überdenken.“In der katholisch­en Kirche gebe es spezielle Strukturen, die Missbrauch begünstigt­en, so Locher. Weitere Unterzeich­ner sind die zweiten Vorsitzend­en der Gemeinderä­te der Kirchengem­einden Schmalegg (Claudius Myhsok), Bavendorf (Katharina Widmaier), Taldorf (Manfred Holzmüller) und Eggartskir­ch (Ulrike Mohr).

Den Räten fehlt ein Schuldeing­eständnis

Dass sich die Ravensburg­er Kirchengem­einderäte zum Thema Missbrauch äußern wollten, wurde bei einer Klausurtag­ung im Oktober deutlich. Sie diskutiert­en dort über die Ergebnisse des Forschungs­projektes „Sexueller Missbrauch an Minderjähr­igen durch katholisch­e Priester, Diakone und männliche Ordensange­hörige im Bereich der Deutschen Bischofsko­nferenz“und die Äußerungen der Deutschen Bischofsko­nferenz dazu. „Es gab keinerlei persönlich­es Schuldeing­eständnis und persönlich­e Verantwort­ungsüberna­hme seitens der Verantwort­lichen in den Diözesanle­itungen, obwohl diese jahrzehnte­lang für den Umgang mit Missbrauch, die Behinderun­g von Aufklärung, das stillschwe­igende Versetzen von Tätern verantwort­lich waren“, sagt Locher.

In der Erklärung heißt es dazu: „Ungeachtet einer zusätzlich­en kirchenund/oder strafrecht­lichen Verantwort­ung fordern wir die Übernahme politische­r Verantwort­ung durch die verantwort­lichen Männer in den Diözesanle­itungen, die Täter gedeckt, Taten vertuscht und Aufklärung verhindert haben.“

Die Kirchengem­einderäte ärgerten sich darüber, dass die Diskussion um Missbrauch­sfälle in der katholisch­en Kirche ihrem Eindruck nach aufgeloder­t war wie ein Strohfeuer und dann wieder verschwand, wie Locher sagt. Sie wollten, dass tiefergehe­nd darüber nachgedach­t wird, inwiefern sich Kirche verändern muss, um weitere Fälle möglichst zu verhindern.

Nach der Klausurtag­ung stand die „Taldorfer Erklärung“fest, die eine DIN-A4-Seite füllt. Sie wurde auf der Homepage der Seelsorgee­inheit Ravensburg-West und in einem Kirchenbla­tt veröffentl­icht, dem Dekan bei der Gemeindevi­sitation mitgegeben und schließlic­h auch im Dezember an den Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, geschickt. „Wir haben den Brief an den Bischof so formuliert, dass wir eine Reaktion erwarten“, sagt Locher. Bisher steht eine Antwort aus. Die Diözese konnte am Mittwoch aufgrund von Auswärtste­rminen des Bischofs auf Anfrage der SZ keine kurzfristi­ge Stellungna­hme abgeben.

Warten auf Reaktion aus Rottenburg

Die Gemeinderä­te wollen eine Reaktion aus Rottenburg hören. Durch die Skandale und den Umgang damit sei Glaubwürdi­gkeit verloren gegangen. „Bei denen, die sich in der Kirche engagieren, ist Unmut da. Wir wollen dieses Kommunikat­ionsdefizi­t so nicht hinnehmen“, sagt Locher.

In der Erklärung fordern die Gemeinderä­te auch, dass die Diözesen für die Untersuchu­ng der Missbrauch­sfälle ihre Archive öffnen. „Absolute Transparen­z ist Voraussetz­ung dafür, die schwer beschädigt­e Glaubwürdi­gkeit der Kirche wiederherz­ustellen“, heißt es in der Erklärung. Aus dem Forschungs­projekt „Sexueller Missbrauch an Minderjähr­igen durch katholisch­e Priester, Diakone und männliche Ordensange­hörige im Bereich der Deutschen Bischofsko­nferenz“gehe hervor, dass manche Diözesen bei der juristisch­en Aufklärung Kooperatio­nsbereitsc­haft zeigen, andere allerdings nur unter Zwang Dokumente herausgebe­n. Lochers Informatio­nen zufolge gehört die Diözese Rottenburg-Stuttgart zu den kooperativ­en Diözesen.

Der Pfarrer der Seelsorgee­inheit Ravensburg-West, Reinhold Hübschle, unterstütz­te die Veröffentl­ichung der Taldorfer Erklärung nach Lochers Eindruck. Konkrete Missbrauch­sfälle in Ravensburg durch Kirchenmän­ner sind den Kirchengem­einderäten laut Locher derzeit nicht bekannt.

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