Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Gewalt wird unterschiedlich wahrgenommen
Die öffentliche Debatte dreht sich derzeit um prügelnde Asylbewerber in Amberg – trotz der Amokfahrt in Bottrop
BERLIN (dpa) - Ein deutscher Rassist will im Ruhrgebiet Menschen überfahren, die er aufgrund ihres Äußeren für Ausländer hält. In Bayern sollen vier betrunkene junge Asylbewerber aus Afghanistan und Iran ohne Anlass zwölf Passanten mit Schlägen und Tritten traktiert haben. Obwohl die Ermittler im ersten Fall von einer Mordabsicht ausgehen, dreht sich die Debatte vor allem um den zweiten Fall. Warum ist das so?
Ein Grund ist sicher die verworrene Motivlage im Fall von Andreas N. (50) aus Essen. Zwar gibt es nach seiner Vernehmung wohl keinen Zweifel mehr, dass Rassismus hier eine Rolle gespielt hat. Es gibt aber auch Hinweise auf persönliche Probleme des Täters und auf eine frühere psychotische Erkrankung. Der Arbeitslose soll nicht im rechtsextremen Milieu verkehrt haben. Allerdings ging auch die enorme Zunahme der Attacken auf Unterkünfte für Asylbewerber im Jahr 2016 nicht allein auf Aktivitäten organisierter Rechtsextremisten zurück. In einigen Fällen wurden auch unbescholtene Bürger als Tatverdächtige ermittelt. Sie hatten eine Ansiedlung von Asylbewerbern in ihrer Umgebung um jeden Preis verhindern wollen – und dafür zum Teil sogar Menschen in Lebensgefahr gebracht.
Ein weiterer Grund ist aus Sicht von Experten die persönliche Betroffenheit. „Bei einer Attacke wie in Bottrop, die sich gegen Ausländer oder vermeintliche Ausländer richtet, fühlt sich die Mehrheit der Deutschen nicht persönlich betroffen. Denn die Angst, selbst Opfer einer solchen Tat zu werden, ist für sie gering“, sagt der Soziologe Alexander Yendell, einer der Autoren einer Langzeitstudie der Universität Leipzig zum Autoritarismus.
Zwei Denkschulen
Ganz anders in Amberg. Bei Straftaten, die von Zuwanderern verübt werden, gibt es zwei Denkschulen. Die erste Gruppe ist der Ansicht, dass jede Straftat eines Zuwanderers hätte verhindert werden können – dadurch, dass er gar nicht erst ins Land gekommen wäre. Ob es sich bei Straftätern um abgelehnte Asylbewerber oder anerkannte Flüchtlinge handelt, spielt da keine Rolle. Die AfD etwa spricht in ihren Verlautbarungen von „Migrantengewalt“und „Asyl-Kriminellen“.
Die zweite Gruppe sagt im Prinzip: Wenn mehr Menschen im Land sind, führt das auch zu mehr Kriminalität, das ist logisch und nicht weiter schlimm. Um eine verzerrte Wahrnehmung zu verhindern, verlangen vor allem Politiker der Linkspartei, der Grünen und der SPD, das Augenmerk mehr auf die Asylbewerber zu richten, die gut integriert sind.
Wenn Menschen, die als Fremde wahrgenommen werden, Straftaten verüben, weckt das Ängste und Ressentiments. Zudem entstünde „dann schnell das Gefühl, es seien auch unsere Werte, unsere Gesellschaft und die eigene Weltsicht in Gefahr“, sagt Yendell. „Solche Bedrohungsgefühle werden von bestimmten Parteien wie der AfD und Gruppierungen wie Pegida dann auch noch verstärkt.“
Der Fremde, erklärt er, wird zum Sündenbock. Die eigenen Ängste und die eigene Wut würden auf diese als fremd empfundenen Menschen projiziert. Für Yendell ist der Gründer des fremdenfeindlichen Pegida-Bündnisses, Lutz Bachmann, ein gutes Beispiel. Jemand, „der ständig über kriminelle Zuwanderer spricht und selbst ein langes Vorstrafenregister hat“.