Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Die Ungarn haben wieder einen König
Die schillernde Donau, die durch die Stadt fließt; die weltberühmte Kettenbrücke mit den Triumphbögen an beiden Enden; das prächtige Parlament, das am rechten Ufer wie ein gigantischer Diamant funkelt – die Aussicht vom Burgberg auf Budapest bietet ein Panorama, wie es ein absoluter Herrscher liebt. Seit Jahresbeginn ist Viktor Orbán der neue Herr auf der Budaer Burg. Der Premierminister ließ das ehemalige Karmeliterkloster innerhalb der weitläufigen Burganlage für rund 65 Millionen Euro zum Regierungssitz umbauen. Der Burgberg war einst Sitz der ungarischen Könige – Orbáns Botschaft: Ich bin euer neuer König. Jetzt kann er auf das ungeliebte Parlament herabschauen.
Auf eine Krönung wird der 55-jährige Premier wohl verzichten. Die Oppositionspartei Párbeszéd macht sich trotzdem über Orbáns „Versuch, die Monarchie zu restaurieren“, lustig.
Auch dass der autoritäre Reichsverweser Miklós Horthy von 1920 bis 1944 vom Burgberg herab herrschte, stört Orbán kein bisschen: Seit einiger Zeit verklärt die Staatsführung den einstigen Verbündeten HitlerDeutschlands, unter dessen Regime fast eine halbe Million ungarische Juden nach Auschwitz deportiert wurden, als Nationalhelden. Orbán lässt überall Statuen aus der Horthy-Ära errichten, sogar vor dem Parlament.
Die Regierung war bislang quasi Untermieter des Parlaments; Exekutive und Legislative unter einem Dach sei „für eine Demokratie eine unhaltbare Situation“, sagt Kanzleramtsminister Gergely Gulyás. Die Gewaltenteilung ist dennoch praktisch aufgehoben, die Macht konzentriert sich in der Regierung und in der Zentrale des nationalkonservativen Partei Fidesz. Dazu ernennt sich der Premier selbst zum einzigen noch authentischen Christdemokraten innerhalb der EU, zum letzten Verteidiger des christlichen Abendlands gegen linke und liberale Feinde, gegen Migranten aus „unchristlichen“Ländern sowieso.
Flucht vor dem Volkszorn
Orbáns Gegner sehen es freilich weniger pathetisch: Sie nennen ihn „Viktator“und sehen in Orbáns Umzug auf die Budaer Burg eher eine Flucht vor dem wachsenden Volkszorn. Dort oben lässt sich das Machtzentrum leicht von Sicherheitskräften abschirmen. Medien spekulieren, ob nach Pekinger Vorbild auch in Budapest eine „verbotene Stadt“ausgerufen wird.
Nach der Feiertagspause riefen für dieses Wochenende Gewerkschaften, Bürgerbewegungen, NGOs und die kraftlosen Oppositionsparteien zum Widerstand auf. Entzündet haben die jüngste Protestwelle Einschränkungen von Arbeitnehmerrechten zugunsten von Arbeitgebern. Den Ungarn wird ab Neujahr Mehrarbeit bei gleichzeitigem Einkommensschwund zugemutet, weshalb sie die Rücknahme dieses „Sklavengesetzes“fordern. Die Regierung stimmte der Erhöhung des Mindestlohns um acht Prozent auf rund 460 Euro zu. Die Demonstranten fordern jedoch eine generelle Erhöhung der Löhne um über zehn Prozent.
Mit dem neuen Arbeitsgesetz dürfte Orbán, der seit 2010 regiert und erst vergangenen April einen fulminanten Wahlsieg gefeiert hatte, sein Machtspiel überreizt haben. Immer mehr Menschen, vor allem junge, sagen dem „System Orbán“den Kampf an – gegen Korruption, die Zerstörung der Demokratie, die politische Gängelung der Justiz, die Knebelung der Medien. „Wenn die Regierung eines Landes ihr eigenes Volk verrät, ist die Zeit reif für Meuterei“, heißt es in einem martialischen Aufruf.