Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Tettnanger Amtsgericht verurteilt aggressiven Stalker
14 Monate auf Bewährung für Körperverletzung und Beleidigung
FRIEDRICHSHAFEN (sig) - Am dritten Hauptverhandlungstag – es ging um Körperverletzung, Beleidigung und Bedrohung – hat das Amtsgericht Tettnang am Montag einen 25Jährigen zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten auf Bewährung verurteilt. Außerdem muss der junge Mann 120 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Am 20. März tritt er eine Therapie in einer Fachklinik für suchtkranke Männer an.
Freigesprochen wurde der Angeklagte vom Vorwurf des versuchten Raubes. Zu verdanken hat er das dem Zeugen, der am Sonntagabend von der Polizei festgenommen wurde, nachdem er zu einem vorherigen Aussagetermin nicht erschienen war. Am Montag wurde er von den Beamten vorgeführt, wollte sich aber kaum mehr erinnern und leistete sich Unverschämtheiten, die ihn knapp an einer Anklage wegen Falschaussage vorbeischrammen ließen. Es könne sein, dass der ehemalige Mitbewohner und Angeklagte mit einem Brotmesser vor seinem Gesicht herumgefuchtelt habe, ließ er sich gelangweilt vernehmen. Ob das Absicht gewesen sei, wisse er nicht mehr.
Tatsächlich hatte er im Sommer 2017 wegen dieses Messerangriffs die Polizei gerufen und vor den Beamten Anzeige erstattet. Fragen des Gerichts beantworte er mit Gegenfragen. „Bin ich jetzt angeklagt oder Zeuge?“, ätzte der 22-Jährige fast liegend auf dem Zeugenstuhl gegen den Vorsitzenden Richter Martin Hussels-Eichhorn. Angeklagter und Zeuge hatten drei Monate konfliktträchtig zusammengewohnt, gemeinsam Drogen konsumiert und waren zum Beschaffen auch schon mal nach Holland gefahren.
Dem Angeklagten wurde vor allem Stalking vorgeworfen. Er zeigte sich geständig, eines Morgens vor dem Sechsfamilien-Haus einer 21- Jährigen in Friedrichshafen gestanden, mehrfach auf deren Klingel gedrückt, Steine gegen ein Fenster ihrer Wohnung geworfen, wirres Zeug geredet und sie aufgefordert zu haben, „komm raus, komm raus, ich bringe dich zu deinen Kindern“. Kinder hat die 21-Jährige nicht. Auch kannte sie den Mann nicht. Sie rief die Polizei. Die kam und nahm ihn mit. Doch er kehrte zurück. Die Frau hat heute noch Angst vor ihm.
Der Angeklagte wusste auch, dass die Frau ein halbes Jahr in einem Supermarkt im Bodenseekreis an der Kasse saß. Mit dem Fahrrad fuhr er hin, kaufte sich eine eineinhalb Liter Flasche Wasser und stellte sich in die Kassenschlange. Als ihn die junge Frau sah, geriet sie in Panik, rief Kollegen und den Filialleiter. Als dieser kam und den Mann mit Unterstützung eines Kunden hinauskomplimentieren wollte, wurde der Angeklagte handgreiflich. Er schlug dem Filialleiter das Telefon aus der Hand und die Brille weg, traf ihn mit der Wasserflasche ins Gesicht und an der Schulter, spuckte ihn an. Noch ehe die herbeigerufene Polizei eintraf, saß er wieder auf seinem Fahrrad, radelte davon - und kam wieder in den Supermarkt zurück. Er warf 27 Cent für die Flasche Wasser auf den Boden und beschimpfte den Filialleiter mit den Worten: „Was willst du von mir, du Penner“. Einen angesetzten Schlag auf den Marktleiter konnte dieser abwehren.
Der Mann habe aus Frust gehandelt, entschuldigte sich der mit Drogen und Alkohol befreundete Angeklagte und in der Psychiatrie nicht Unbekannte im November. Aus Frust darüber, dass die 21-Jährige, die er liebte, nichts von ihm wissen wollte. Warum er der jungen Frau zur Arbeitsstelle gefolgt sei, wisse er nicht mehr, ihm sei oft langweilig, ließ er sich damals vernehmen.
Der Sachverständige sah die Ein- sichtsfähigkeit des Angeklagten nicht beeinträchtigt, trotz dessen Brüchen in seiner Biografie, psychischen Problemen aufgrund des Drogenkonsums und einer hohen persönlichen Unsicherheit. Auch eine Schizophrenie liege nicht vor. Dagegen ein Hang zur Sucht, auch wenn der 25-Jährige eigenen Angaben zufolge seit einem halbe Jahr von Drogen und Alkohol lasse. Die vorgeworfenen Taten stünden nicht im direkten Zusammenhang mit dem damaligen Drogenkonsum, sagte der Gutachter.
Wegen Beleidigung, vor allem in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, verurteilte das Amtsgericht den Angeklagten zu insgesamt 14 Monaten Freiheitsstrafe, auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Nicht zuletzt wegen der anstehenden Drogentherapie, die er nicht abbrechen darf, prognostizieren Gutachter, Betreuer und Gericht dem Verurteilten eine positive Entwicklung. Auflage des Gerichts ist weiterhin ein Kontaktverbot zu der jungen Kassiererin aus dem Supermarkt, die heute noch unter den Nachstellungen leidet.
Verteidigung und Staatsanwaltschaft nahmen das Urteil an, das damit rechtskräftig ist.