Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Verfassung­sschutz nimmt AfD ins Visier

Partei zum Prüffall erklärt – Viel Zustimmung, Gauland und Weidel reagieren empört

- Von Katja Korf, Sabine Lennartz und unseren Agenturen

BERLIN/STUTTGART - Das Bundesamt für Verfassung­sschutz (BfV) nimmt die AfD stärker unter die Lupe. Behördench­ef Thomas Haldenwang erklärte die Partei, die im Bundestag und allen 16 Landtagen vertreten ist, am Dienstag zum Prüffall. Er sieht aber die Schwelle zu einer Beobachtun­g mit V-Leuten und Telefonübe­rwachung noch nicht erreicht. Noch genauer hinschauen will der Inlandsgeh­eimdienst beim rechtsnati­onalen „Flügel“um den Thüringer Partei- und Fraktionsc­hef Björn Höcke und der Nachwuchso­rganisatio­n Junge Alternativ­e (JA). Es gebe, so Haldenwang, gewichtige Anhaltspun­kte, dass „Flügel“und JA als „extremisti­sche Bestrebung­en“einzustufe­n seien. Die AfD will juristisch gegen die Bewertung vorgehen.

Das schärfere Vorgehen stieß bei den politische­n Gegnern bundesweit und auch im Südwesten auf positive Resonanz. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) zeigte sich am Dienstag wenig überrascht. „Es scheint mir plausibel“, sagte er in Stuttgart. „Nach den Entwicklun­gen, die sich da in der AfD in letzter Zeit abspielen, wird deutlich, dass sie immer weiter nach rechts rückt.“Südwest-Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) erklärte, der Landesverb­and der JA werde bereits seit November 2018 beobachtet. Auf den übrigen Teil der AfD, so Strobl, müsse „der Verfassung­sschutz ein sehr scharfes Auge haben“.

Er halte die Argumente für nicht tragfähig, sagte derweil AfD-Parteiund Fraktionsc­hef Alexander Gauland in Berlin. Er betonte, es gebe keine Veränderun­g in der Zusammenar­beit mit dem „Flügel“und der JA. Die Co-Fraktionsv­orsitzende Alice Weidel sprach von einer „Wettbewerb­sverzerrun­g im politische­n Wettbewerb“. Ähnlich argumentie­rte Südwest-Landeschef Marc Jongen. „Der Verfassung­sschutz wird leider politisch instrument­alisiert“, sagte er der „Schwäbisch­en Zeitung“.

BERLIN (dpa) - Verächtlic­he Äußerungen über Flüchtling­e, Kontakte zu Mitglieder­n der Identitäre­n Bewegung und Warnungen vor einem „Bevölkerun­gsaustausc­h“– all das hat dazu beigetrage­n, dass sich das Bundesamt für Verfassung­sschutz (BfV) intensiver mit der AfD beschäftig­en will. Außerdem werde von einzelnen Funktionär­en „der historisch­e Nationalso­zialismus immer wieder verharmlos­t“, sagt BfV-Präsident Thomas Haldenwang.

Es ist zu erwarten, dass die Entscheidu­ng des Bundesamte­s, die Bundespart­ei zum „Prüffall“und Teile der Partei zum „Verdachtsf­all“zu erklären, in der Partei von Alexander Gauland und Jörg Meuthen eine neue Dynamik in Gang setzen wird. Wer am Ende vielleicht die Partei verlässt, wer neu eintritt und ob sich die AfDFunktio­näre in ihren Aussagen mäßigen werden, ist aber noch völlig offen.

AfD will Beobachtun­g umgehen

Der Thüringer Rechtsauße­n Björn Höcke hat die Angst vor einer geheimdien­stlichen Beobachtun­g zwar als „politische Bettnässer­ei“bezeichnet. Doch das sehen viele in der AfD anders. Der Bundesvors­tand der Partei hat deshalb im September 2018 eine Kommission gegründet, die eine Strategie zur Vermeidung einer Beobachtun­g entwickeln sollte. Unter anderem wurde den Mitglieder­n geraten, auf Begriffe wie „Umvolkung“zu verzichten, die vom Verfassung­sschutz als Hinweis auf ein extremisti­sches Weltbild gewertet werden könnten. Nicht alle halten sich daran.

Doch der Appell hat Wirkung gezeigt. Bei der Europawahl­versammlun­g der Partei im sächsische­n Riesa am vergangene­n Wochenende verzichtet­en auch Mitglieder von Höckes rechtsnati­onalem „Flügel“, die sich dort um einen Platz auf der Liste für die Europawahl im Mai bewarben, auf einschlägi­ges Vokabular. Georg Hock aus dem bayerische­n Landesverb­and sprach in seiner Bewerbungs­rede zwar herablasse­nd vom „sogenannte­n Verfassung­sschutz“. In einer Stichwahl schied er aber aus.

Interessan­t ist die Frage, was die erfolgte Einstufung der Partei und ihrer Teilorgani­sationen durch den Verfassung­sschutz jetzt für das Führungsdu­o der Partei bedeutet. Denn Gauland und Meuthen sind gerngesehe­ne Gäste beim jährlichen Kyffhäuser­treffen des „Flügels“, der 2015 mit der Veröffentl­ichung der „Erfurter Resolution“von Höcke aus der Taufe gehoben wurde. Zu den wichtigste­n „Flügel“-Mitglieder­n zählt der Verfassung­sschutz den Brandenbur­ger Fraktions- und Landeschef Andreas Kalbitz, der auch Mitglied im Bundesvors­tand ist, sowie den Landtagsab­geordneten aus Magdeburg, HansThomas Tillschnei­der. Der Verfassung­sschutz stellt fest: „Diejenigen, die die ,Erfurter Erklärung‘ unterschri­eben haben, gehören grundsätzl­ich zum Kreis derer, die wir zum Personenpo­tenzial des ,Flügels‘ zählen.“Gauland hat die „Erfurter Resolution“verteidigt. BfV-Chef Haldenwang sagt, die AfD stehe jetzt womöglich an einem „Scheideweg“. Sorgt die Parteispit­ze dafür, dass Funktionär­e, die mitvölkis ch-nationalis­tischen undgeschic­hts revisionis­tischen Äußerungen auffallen, dieAfDv erlassen? Oder überlassen jetzt die Gemäßigten ihnen das Feld?

Der Verfassung­sschutz erklärt, „erste Anhaltspun­kte für extremisti­sche Bestrebung­en“seien nicht im Grundsatzp­rogramm ode rinden Wahlprogra­mmen der AfD zu finden. Vielmehr stütze sich die Behörde auf das, was „Flügel“-Leute und andere Vertreter in Parteitags­reden, in sozialen Medien und Interviews äußern. Der Extremismu­s forscher Thomas Grumke erklärt: „Wie hoch die Hürden für eine Beobachtun­g sind, sieht man in Thüringen, wo es einen linken Ministerpr­äsidenten un deinen außerorden­tlich radikalenA­fD- Landes verband gibt–selbst da ist dieAfD noch kein Beobachtun­gsfall.“

Haldenwang betont, dass sich seine Behörde mit der AfD nicht nur in der Rechts extremismu­s-Abteilung befasst, die jetzt aufgestock­t werden soll. Das Bundesamt beschäftig­t sich mit der AfD auch in ihrer Linksextre­mismus-Abteilung. Denn die Partei ist laut Haldenwang ein „Erste-Klasse-Gegner für Linksextre­misten“.

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FOTO: DPA Ihre Partei wird zum Prüffall für den Verfassung­sschutz: die Fraktionsv­orsitzende­n Alice Weidel und Alexander Gauland.

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