Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Widerspruc­h von Dobrindt

„Anti-Abschiebe-Industrie“ist das Unwort des Jahres

- Von Sabine Lennartz und Agenturen

DARMSTADT/TÜBINGEN (AFP/sz) Der von CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt (CSU) geprägte Begriff „Anti-Abschiebe-Industrie“ist das Unwort des Jahres 2018. In ihrer Begründung kritisiert die Jury des Sprachwett­bewerbs am Dienstag in Darmstadt, dass der Begriff suggeriere, Asylberech­tigte würden „produziert“. Somit habe sich der politische Diskurs sprachlich und sachlich nach rechts verschoben. Dobrindt wehrte sich am Dienstag: Der Ausdruck sei eine Beschreibu­ng des Sachverhal­ts gewesen; eine Debatte brauche zugespitzt­e Begriffe.

Kritisiert wurden auch die Begriffe „Ankerzentr­um“und „Menschenre­chtsfundam­entalismus“, den Tübingens Oberbürger­meister Boris Palmer (Grüne) verwendet hatte. Palmer ärgerte sich über die Jury. Sie heize den Konflikt über Sprache weiter an, indem sie drei Begriffe aus der Flüchtling­sdebatte als Unwörter ausweise.

BERLIN – Betont gelassen nimmt Alexander Dobrindt beim weißblauen Stammtisch mit Journalist­en die neue Nachricht auf: „Anti-Abschiebe-Industrie“, der von ihm geprägte Begriff hat das Rennen um das „Unwort des Jahres“gemacht, das vom Institut für Sprach- und Literaturw­issenschaf­t der Technische­n Universitä­t Darmstadt gekürt wird.

Die Literaturp­rofessorin Nina Janich, Sprecherin der Jury, sagt, eine solche Äußerung von einem wichtigen Politiker einer Regierungs­partei zeige, „wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben hat.“

Für Dobrindt selbst kommt die „Auszeichnu­ng“zu einem unglücklic­hen Zeitpunkt. CDU und CSU haben beim Thema Flüchtling­e gerade eine Art Friedenspa­kt geschlosse­n und so will Dobrindt nicht neues Öl ins Feuer gießen. Ohnehin sah es vor drei Monaten noch so aus, als könnte Markus Söders Wort „Asyltouris­mus“Dobrindt den Rang ablaufen.

Der CSU-Landesgrup­penchef selbst meint: „Ich hätte mich eher für die ,testostero­ngesteuert­en Männerhord­en‘ entschiede­n, aber ich bin nicht Teil der Jury.“Den Begriff hatte Baden-Württember­gs grüner Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n im Herbst geprägt. Kretschman­n wiederum findet es gut, dass Dobrindts Worte zum Unwort gekürt wurde. „Das sind einfach Formulieru­ngen, die nicht gehen.“Wörtlich hatte Dobrindt in der „Bild am Sonntag“ gesagt: „Die Anti-Abschiebe-Industrie nutzt die Mittel des Rechtsstaa­tes, um ihn durch eine bewusst herbeigefü­hrte Überlastun­g von innen heraus zu bekämpfen. 2015 wurden unsere Grenzen überrannt, jetzt versuchen Abschiebe-Saboteure das Gleiche mit unseren Gerichten.“

Auf Platz zwei der Jury landete derTüb ing er Ober bürgermeis­ter Boris Palmer – mit dem Ausdruck „Menschenre­chts fundamenta­lismus“anlässlich einer Debatte zur Seenot rettung von Flüchtling­en. Palmer bezeichnet­e die Wahl am Dienstag als„ unwissensc­haftlich und ärgerlich “. Seiner Ansicht nach hat die Jury den Begriff losgelöst vom Zusammenha­ng bewertet, in dem er ihn benutzt habe. Er habe„ Menschenre­chts fundamenta­lismus“nicht auf die Frage bezogen, ob man Menschen in Seenot retten solle. Die Frage sei gewesen, ob man Gerettete nach Afrika bringen dürfe oder ob sich das bereits um eine Menschenre­chtsverlet­zung handle.

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FOTO: DPA Alexander Dobrindt hatte im Mai 2018 von „Anti-Abschiebe-Industrie“gesprochen.

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