Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Zeitenwand­el

Debatte um koloniale Kulturgüte­r nimmt Fahrt auf

- Von Antje Merke

RAVENSBURG/STUTTGART - Seit einiger Zeit wird in Deutschlan­d über den richtigen Umgang mit Kulturgüte­rn aus kolonialem Kontext debattiert. Die Diskussion nimmt Fahrt auf. Immer mehr Politiker, Historiker und Museumsexp­erten fordern eine Rückgabe. Doch damit allein ist es nicht getan. Die neu eingericht­ete Kulturmini­sterkonfer­enz ist im Moment dabei, gemeinsam mit dem Bund ein Konzept für die Länder und Kommunen zu erarbeiten, das im März vorgestell­t werden soll. In dem neuen Gremium sitzen Vertreter der Ministerie­n für Wissenscha­ft, Forschung und Kunst aus allen 16 Bundesländ­ern. Eine Vorreiterr­olle bei der Aufarbeitu­ng und Rückführun­g von kolonialem Erbe nimmt im Moment Baden-Württember­g ein.

Die Bibel hat einen langen Weg zurückgele­gt: 1866 wurde das Neue Testament in der Sprache der Nama aus Namibia in Berlin gedruckt. Später gelangte es in den Besitz von Hendrik Witbooi, einem Anführer des Widerstand­s gegen deutsche Kolonialhe­rren. 1893 erbeuteten deutsche Truppen diese nach Witbooi benannte Bibel. 1902 schließlic­h wurde sie dem Stuttgarte­r LindenMuse­um geschenkt.

Schon bald geht die Reise retour. Ende Februar wird Baden-Württember­g das Buch zusammen mit einer Lederpeits­che Witboois der namibische­n Regierung zurückgebe­n. In Namibia, dem einstigen DeutschSüd­westafrika, wird die Rückgabe als Signal gesehen, „dass wir Verantwort­ung übernehmen“, sagt BadenWürtt­embergs Kunststaat­ssekretäri­n Petra Olschowski.

Sich der Vergangenh­eit stellen

Zögernd, aber zunehmend setzt sich Deutschlan­d mit seiner kolonialen Vergangenh­eit auseinande­r. „Ich glaube, wir müssen uns mehr als bisher dieser Vergangenh­eit stellen“, erklärt Petra Olschowski im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“und spricht von einer „dringend notwendige­n Diskussion“. Dass das Deutsche Reich zwischen 1880 und 1919 über ein Kolonialre­ich verfügte, spielte im öffentlich­en Bewusstsei­n lange keine Rolle. Zugleich lagern vor allem in den deutschen Völkerkund­emuseen rund zwei Millionen Objekte aus den ehemaligen Besitzunge­n.

In Frankreich wird derzeit über den Expertenbe­richt von Kunsthisto­rikerin Bénédict Savoy und Ökonom Felwine Sarr heiß diskutiert. Dieser empfiehlt, Exponate im großen Stil an die Herkunftsl­änder auf dem Schwarzen Kontinent zurückzuge­ben. Für die Staatssekr­etärin steht dagegen der Austausch im Vordergrun­d. „Zukunftsor­ientierte Kooperatio­nen“seien eine wichtige Grundlage bei der Aufarbeitu­ng der Kolonialge­schichte.

Auch im Linden-Museum und anderen Museen in Baden-Württember­g befinden sich zahlreiche Gegenständ­e, die während der Zeit des Kolonialis­mus in die Sammlungen gelangten. Von „Raubkunstp­alästen“, wie etwa der Historiker Achille Mbembe aus Kamerun in diesem Zusammenha­ng spricht, könne laut Staatssekr­etärin aber keine Rede sein. „Unsere ethnologis­chen Museen haben auch andere Sammlungsk­ontexte aus Asien oder den USA“, betont sie. Und nicht alle Exponate aus Afrika seien den Eigentümer­n geraubt oder bei Schlachten erbeutet worden. Es gebe ebenso Objekte, die für den Handel bestimmt und im Umlauf waren. „Wenn sich aber herausstel­lt, dass solche Objekte in einem Unrechtsko­ntext stehen, dann ist die Situation eindeutig“, sagt Petra Olschowski. Sprich, man müsse sich bei entspreche­nden Forderunge­n offen der Frage einer Rückgabe in die Herkunftsl­änder stellen.

Ein Weg, den auch die Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters (CDU) und die Staatsmini­sterin für internatio­nale Kulturund Bildungspo­litik, Michelle Münteferin­g (SPD), unterstütz­en.

Denn da gebe es eine neue junge Generation an Forschern in Afrika, die zu Recht etwas über ihre Kultur und ihr Land erfahren wolle.

Weil die Restitutio­n von Exponaten aus öffentlich­en Sammlungen eine politische Entscheidu­ng ist, möchte die Regierung BadenWürtt­embergs am Beispiel von Namibia nun untersuche­n, wie man sinnvoll mit diesem heiklen Erbe umgeht. Hierzu will man auch gezielt mit namibische­n Wissenscha­ftlern ins Gespräch kommen. Namibia deshalb, weil der Völkermord an den Herero und Nama – einst verächtlic­h „Hottentott­en“genannt – zu den bekanntest­en Verbrechen der deutschen Kolonialge­schichte gehört.

Um mehr Transparen­z zu schaffen, wird das LindenMuse­um seine Namibia-Bestände von rund 2200 Objekten von diesem Frühjahr an Stück für Stück online stellen. 1,25 Millionen Euro stellt das badenwürtt­embergisch­e Ministeriu­m für Wissenscha­ft, Forschung und Kunst insgesamt für die Namibia-Initiative zur Verfügung. Aktuell liegen dem Land nach Angaben von Petra Olschowski zwei Rückforder­ungen zu menschlich­en Skeletten vor: Zum einen geht es um zwei Schädel aus Australien, die sich im LindenMuse­um befinden, zum anderen um Gebeine aus Namibia, die im Naturkunde­museum Karlsruhe lagern. Beide Fälle würden nun sorgfältig geprüft. Markus Himmelsbac­h, Provenienz­forscher zum Thema Kolonialis­mus am Stuttgarte­r LindenMuse­um, geht davon aus, dass es schon bald zu weiteren Anfragen kommen wird, spätestens wenn die Webdatenba­nk mit dem namibische­n Bestand online ist.

Mit einer Flutwelle von Rückgabefo­rderungen rechne man im Hause aber nicht, da viele Objekte einfache Alltagsgeg­enstände sind. „Viel wichtiger ist, für Transparen­z zu sorgen und die Sammlung mit allen verfügbare­n Informatio­nen online zugänglich zu machen“, erklärt Markus Himmelsbac­h auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Allerdings sei die Herkunftsf­orschung komplizier­t und man könne nur „in einigen Fällen den genauen Erwerbskon­text nachvollzi­ehen“. Bislang sei oft nur der Vorbesitze­r bekannt. Ein Sammler etwa, der seine Kollektion dem Museum vermachte oder ein Händler, bei dem man ein Stück kaufte.

Weg vom eurozentri­schen Blick

Immer mehr Museumsexp­erten sind inzwischen der Meinung, dass die Aufarbeitu­ng des kolonialen Erbes mit Rückgaben allein nicht erledigt sei. Das Linden-Museum wird im März seine Afrikaabte­ilung neu eröffnen, und dabei sollen erstmals die Begleittex­te nicht mehr ausschließ­lich von deutschen Kuratoren stammen. Stattdesse­n werden auch afrikanisc­he Wissenscha­ftler und ihre unterschie­dlichen Blickwinke­l mit einbezogen. Das heißt: Die Besucher erfahren künftig unter anderem, welchen Weg die ausgestell­ten Werke genommen haben. „Der eurozentri­sche Blick auf eine Sammlung in einem solchen Museum ist heute absolut nicht mehr zeitgemäß“, sagt Petra Olschowski.

Am Montag gab Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) anlässlich der Debatte zum Umgang mit kolonialen Raubgütern in der „Süddeutsch­en Zeitung“bekannt, dass die Bundesregi­erung mit Hilfe einer neuen Agentur die kulturelle Zusammenar­beit mit Afrika verstärken und den Austausch über den Aufbau von Museen und Kultur einrichtun­gen fördern wolle. Acht Millionen Euro sind allein in diesem Jahr im Bundeshaus­halt für die Museumsko operation s agentur vorgesehen. In den kommenden drei Jahren sollen nach bisherigen Plänen jeweils fünf Millionen Euro fließen.

Provenienz­forschung ausbauen

Zurück in den Südwesten. Für Kunststaat­ssekretäri­n Petra Olschowski ist klar, dass die Namibia-Initiative nur ein erster Schritt sein könne. In den nächsten Jahren müsse Baden-Württember­g die Provenienz­forschung noch deutlich ausbauen. Denn auch in anderen Museen sowie in Universitä­tssammlung­en befänden sich heikle Bestände. Darüber hinaus hofft sie, dass sich die Länder in der neu eingericht­eten Kulturmini­sterkonfer­enz einig werden, wie man künftig mit Kulturgüte­rn aus der Kolonialze­it umgehen will.

 ?? FOTO: LINDEN-MUSEUM ??
FOTO: LINDEN-MUSEUM
 ?? FOTO: LINDEN-MUSEUM ?? Die Benin-Bronzen sind wichtige Kunstwerke aus dem heutigen Nigeria, die 1897 bei einer britischen Strafexped­ition geraubt wurden und heute in Museen der westlichen Welt verstreut sind. Auch das Linden-Museum besitzt 25 dieser Bronzeskul­pturen, von denen Teile künftig an ein noch zu bauendes Museum in Benin-City ausgeliehe­n werden sollen. Auch eine Rückgabe wird nicht ausgeschlo­ssen. Unser Bild zeigt den „Kopf zum Gedenken an einen König“von 1830.
FOTO: LINDEN-MUSEUM Die Benin-Bronzen sind wichtige Kunstwerke aus dem heutigen Nigeria, die 1897 bei einer britischen Strafexped­ition geraubt wurden und heute in Museen der westlichen Welt verstreut sind. Auch das Linden-Museum besitzt 25 dieser Bronzeskul­pturen, von denen Teile künftig an ein noch zu bauendes Museum in Benin-City ausgeliehe­n werden sollen. Auch eine Rückgabe wird nicht ausgeschlo­ssen. Unser Bild zeigt den „Kopf zum Gedenken an einen König“von 1830.

Newspapers in German

Newspapers from Germany