Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Wie 60 Milliarden den Braunkohle-Revieren helfen sollen
Die Forderung von 60 Milliarden Euro klingt etwas fantastisch. Mit dieser Größenordnung gehen die Ministerpräsidenten von Sachsen, Brandenburg, SachsenAnhalt und Nordrhein-Westfalen ins Rennen um den Braunkohle-Ausstieg. Am Dienstag verhandelten die Landeschefs mit den Vorsitzenden der Kohlekommission und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Dass die Förderung und Verstromung von Braunkohle in Deutschland enden wird, bestreitet fast niemand. Die Diskussion dreht sich um Bedingungen und Zeitpunkt des Ausstiegs. Dabei verlangen die vier betroffenen Bundesländer eine ordentliche finanzielle Abfederung. Es geht um bis zu 40 000 Arbeitsplätze, viele davon überdurchschnittlich bezahlt. Eine wichtige Frage lautet: Woher kommen die Ersatzjobs?
So lachhaft, wie sie anmutet, ist die 60-Milliarden-Forderung nicht. Verteilt auf beispielsweise 30 Jahre, einen realistischen Zeitraum für das Auslaufen des Bergbaus und der Kraftwerke, stünden jährlich zwei Milliarden Euro zur Verfügung. Das wäre wenig im Vergleich zu den Subventionen, die die Steinkohleindustrie Westdeutschlands verschlang.
Auf dem Höhepunkt Ende der 1990er Jahre erhielt unter anderem das Ruhrgebiet zehn Milliarden Euro jährlich. Zudem werde das Geld nicht zum Fenster hinausgeworfen. Ein guter Teil fließe in eine bessere Bahninfrastruktur, um etwa Cottbus, das Zentrum des Lausitzer Reviers, bequemer mit Dresden, Leipzig und Berlin zu verbinden. Zudem gebe es die Möglichkeit, öffentliche Institutionen anzusiedeln, um hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen. In Dessau (Umweltbundesamt), Erfurt (Bundesarbeitsgericht) und Leipzig (Bundesverwaltungsgericht) hat das funktioniert.
Jobwunder oder Strohfeuer
Auch zusätzliche private Arbeitsplätze sind keine Utopie. Wenn Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) es tatsächlich schaffen sollte, eine Batteriezellen-Fertigung für Elektrofahrzeuge zu unterstützen und aufzubauen, könnten die Braunkohleregionen von diesen Investitionen profitieren. Wobei staatlich geförderte private Jobs immer ein Strohfeuer-Risiko beinhalten: öffentliches Geld weg, Stellen weg.
So lief es etwa bei der Solarindustrie in Frankfurm an der Oder und Bitterfeld. Aber es gibt auch positive Gegenbeispiele, etwa die IT-Wirtschaft um Dresden oder die Luft- und Raumfahrttechnik in Bremen.
So betrachtet, können 60 Milliarden eine gute Investition darstellen. Trotzdem ist die Forderung nach einer solchen Summe unrealistisch. Bisher hat die Bundesregierung nur 1,5 Milliarden Euro reserviert. Von Dutzenden Milliarden zusätzlich steht nichts im Koalitionsvertrag. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) will mehr Geld lockermachen, kann aber nicht über solche gigantischen Summen verfügen.
Vielleicht springt die Europäische Union irgendwann mit Teilbeträgen ein. Unter dem Strich aber bleibt festzuhalten: Derzeit ist das Geld nicht da. Und der politische Wille, das zu ändern, ist außer in den Staatskanzleien der vier betroffenen Bundesländer nicht zu erkennen.