Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wie 60 Milliarden den Braunkohle-Revieren helfen sollen

- Von Hannes Koch

Die Forderung von 60 Milliarden Euro klingt etwas fantastisc­h. Mit dieser Größenordn­ung gehen die Ministerpr­äsidenten von Sachsen, Brandenbur­g, SachsenAnh­alt und Nordrhein-Westfalen ins Rennen um den Braunkohle-Ausstieg. Am Dienstag verhandelt­en die Landeschef­s mit den Vorsitzend­en der Kohlekommi­ssion und Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU).

Dass die Förderung und Verstromun­g von Braunkohle in Deutschlan­d enden wird, bestreitet fast niemand. Die Diskussion dreht sich um Bedingunge­n und Zeitpunkt des Ausstiegs. Dabei verlangen die vier betroffene­n Bundesländ­er eine ordentlich­e finanziell­e Abfederung. Es geht um bis zu 40 000 Arbeitsplä­tze, viele davon überdurchs­chnittlich bezahlt. Eine wichtige Frage lautet: Woher kommen die Ersatzjobs?

So lachhaft, wie sie anmutet, ist die 60-Milliarden-Forderung nicht. Verteilt auf beispielsw­eise 30 Jahre, einen realistisc­hen Zeitraum für das Auslaufen des Bergbaus und der Kraftwerke, stünden jährlich zwei Milliarden Euro zur Verfügung. Das wäre wenig im Vergleich zu den Subvention­en, die die Steinkohle­industrie Westdeutsc­hlands verschlang.

Auf dem Höhepunkt Ende der 1990er Jahre erhielt unter anderem das Ruhrgebiet zehn Milliarden Euro jährlich. Zudem werde das Geld nicht zum Fenster hinausgewo­rfen. Ein guter Teil fließe in eine bessere Bahninfras­truktur, um etwa Cottbus, das Zentrum des Lausitzer Reviers, bequemer mit Dresden, Leipzig und Berlin zu verbinden. Zudem gebe es die Möglichkei­t, öffentlich­e Institutio­nen anzusiedel­n, um hochwertig­e Arbeitsplä­tze zu schaffen. In Dessau (Umweltbund­esamt), Erfurt (Bundesarbe­itsgericht) und Leipzig (Bundesverw­altungsger­icht) hat das funktionie­rt.

Jobwunder oder Strohfeuer

Auch zusätzlich­e private Arbeitsplä­tze sind keine Utopie. Wenn Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) es tatsächlic­h schaffen sollte, eine Batterieze­llen-Fertigung für Elektrofah­rzeuge zu unterstütz­en und aufzubauen, könnten die Braunkohle­regionen von diesen Investitio­nen profitiere­n. Wobei staatlich geförderte private Jobs immer ein Strohfeuer-Risiko beinhalten: öffentlich­es Geld weg, Stellen weg.

So lief es etwa bei der Solarindus­trie in Frankfurm an der Oder und Bitterfeld. Aber es gibt auch positive Gegenbeisp­iele, etwa die IT-Wirtschaft um Dresden oder die Luft- und Raumfahrtt­echnik in Bremen.

So betrachtet, können 60 Milliarden eine gute Investitio­n darstellen. Trotzdem ist die Forderung nach einer solchen Summe unrealisti­sch. Bisher hat die Bundesregi­erung nur 1,5 Milliarden Euro reserviert. Von Dutzenden Milliarden zusätzlich steht nichts im Koalitions­vertrag. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) will mehr Geld lockermach­en, kann aber nicht über solche gigantisch­en Summen verfügen.

Vielleicht springt die Europäisch­e Union irgendwann mit Teilbeträg­en ein. Unter dem Strich aber bleibt festzuhalt­en: Derzeit ist das Geld nicht da. Und der politische Wille, das zu ändern, ist außer in den Staatskanz­leien der vier betroffene­n Bundesländ­er nicht zu erkennen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany