Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Experten entdecken halben menschlich­en Schädel

Historisch­er Fund neben dem 2017 entdeckten Einbaum wirft viele neue Fragen auf

- Von Hildegard Nagler

WASSERBURG - In der Nähe des Fundortes des 3150 Jahre alten Wasserburg­er Einbaums haben Experten einen halben Schädel entdeckt und geborgen. Nach Angaben des Bayerische­n Landesamts für Denkmalpfl­ege wird er derzeit untersucht, mit einem Ergebnis wird frühestens in acht Wochen gerechnet.

Die Nachricht hatte überregion­al für enorme Aufmerksam­keit gesorgt: Im April vergangene­n Jahres war mit dem 6,80 Meter langen und 1,05 Meter breiten, aus Eichenholz gefertigte­n Einbaum der älteste Schiffsfun­d im Bodensee und zugleich Bayerns ältestes Wasserfahr­zeug der Öffentlich­keit präsentier­t worden. Entdeckt hatte ihn der Wasserburg­er Christoph Schmid bereits 2015 bei einem Tauchgang 170 Meter vom Ufer entfernt im Bodensee nahe der Eschbach-Mündung.

Als jetzt die Wissenscha­ftler nochmals vor Ort waren, sind sie in der Umgebung der Einbaum-Fundstelle auf den halben Schädel, eine so genannte Schädelkal­otte, sprich, das knöcherne Dach eines Schädels, gestoßen. Ob er genauso alt ist wie der Wasserburg­er Einbaum, zumal er dort in der Nähe gefunden wurde? Ob es am Fundort des halben Schädels eine prähistori­sche Siedlung gegeben hat? Fragen über Fragen, die sich den Experten stellen.

Der neue Fund könnte auf eine derartige Siedlung vor Wasserburg hindeuten. Dass es dort oder in der Nähe Dörfer gegeben hat, davon sind die Wissenscha­ftler überzeugt. Einzig bei Lindau-Zech gibt es derzeit ein Verdachtsg­ebiet für eine Ansiedlung. Ihre Annahme von der weiteren Existenz solcher Siedlungen in Ufernähe begründen die Wissenscha­ftler unter anderem damit, dass nahe Wasserburg, in Hemigkofen (heute Kressbronn) – im Sommer 1911 fast zeitgleich­e Gräber aus der sogenannte­n Urnenfelde­rzeit entdeckt wurden; der Verstorben­e im Brandgrab von Hemigkofen könnte tatsächlic­h ein Zeitgenoss­e des Einbaums gewesen sein, da dessen die Schwerter etwa von 1200 bis 1050 datieren. „Die Menschen damals werden ihre Toten nicht ewig weit transporti­ert haben“, sagt ein Wissenscha­ftler.

Offiziell möchte derzeit kaum einer eine Stellungna­hme abgeben: Zwar ist die Hoffnung unter den Experten, dass der halbe Schädel aus der Einbaum-Zeit stammen könnte, gering, doch würde das Untersuchu­ngsergebni­s eine derartige These bestätigen, wäre die Sensation groß. „Dass am Ufer mehr war, ist klar“, sagt ein Wissenscha­ftler. Und fügt an: „Die heutige Absenz derartiger Siedlungen wäre kein Beweis dafür, dass es sie nicht gegeben hat.“Ein freiberufl­icher Anthropolo­ge ist derzeit damit beauftragt, den neuen Wasserburg­er Fund zu untersuche­n. Er soll das Alter des halben Schädels herausfind­en, ob es sich um einen Mann oder eine Frau gehandelt hat und ob Auffälligk­eiten beziehungs­weise Hinweise auf Erkrankung­en vorliegen.

Eine schwierige Aufgabe, für die es in Bayern nur eine Handvoll Experten gibt, die für eine derartige Aufgabe zertifizie­rt sind.

Die Untersuchu­ngsmethode zur Altersbest­immung ist die Radiokarbo­nmethode. Sie beruht darauf, dass in abgestorbe­nen Organismen die Zahl bestimmter gebundener radioaktiv­er Kohlenstof­fisotope dem Zerfallsge­setz entspreche­nd abnimmt. Würde der halbe Schädel aus der Bronzezeit stammen, könnte mithilfe dieser Methode das Alter rein theoretisc­h auf einige Jahrzehnte genau bestimmt werden.

 ?? FOTO: HILDEGARD NAGLER ?? Ein aus Eichenholz gefertigte­r Einbaum ist der älteste Schiffsfun­d im Bodensee. Er wurde im April 2017 entdeckt. Jetzt ist unweit davon eine Schädelkal­otte ausgegrabe­n worden.
FOTO: HILDEGARD NAGLER Ein aus Eichenholz gefertigte­r Einbaum ist der älteste Schiffsfun­d im Bodensee. Er wurde im April 2017 entdeckt. Jetzt ist unweit davon eine Schädelkal­otte ausgegrabe­n worden.

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