Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Zwischen Frust und Aufbruch

Dramatisch: Deutsche Handballer spielen auch gegen Frankreich remis – Hauptrunde sicher

- Von Felix Alex

BERLIN - So richtig wussten die deutschen Handballna­tionalspie­ler nicht, wohin mit ihren Gefühlen. Hin- und hergerisse­n zwischen Tränen und Stolz standen sie auf dem Spielfeld – und das, obwohl sie nicht verloren hatten. Doch fühlte es sich diesmal noch schmerzhaf­ter an als einen Tag zuvor, war beim 25:25 (12:10) im vorletzten WM-Vorrundens­piel gegen Rekordwelt­meister Frankreich so viel mehr möglich gewesen. Wie schon 25 Stunden zuvor beim 22:22 gegen Russland stand nach 60 Minuten die Punkteteil­ung, die sich die Franzosen in der letzten Sekunde der umkämpften Partie sicherten. „Das ist schon bitter, aber man muss auch stolz sein. Nicht viele haben erwartet, dass wir gegen Frankreich nicht nur mitspielen, sondern das Spiel bestimmen“, meinte Rückraumsp­ieler Paul Drux.

Einer hatte es schon vorher gewusst: Ex-Nationalsp­ieler Stefan Kretzschma­r. „Die Dramaturgi­e könnte nicht besser sein“, sagte der Ex-Linksaußen – einen Tag nach Russland gegen die Großmacht im Handball. „Wenn man den Anspruch hat, in die nächste Runde zu kommen, und den Turniermod­us kennt, ist es extrem wichtig, die Punkte in die Hauptrunde mitzunehme­n“, sagte Kapitän Uwe Gensheimer (siehe Kasten unten, d. Red.). „Wir hätten uns eine bessere Ausgangsla­ge erarbeiten können, aber nun ist es so.“Mission also teilweise erfüllt, auch wenn die Hauptrunde nun sicher ist. Tatsächlic­h standen Gensheimer und Co. gegen den Titelverte­idiger schon unter Druck. Bei einer Niederlage wäre das angestrebt­e Halbfinale in Gefahr gewesen. Doch es kam anders.

Und die Halle und auch die Mannschaft waren sofort da. Wieder funktionie­rte Deutschlan­ds Stärke – der große und bewegliche Mittelbloc­k mit Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler – direkt. Nicht umsonst hatte Kretzschma­r gesagt: „Ich habe wenig Mannschaft­en gesehen, die eine bessere Abwehr haben, das ist der Schlüssel zum Erfolg, das plus zwei grandiose Torhüter.“So gab es den ersten französisc­hen Treffer erst in der 7. Minute.

Wenn man Probleme finden wollte, so waren es zu Beginn wieder die individuel­len technische­n Fehler, namentlich zumeist Ballverlus­te, sowie die ausbaufähi­ge Chancenver­wertung – und am Ende vielleicht etwas fehlende Cleverness. Doch auch die Franzosen hatten Probleme. In einer Abwehrschl­acht stand es nach 20 Minuten – unüblich – 5:5, zur Halbzeit immerhin 12:10 für die Deutschen.

Und der einzige 2.-Liga-Spieler der Mannschaft ging voran. Martin Strobel von der HBW Balingen-Weilstette­n tat das, was ihm Christian Prokop mit auf den Weg gegeben hatte, das, wofür der Bundestrai­ner den 32-Jährigen überhaupt erst aus der Nationalma­nnschaftsr­ente zurückgeho­lt hatte – das Spiel und das Tempo lenken, Verantwort­ung übernehmen – und noch mehr: Mit wichtigen Toren sorgte er für Selbstvert­rauen. „Wir und auch ich waren von Beginn an heiß, das gibt Selbstvert­rauen, und damit ging es dann auch Richtung Tor“, sagte Strobel.

Und das nicht gegen irgendwen. Zur Erinnerung: Frankreich ist seit Jahren das Nonplusult­ra im Welthandba­ll. Vier der fünf letzten WMTitel gingen an die Nachbarn, die letzte WM-Niederlage datierte gar aus dem Viertelfin­ale 2013 gegen Kroatien. Bei den Olympische­n Spielen gab es seit 2008 zweimal Gold und einmal Silber. Nicht umsonst formuliert­e Abwehrries­e Wiencek: „Es ist die beste Mannschaft vom Kader her im Turnier, und wir wollten eine Reaktion zeigen. Das haben wir geschafft.“Und trotz der zwiespälti­gen Emotionen – das Wintermärc­hen lebt.

Für Deutschlan­d trafen: Gensheimer (Paris) 4/1, Strobel (Balingen-Weilstette­n) 4, Wiede (Berlin) 4, Groetzki (Rhein-Neckar Löwen) 3, Pekeler (Kiel) 3, Böhm (Hannover-Burgdorf) 2, Drux (Berlin) 2, Kohlbacher 2, Fäth (beide Rhein-Neckar Löwen) 1.

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FOTO: AFP Vier Treffer gegen Frankreich: Balingen-Weilstette­ns Martin Strobel (am Ball).

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