Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Dem anderen auf Augenhöhe begegnen
Notizen vom zweiten Abend der Ökumenischen Bibelwoche
TETTNANG - Fast doppelt so viele Zuhörer wie beim Auftakt der Ökumenischen Bibelwoche sind am Montag zum zweiten Abend ins katholische Gemeindezentrum St. Gallus gekommen. Alle vier Abende haben den Philipperbrief des Apostels Paulus zum Gegenstand, Referent war diesmal der evangelische Pfarrer Thomas Wagner.
„Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst.“Von diesem Vers ausgehend, betrachtete Pfarrer Wagner das Wort Demut. Was verstehen wir heute darunter, was könnte Paulus damals damit gemeint haben? Auf einer Flipchart wurde festgehalten: Wo steht der Begriff in einer Ranking-Skala von negativ bis positiv? Was assoziieren wir damit? Achtsamkeit und Respekt wurden genannt, aber auch Zwiespalt und Schuldgefühle. Oder steckt auch der Begriff Demütigung dahinter? Sollen wir wirklich einem Angreifer die Backe hinhalten, soll er auf uns herumtrampeln dürfen? Das kann gewiss nicht gemeint sein.
Demut bedeutet aufrecht stehen
Während das althochdeutsche „diomuoti“(dienstwillig) ein Verhältnis vom Knecht zum Herrn meint, fand Wagner, vom Griechischen ausgehend, den Begriff „Niedrig-Gesinnung“als Begriff für einen Gott, der sich um die Niedrigen kümmert. In diesem Sinne erwarte Paulus von den Christen eine Demut, die sie von Christus lernen sollen.
Im sogenannten „Christushymnus“des Philipperbriefes nenne Paulus die Kriterien: Jesus hat freiwillig darauf verzichtet, als Gott zu erscheinen, sondern ist „in Knechtsgestalt“als Mensch gekommen, habe sich also freiwillig erniedrigt und sich Gehorsam gegenüber dem Vater auferlegt. Nur so habe er den Menschen auf Augenhöhe begegnen können, um gemeinsam mit ihnen weiterzukommen.
Paulus entwickle mit diesen Gedanken ein Programm für ein funktionierendes Miteinander, ein Programm, wie Gemeindeleben gelingen kann, das sich an Christus orientiert. Der wesentliche Punkt: Keiner solle sich höher schätzen als der andere, es müsse Gleichwertigkeit bestehen, um gemeinsam Dinge entwickeln zu können. Demut bedeute nicht, sich zu ducken, sondern aufrecht zu stehen, füreinander und miteinander das Beste zu suchen. Ein anspruchsvolles Modell, das immer wieder durch Machtstrukturen konterkariert werde. Die Frage stand im Raum, wie sich aus so einem Programm das System Kirche mit so ausgeprägter Hierarchie entwickeln konnte. Einfache Lösungen gebe es nicht, sie würden auch nicht weiterbringen, doch auch in der Politik wäre es dringend nötig, die Menschenwürde zu achten, dem anderen zuzuhören, ihm auf Augenhöhe zu begegnen, anstatt ihn polemisch niederzubügeln.