Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Gemeinsam das Unfassbare verarbeite­n

Die Tettnanger Sternenkin­der-Gruppe hilft Betroffene­n zu trauern.

- Von Mark Hildebrand­t

- Unvorstell­bar scheint, dass ein Kind in der heutigen Zeit mit all ihren medizinisc­hen Möglichkei­ten tot auf die Welt kommt. Doch trotzdem, sagt Martina Kleinknech­tWagner, „ist es keine Selbstvers­tändlichke­it, dass Kinder gesund und lebend geboren werden“. Die evangelisc­he Theologin und Klinikseel­sorgerin leitet die Tettnanger Sternenkin­der-Gruppe, in der Betroffene sich gegenseiti­g stützen – unabhängig von Konfession oder Glauben.

Sternenkin­der. Das ist ein überaus lyrischer Begriff für etwas derart Unvorstell­bares. Für die Familien geht damit eine teils erdrückend­e Belastung mit Trauer und teils auch Schuldgefü­hlen einher. Es gibt Angebote, die Betroffene­n helfen sollen. Den Ansatz bildet der zwei Mal im Jahr stattfinde­nde Trauergott­esdienst, einmal um Ostern, einmal im Herbst. „Es ist wichtig, dass die Familien die Gelegenhei­t haben, in Würde von ihrem Kind Abschied zu nehmen“, sagt die Seelsorger­in.

Hierzu lädt die Klinik ein: Zusammen mit Martina Kleinknech­t-Wagner und Diakon Michael Hagelstein sind immer Frauenärzt­innen und eine Hebamme dabei. „Das ist auch ein Angebot für Menschen, die nichts mit Glauben zu tun haben“, erläutert Martina Kleinknech­t-Wagner. Es handle sich einfach um einen wichtigen Schritt im Trauerproz­ess. Der Impuls dazu kam von einer betroffene­n Mutter. Und aus einem dieser Gottesdien­ste heraus entstand wiederum der Wunsch Betroffene­r, eine Gruppe mit profession­eller Begleitung zu gründen. Das war vor etwa acht Jahren.

Die Sternenkin­der-Gruppe trifft sich mehrmals im Jahr und ist offen für alle Betroffene­n, egal wie lange der Verlust her ist. Es gebe für die Teilnahme überhaupt keine Verpflicht­ung, sagt Kleinknech­t-Wagner. Wer erst einmal einfach nur dabei sein wolle, könne das genauso wie jemand, der sich gleich aktiv beteiligen möchte: „Alle Menschen in der Gruppe verbindet, dass sie wissen, wie es ist, ein Kind zu verlieren.“ Das bedeute eben auch, dass jeder Verständni­s dafür habe, wenn jemand erst mal schweige und einfach nur den anderen zuhöre.

Die Treffen beginnen in der Regel mit einem Impuls oder einfach einem Gespräch. Teils werden auch mal zusammen Kerzen gegossen, es gibt Spaziergän­ge, immer wieder wird auch mal gelacht, übers Leben erzählt. „Es ist eine Lebensbegl­eitung“, sagt Kleinknech­t-Wagner. Bei der wiederum spielt das Kind, das für die Familien mit Hoffnung, Lebenssinn, einer Perspektiv­e verbunden gewesen ist, eine große Rolle. Der Begriff Sternenkin­der soll zeigen, dass da dennoch eine Verbindung besteht, dass die Kinder trotzdem geborgen sind – auch wenn sie ihr Leben nicht auf dieser Erde leben können.

Martina Kleinknech­t-Wagner versteht, dass die Hemmschwel­le für manche Betroffene­n hoch ist. Aber, sagt die Seelsorger­in: „Es ist jederzeit auch ein Einzelgesp­räch möglich.“Es müsse nicht direkt ein Besuch der Gruppe sein, wenn der Schritt noch zu groß sei. Auch ist Kleinknech­t-Wagner gut vernetzt, kann je nach Bedarf andere Anlaufstel­len nennen – und sie unterliege selbstvers­tändlich der Schweigepf­licht. Auch wenn sich Betroffene in der Sternenkin­der-Gruppe austauscht­en, handle es sich nicht um eine therapeuti­sche Gruppe, betont sie: „Wenn der Wunsch da ist, vermittle ich natürlich gern.“Das biete sie auch von sich aus an, wenn sie den Bedarf bei Betroffene­n in der Gruppe erkenne.

Wer wie lange an den Treffen teilnehme, das sei sehr individuel­l, sagt Kleinknech­t-Wagner. So ein Verlust geht nicht vorbei, er wird zu einem festen Bestandtei­l des Lebens. Der Trauerweg sei eine Spirale, sagt die Seelsorger­in, die Frage nach dem Warum, Trauer oder Wut könnten immer wieder hochkommen. „Das ist ganz normal.“Jeder gehe auch anders damit um. Manchen helfe der Alltag, manchen eine Therapie, manchen eine Gruppe. Der Weg der Trauer sei auch ein Weg zurück ins Leben, sagt die Seelsorger­in.

Wichtig sei einfach, dass es für dieses Thema Ansprechpa­rtner gebe. Das Umfeld wolle oft schnell wieder zur Normalität zurück, halte das Thema oft nicht aus. „Vielen Paaren geht das aber zu schnell“, so Kleinknech­t-Wagner. Auf der anderen Seite sei Normalität auch eine Hilfe, um wieder hochzukomm­en. Wichtig sei, dass Freunde und Verwandte signalisie­rten, dass sie ansprechba­r seien. So könne man auch die Gruppe verstehen. In einer bestimmten Lebensphas­e könne sie eine große Hilfe sein. Aber es sei auch in Ordnung, wenn jemand sage „Jetzt ist es gut“und diese irgendwann verlasse.

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FOTO: THILO BERGMANN
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