Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Kirche scheitert am eigenen Maßstab
Enttäuschung, Wut, Resignation: Die Reaktionen auf die Rede des Papstes am Sonntag, selbst bei Franziskus-Anhängern, zeigt, dass das Pontifikat des Argentiniers am Wendepunkt angekommen sein könnte: Setzten die Reformer in der Kirche ihre Hoffnungen bisher auf den „Mann vom anderen Ende der Welt“, so wird nun deutlich: Franziskus droht, an den eigenen Maßstäben zu scheitern. Warum nur verwies er auf andere, angeblich Schuldige? Geständnis, Demut, Reue, Umkehr und Buße in den eigenen Reihen sind angebracht.
Natürlich war der Anti-Missbrauchs-Gipfel wichtig und richtig – aber er kam viel zu spät. Seit 20 Jahren kennt die Kirche die Problematik. Die Hoffnung war: Nach den Jahren, in denen viel geredet, aber wenig unternommen wurde, zeigt die Kirche jetzt, dass es ihr ernst ist. Das Ergebnis hätte lauten müssen: Priester, die missbraucht haben, müssen gehen und werden bestraft. Akten gehören in die Hände des Staatsanwaltes. Bischöfe, die vertuschen, verlieren ihr Amt.
Doch nun kündigt der Papst eine „Task Force“und ein Handbuch an. Richtlinien der Uno-Weltgesundheitsorganisation sollen übernommen werden. Reichlich dünn.
Wenn von der Kirche nicht mehr als Selbstverständlichkeiten und wenig Bereitschaft zu Veränderung zu erwarten ist, sind zuerst Eltern gefragt, um Prävention zu stärken. Kinder sind stark zu machen, Eltern müssen ermutigen, Tabus aufheben.
Dann ist zu fragen: Warum nehmen wir es hin, dass eine Institution unter dem Deckmantel des Kirchenrechts eigene Gesetze durchsetzt? Warum werden Straftaten nicht von der Strafverfolgung bearbeitet?
Die andere Seite der Wahrheit: Die Gesellschaft ist bequem geworden, weil sie Missbrauch jahrelang hingenommen hat. Es ist nötig, viel stärker als bisher Präzedenzfälle aufzuzeigen und die Kirche dafür öffentlich verantwortlich zu machen.
Vielleicht besteht die Chance auf ein Umdenken – auch in Rom? Die ohnehin stark beschädigte Glaubwürdigkeit der Kirche steht auf dem Spiel – und damit ihre Zukunft.