Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Hinweise im Bürokratiedschungel
Sozialexperten beraten Leser der „Schwäbischen Zeitung“zu Versicherungsfragen rund um das Thema Pflege
RAVENSBURG - Jeder kann zu jeder Zeit ein Pflegefall werden. In Deutschland sind es derzeit fast drei Millionen Menschen, die im Alltag mehr oder weniger auf Hilfe angewiesen sind. Die Ursache dafür liegt oftmals schlicht im zunehmenden Alter begründet. Man kann aber auch in jüngeren Jahren durch Krankheit oder Unfall pflegebedürftig werden. Tritt der Fall ein, sehen sich Betroffene und deren Angehörige mit vielen Fragen konfrontiert. Man möchte alles so organisieren, dass der Pflegebedürftige so lange wie möglich zu Hause bleiben kann. Dafür gilt es Bedingungen zu schaffen, die das ermöglichen. Die Pflegeversicherung hält ein umfangreiches Leistungsangebot parat. Doch um Leistungen zu beziehen, muss man einen der fünf Pflegegrade haben. Bei einer Telefonaktion der „Schwäbischen Zeitung“haben die Pflegespezialisten Stefanie Wagner von der CompassPflegeberatung, Kay Kortstock von der AOK Bodensee-Oberschwaben und Monika Müller vom VdK Sozialverband Stuttgart Leserfragen zum Thema Pflege beantwortet.
Ich bin pflegebedürftig und benötige Hilfe im Haushalt. Wie funktioniert der sogenannte Entlastungsbetrag? Kann ich meiner Bekannten ihre Hilfe in meinem Haushalt vergüten und das dann über diesen Weg verrechnen?
Nein, der zusätzliche Entlastunsgbetrag von 125 Euro im Monat kann nur mit nach Landesrecht anerkannten Kräften verrechnet werden. In der Regel sind das ambulante Pflegedienste oder organisierte Nachbarschaftshilfen, die diese Leistungen erbringen. Die Adresse von Pflegediensten und Nachbarschaftshilfen können Sie bei den Krankenkassen oder Pflegestützpunkten erfragen. Wenn ihre Bekannte diese Anerkennung nicht hat, ist eine Kostenerstattung nicht möglich.
Wir machen uns Sorgen, was einmal wird, wenn mein Mann und ich ins Heim müssen und das Geld dafür nicht reicht. Müssen dann unsere Kinder für uns aufkommen und alles bezahlen?
Es gibt drei Quellen, die Pflegeversicherung, Ihr Einkommen und Ihr eigenes Vermögen, die für die Finanzierung eines Heimplatzes herangezogen werden. Reicht das nicht aus, kann das Sozialamt einspringen. Das wiederum prüft seinerseits, ob und inwieweit Ihre Kinder für die Finanzierung herangezogen werden können. Dabei kommen aber diverse Freibeträge zum Ansatz. Es spielt zum Beispiel eine Rolle, ob Ihre Kinder noch ihr Haus abzuzahlen haben, ob sich deren Kinder noch in der Ausbildung befinden, wie sie sozialrechtlich gestellt sind. Allerdings werden bei dieser Prüfung alle finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnisse unter die Lupe genommen.
Mir wurde Pflegegrad 2 bewilligt, und ich möchte Pflegegeld in Anspruch nehmen. Muss ich das dann versteuern?
Nein. Das Pflegegeld ist eine Leistung der Pflegeversicherung und stellt die Pflege sicher. Es ist kein Einkommen und damit nicht steuerpflichtig.
Unser Vater benötigt nach einem Schlaganfall zunehmend Hilfe. Wir denken, dass er einen Pflegegrad haben müsste. Wie stellt man den Antrag dafür?
Sie stellen diesen Antrag bei der Pflegekasse Ihres Vaters. Die beauftragt dann einen Gutachter – bei gesetzlich Versicherten ist das Medizinische Dienst der Kassen (MDK), bei Privatversicherten kommt die Organisation Medicproof. Der Gutachter kommt ins Haus, um sich ein Bild davon zu machen, wie Ihr Vater wohnt und wie selbstständig Ihr Vater seinen Alltag und sein Leben noch bewältigen kann. Kommt dabei heraus, dass er dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen ist, wird einer der fünf Pflegegrade zuerkannt. Dann können die Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch genommen werden – wie beispielsweise Pflegegeld, Sachleistungen, eine Kombination aus beidem, Verhinderungspflege oder Zuschüsse für diverse Hilfs- mittel und notwendige Umbaumaßnahmen.
Mit Pflegegrad 3 erhalte ich nicht nur Pflegegeld, sondern nutze auch Sachleistungen – in Form eines ambulanten Pflegediensts. Diese Sachleistungen möchte ich aber nicht mehr haben und anstelle der Leistungen den Gegenwert der Sachleistungen, monatlich 1298 Euro, für die Anstellung einer Pflegekraft aus dem osteuropäischen Ausland verwenden. Ist das möglich?
Nein, Sachleistungen werden grundsätzlich von anerkannten ambulanten Pflegediensten erbracht und entsprechend über die Pflegekasse abgerechnet. Wenn Sie eine osteuropäische Hilfe beschäftigen wollen, können Sie dafür das Pflegegeld verwenden. Die Mehrkosten müssen Sie aus eigenen Mitteln bestreiten.
Mein Mann ist bei der AOK versichert. Ich pflege ihn mit Pflegegrad 3 seit sechs Jahren und bin ziemlich am Ende. Gibt es Möglichkeiten, einmal aufzutanken?
Die AOK Baden-Württemberg bietet für pflegende Angehörige VorsorgeMaßnahmen an, um sie zu entlasten und zu stärken. Wenden Sie sich an die Pflegekasse Ihres Mannes. Dann wird man Ihnen auch helfen, für den Fall der Vorsorge Betreuungsmöglichkeiten für Ihren Mann zu finden – Stichwort Kurzzeit- oder Verhinderungspflege. Ihr Arzt sollte Ihnen bescheinigen, dass Sie aufgrund der dauerhaften physischen und psychischen Belastung dringend eine Auszeit benötigen.
Laut Hausarzt sollte ich als Pflegeperson unbedingt wieder mehr für mich tun. Ich möchte deshalb zweimal in der Woche Sport treiben. Wenn ich nicht da bin, würde die Nachbarin auf meine demente Frau aufpassen. Wie kann ich das finanzieren?
Dafür gibt es die Verhinderungspflege. Wenn Sie nicht da sind und eine nicht verwandte Person für Sie einspringt, können Sie diese stundenweise bei der Pflegekasse Ihrer Frau beantragen. Insgesamt stehen im Jahr 1612 Euro zur Verfügung, die Sie auf diesem Weg mit der Pflegekasse verrechnen können. Hat Ihre Frau in dem gleichen Jahr noch keine Kurzzeitpflege in Anspruch genommen, käme noch einmal die Hälfte dieses Betrages dazu – das wären insgesamt 2418 Euro. Lassen Sie sich von der Nachbarin quittieren, was Sie ihr für ihren Einsatz zahlen und reichen Sie die Belege bei der Pflegekasse ein. Sie erhalten das Geld innerhalb des genannten Rahmens erstattet.
Mein Bekannter riet uns, für unseren allein lebenden Vater unbedingt einen Antrag bei seiner Pflegekasse zu stellen. Aber wir sind unsicher. Wir helfen alle zunehmend mehr, damit er zurechtkommt. Was raten Sie?
Stellen Sie einen Antrag bei der Pflegekasse Ihres Vaters auf Leistungen der Pflegeversicherung. Es ist aber empfehlenswert, im Vorfeld eine kostenfreie Pflegeberatung in Anspruch zu nehmen und über einen Zeitraum von zwei Wochen eine Pflegetagebuch zu führen, in dem Sie die Hilfen für Ihren Vater nach Zeitaufwand genau dokumentieren. Der Berater kann Ihnen erklären, welche Bereiche des Lebens bei einer Begutachtung eine Rolle spielen, und wie hoch oder wie gering der Grad der Selbstständigkeit ist. Denn danach richtet sich letztendlich, ob Ihr Vater als pflegebedürftig eingestuft wird oder nicht.
Stimmt es, dass man bei der Kurzzeitpflege immer etwas selbst bezahlen muss?
Ja und nein. Die Pflegeversicherung bezahlt die pflegebedingten Aufwendungen – maximal 1612 Euro im Jahr für längstens acht Wochen. Für die Kosten für Unterkunft und Verpflegung kommt in der Regel der Pflegebedürftige selbst auf. Sind im Verrrechnungsjahr die Leistungen der Verhinderungspflege noch nicht genutzt worden, kann man die in diesem Fall noch einmal voll – wiederum 1612 Euro – dazunehmen. Und wenn man beispielsweise den zusätzlichen Entlastungsbetrag über Monate nicht in Anspruch genommen und angespart hat, kann man diese Erstattungsleistung auch zur Finanzierung hinzuziehen. Dazu sollten Sie sich ganz individuell beraten lassen.
Wie komme ich an einen Kurzzeitpflegeplatz für meinen Mann, wenn ich auf Anraten meines Orthopäden die längst fällige Hüftoperation machen lasse? Ich möchte meinen Mann natürlich gut untergebracht wissen.
Für alle Wechselfälle des Lebens, die den Ausfall einer Pflegeperson bewirken, gilt: Man sollte sich so früh wie möglich um einen Kurzzeitpflegeplatz bemühen. Sobald irgendwelche Termine für einen Urlaub, eine eigene Reha oder eine Operation feststehen, sollte man sich schnell und aktiv kümmern. Unterstützung bietet beispielsweise der Pflegenavigator, in dem alle Einrichtungen, die dieses Angebot haben, nach Postleitzahlen geordnet gelistet sind. Für Patienten, die aus der Klinik entlassen werden und noch Betreuung benötigen, setzt sich in der Regel der Sozialdienst des Krankenhauses ein, um eine solche Anschlussversorgung zu gewährleisten.
Unser Sohn ist nach einem Unfall als Pflegebedürftiger zu uns ins Haus gezogen. Wir müssen einiges umbauen, damit er mit dem Rollstuhl klarkommt. Gibt es für diese Umbauten im Haus Geld von der Pflegeversicherung?
Ja, um die Pflege optimal zu gewährleisten, werden beispielsweise 4000 Euro für sogenannte Wohnumfeld verbessernde Maßnahmen gewährt. Diese Summe steht beispielsweise für den Badumbau, für Türverbreiterungen, für eine Rampe ins Haus oder für einen Treppenlift zur Verfügung. Ihr Sohn stellt einen formlosen Antrag bei seiner Pflegekasse, beschreibt die geplanten Maßnahmen und legt am besten gleich einen Kostenvoranschlag dazu.
Ich möchte im Job kürzer treten, weil ich meinen Schwiegervater angemessen zu Hause pflegen möchte. Zahlt die Pflegekasse für mich Rentenbeiträge ein, damit ich beim Eintritt ins Rentenalter nicht zu schlecht dastehe?
Ja, das können Sie bei der Pflegekasse Ihres Schwiegervaters beantragen. Es gelten allerdings folgende Bedingungen: Sie sind nicht mehr als 30 Stunden in der Woche erwerbstätig und pflegen Ihren Schwiegervater an mindestens zwei Tagen in der Woche insgesamt zehn Stunden. Ist das so, zahlt die Pflegeversicherung Beiträge an Ihren Rentenversicherungsträger.