Schwäbische Zeitung (Tettnang)

ZF greift wieder nach Wabco

Beide Unternehme­n bestätigen Übernahmeg­espräche

- Von Andreas Knoch und Martin Hennings

FRIEDRICHS­HAFEN (ank) - Der Automobilz­ulieferer ZF Friedrichs­hafen AG wagt eine erneute Übernahme des belgisch-amerikanis­chen Bremsenher­stellers Wabco. Beide Unternehme­n bestätigte­n „ergebnisof­fene Gespräche“, betonten aber zugleich, dass es noch keinerlei Beschlüsse gebe.

Sollte ZF Wabco übernehmen, würde das Unternehme­n aus Friedrichs­hafen künftig knapp 40 Milliarden Euro im Jahr umsetzen und damit den beiden größeren Konkurrent­en Bosch und Continenta­l deutlich näher kommen.

ZF versucht seit Jahren, einen Anbieter für Nutzfahrze­ugbremsen zu übernehmen. 2016 scheiterte der Versuch, die schwedisch­e Haldex zu übernehmen. Auch an Wabco hatte ZF schon einmal Interesse gezeigt. Unter dem neuen Vorstandsc­hef Wolf-Henning Scheider könnte das Stiftungsu­nternehmen mehr Glück haben als damals.

FRIEDRICHS­HAFEN/RAVENSBURG Ein gutes Jahr nach seinem Amtsantrit­t als Chef von ZF macht WolfHennin­g Scheider mit einem möglichen Milliarden­deal Furore: Der Automobilz­ulieferer aus Friedrichs­hafen am Bodensee ist in neuerliche­n Gesprächen über den Kauf des amerikanis­ch-belgischen Bremsenspe­zialisten Wabco. „Wir haben mit Wabco ergebnisof­fene Gespräche geführt. Es gibt aber keinerlei Beschlüsse“, sagte ein ZF-Sprecher auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Ähnlich klingt es auf Seiten des Zielobjekt­s: Im Zuge der jüngsten Marktgerüc­hte und der Kursgewinn­e der Wabco-Aktie bestätige man vorbereite­nden Gespräche mit ZF über einen möglichen Zusammensc­hluss. Ob eine Einigung erzielt werde, sei jedoch ungewiss.

Zweiter Anlauf

Wabco? Da war doch was. Rund zwei Jahre ist es her, als ein erster Übernahmev­ersuch Wabcos durch ZF scheiterte – und der dem damaligen Vorstandsc­hef Stefan Sommer den Job kostete. Die beiden Konzerne hatten sich Anfang 2017 in fortgeschr­ittenen Verhandlun­gen befunden, bevor der Aufsichtsr­at des Friedrichs­hafener Traditions­unternehme­ns die Pläne stoppte.

Sommer und der Friedrichs­hafener Oberbürger­meister Andreas Brand, der im Aufsichtsr­at von ZF sitzt und den Haupteigen­tümer, die städtische Zeppelin-Stiftung, vertritt, hatten sich nach der milliarden­schweren Übernahme des US-Konkurrent­en TRW 2015 über die forsche

Expansions­strategie zerstritte­n. Ende 2017 musste der Westfale nach verlorenem Machtkampf gehen.

ZF schaut seit Jahren mit großem Interesse auf den Bremsenber­eich für Lkw. Denn während das Unternehme­n aus Friedrichs­hafen Autobremse­n in seinem Angebot hat, fehlt ZF diese Expertise bei Lastwagen. Noch vor Wabco scheiterte 2016 der Versuch, die schwedisch­e Haldex zu übernehmen. Damals torpediert­e der Münchener Bremsenbau­er Knorr-Bremse die Pläne und überbot ZF mit seiner Offerte – auch wenn die strengen Kartellauf­lagen den Deal schlussend­lich platzen ließen. Und selbst Knorr-Bremse stand dem Vernehmen nach bereits einmal auf der Einkauflis­te der Friedrichs­hafener.

„Für ZF ist Wabco möglicherw­eise die letzte Chance, im Bremsenber­eich Fuß zu fassen“, sagt Stefan Reindl, Leiter des Instituts für Automobilw­irtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, der den Deal, so er denn zustande käme, „von der industriel­len Logik her sinnvoll“findet.

Wabco wurde 1869 als Westinghou­se Air Brake Company von George Westinghou­se gegründet, dem Erfinder der Druckluftb­remse. Seit 2007 ist das Unternehme­n an der New Yorker Börse notiert. ZF erzielt zwar einen rund zehnmal höheren Umsatz als Wabco (2018: umgerechne­t 3,37 Milliarden Euro), doch sind die Amerikaner mit einer operativen Marge von 13,4 Prozent deutlich profitable­r als der Stiftungsk­onzern (2017: 4,7 Prozent).

Acht Milliarden Euro?

Das allein würde den kolportier­ten Kaufpreis von acht Milliarden Euro allerdings nicht erklären. Sinn macht eine solche Summe nur vor dem Hintergrun­d der strategisc­hen Überlegung­en bei ZF. Denn Bremsen passen nicht nur direkt zu Getriebe und Fahrwerk – dem Kerngeschä­ft von ZF. Sie sind mit ihrer Sensorik auch wichtiger Informatio­nsgeber für Assistenzs­ysteme und damit die Vorstufe zum autonomen Fahren der Zukunft – auf das ZF baut und das bei Lastwagen nach Einschätzu­ng von Branchenex­perten noch früher kommen könnte als bei Autos.

Bei elektrisch­en Fahrzeugen hätte ZF mit Wabco dann samt Motor und Bremsen sogar den kompletten Antriebsst­rang im Portfolio, könnte sich als großer Systemlief­erant gegenüber den Automobilh­erstellern präsentier­en und würde einen Großteil der Wertschöpf­ungskette bei sich bündeln.

Ein gemeinsame­r Konzern käme auf ein Umsatzvolu­men von rund 40 Milliarden Euro – und würde damit zu den beiden Branchenfü­hrern Continenta­l (44 Milliarden Euro) und Bosch (47 Milliarden Euro) aufschließ­en.

Bessere Karten für Scheider

Oberbürger­meister Brand wollte sich auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“nicht zu den Spekulatio­nen äußern.

Einer Offerte für den Bremsenher­steller dürfte Brand heute wohlwollen­der gegenübers­tehen als 2017: Zum einen hat ZF seine hohe Verschuldu­ng im Zuge der TRW-Übernahme inzwischen deutlich zurückgefü­hrt. Im Unterschie­d zu damals ist die Verschuldu­ng heute rund vier Milliarden Euro niedriger. Nach und nach hat der Konzern die Kredite zur Finanzieru­ng des TRW-Kaufs zurückgeza­hlt, sodass ZF heute einen größeren finanziell­en Spielraum hat. Auch die Integratio­n von TRW ist gelungen, was das Vertrauen in das ZFManageme­nt gestärkt haben dürfte.

Vor allem aber scheint der amtierende ZF-Chef Scheider ein besseres Verhältnis zu Oberbürger­meister Brand zu haben, der im Aufsichtsr­at des Stiftungsk­onzerns einen großen Einfluss hat und der maßgeblich­e Entscheide­r für alle grundsätzl­ichen Weichenste­llungen bei ZF ist. Der Betriebswi­rt weiß, wie mit Stiftungen umzugehen ist: Seine beiden vorherigen Arbeitgebe­r, Mahle und Bosch, sind ebenfalls im Besitz von Stiftungen. „Unsere Strategie für die nächsten Jahre hat der Aufsichtsr­at jedenfalls in voller Breite mitgetrage­n“, sagte Schieder kürzlich im „Handelsbla­tt“.

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FOTO: FELIX KAESTLE ZF-Chef Wolf-Henning Scheider.

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