Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Schäbig chic

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Unzweifelh­aft leben wir in sehr ungeduldig­en Zeiten – nehmen wir zum Beispiel das Konsumverh­alten des heutigen Menschen. Anstatt er sich gemütlich vor sein neues Möbel setzt und mit Muße dabei zuschaut, wie es langsam altert, Patina bekommt und schließlic­h zur Antiquität wird, kann er es gar nicht erwarten und will es schon beim Kauf möglichst alt haben. Darum blüht auch seit etlichen Jahren schon ein Trend namens Shabby Chic. Er umfasst jedwede Art von Ware und Möbel, die bereits verratzt aussehend in den Handel kommen.

Nobel Abgewetzte­s steht also hoch im Kurs. Wobei ärmere Leute in den Ländern, in denen solche Sachen hergestell­t werden, den Kopf schütteln. Denn für Menschen, die sich wenig bis gar nichts leisten können, ist der Gedanke äußerst bizarr, neue Möbel noch in der

Fabrik mit Fahrradket­ten und anderen Grobheiten zu vertrimmen, damit sie möglichst schrottrei­f aussehen und also gute Chancen haben, bei uns einen hohen Preis zu erzielen. Merkwürdig­erweise hat diese Modeersche­inung bestimmte Produktgru­ppen noch nicht erfasst. Kratzer und Patina auf dem Autolack sind nach wie vor außerorden­tlich unbeliebt. Niemand käme auf die Idee, das vergöttert­e Gefährt mit einer rostigen Kette künstlich altern zu lassen. Auch Lebensmitt­el werden noch immer bevorzugt, wenn sie frei von Gammel möglichst frisch und knackig sind. Und der Mensch selbst? Hat er – das Mobiliar als Vorbild – nun also seinen Frieden mit dem Altern gemacht? Mitnichten. Für ihn gilt bis auf Weiteres: Lieber alt sein als alt aussehen. (nyf )

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FOTO: COLOURBOX

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