Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Kein bisschen Frieden

Ukraine singt nicht beim ESC in Tel Aviv, weil Künstlerin auch in Russland auftritt

- Von Andreas Stein und Ulf Mauder

KIEW/MOSKAU (dpa) - Beim ESC in Tel Aviv im Mai müssen Fans in diesem Jahr ohne das in der Szene populäre Land Ukraine auskommen. Dabei ist das Land fast ein Schwergewi­cht – bei 15 Teilnahmen am ESC hat die Ukraine mit Ruslana (2004) und Jamala (2016) zweimal gesiegt und es neun Mal in die Top 10 geschafft. Diesmal sollte Maruv mit einer frivolen Nummer auftreten. Doch ihr Sieg beim Vorentsche­id löste politische­n Knatsch aus, weil die Sängerin – wie viele ukrainisch­e Popstars – auch in Russland mit Konzerten Geld verdient. Und Singen beim Feind geht aus Sicht eines kleinen, aber einflussre­ichen Teils der ukrainisch­en Gesellscha­ft gar nicht.

Nun verzichtet die Ukraine auf die Teilnahme am Eurovision Song Contest (ESC) in diesem Jahr, weil es weder mit Maruv noch mit den Nachplatzi­erten eine Einigung gab. Die Gruppe Kazka etwa schrieb bei Instagram: „Unsere Mission ist, die Leute mit Musik zu einen, aber nicht Zwietracht zu säen“. Mit „Traurigkei­t“reagierte die European Broadcasti­ng Union, die internatio­nal über den Wettstreit wacht. Doch der Eklat zeigt auch, wie es um die künstleris­che Freiheit in dem in die EU strebenden Land steht. Sie wolle keine Werbung machen für die ukrainisch­e Politik, teilte Maruv mit.

Ihr Land sieht sich im Krieg mit Russland – seit bei Kämpfen zwischen prorussisc­hen Separatist­en und ukrainisch­en Soldaten in der Ost-Ukraine Tausende Menschen gestorben sind. Zudem hat sich Russland vor fünf Jahren die laut Völkerrech­t zur Ukraine gehörende Schwarzmee­rhalbinsel Krim einverleib­t. Zu spüren bekam den Konflikt 2017 auch die im Rollstuhl sitzende russische Sängerin Julia Samoilowa, die wegen eines Auftritts auf der Krim in dem Jahr nicht beim ESC in Kiew singen durfte.

Die öffentlich-rechtliche Fernsehans­talt der Ukraine teilte jetzt mit, der Vorentsche­id habe aufgedeckt, dass die Musikindus­trie in der Ukraine ein Systemprob­lem habe. „Die Verbindung­en der Künstler mit dem Showbusine­ss auf dem Gebiet des Aggressor-Staates bleiben auch im fünften Jahr des militärisc­hen Konflikts sehr eng“, teilte die Anstalt mit. Das sei nicht für alle in der Ukraine tragbar. Diskutiert werden soll deshalb ein Gesetz, das die künstleris­chen Beziehunge­n mit Russland regelt.

Dass ukrainisch­e Sänger zunehmend Nachteile haben in der Heimat, weil sie auf dem viel größeren russischen Markt mit Texten in dieser Sprache singen, zeigt einiges. Es zeigt auch, wie tief die Gräben zwischen den auch durch verwandtsc­haftliche Beziehunge­n und durch die russische Sprache verbundene­n Menschen beider Länder sind. Der in Russland sehr populäre Max Barskih etwa sah 2016 sein Konzert in Lemberg im Westen der Ukraine von Nationalis­ten blockiert. Ähnliches erlebten ESC-Teilnehmer­in Ani Lorak und ihre Kollegin Swetlana Loboda, die in Russland leben.

Auch andere populäre Künstler aus der Ukraine wie Irina Bilyk, die Band Wremja i Steklo, Olga Poljakowa und Iwan Dorn setzen auf Russisch als Sprache, die die Führung in Kiew aber per Gesetz immer mehr aus dem öffentlich­en Leben verdrängen will. ESC-Siegerin Ruslana fragte bei Facebook: „Was wollen wir damit sagen oder beweisen? Welche Botschaft tragen wir damit in die Welt?“

Für Deutschlan­d tritt das Duo S!sters mit dem Song „Sister“an. Russland schickt übrigens Sergej Lasarew ins Rennen, der es nach einer Niederlage 2016 in Stockholm gegen die Ukrainerin Jamala nun noch einmal versucht.

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FOTO: DPA Sängerin Maruv tritt nicht beim ESC auf.

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