Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Haftstrafe für Pflegeeltern
Paar streitet Misshandlung eines Dreijährigen ab
MANNHEIM (dpa) - Schläge, Fausthiebe, Eisduschen, Nahrungsentzug – ein Dreijähriger ging in seiner Pflegefamilie durch die Hölle. Das Ehepaar muss nach einem Urteil des Amtsgerichts Mannheim mehrere Jahre ins Gefängnis. Die 44-jährige Pflegemutter bekam eine Strafe von drei Jahren und elf Monaten Freiheitsentzug, ihr gleichaltriger Mann von drei Jahren. Die beiden bestritten die Vorwürfe und versuchten, sich der Richterin und den beiden Schöffen als Opfer des Jugendamtes und des angeblich verhaltensauffälligen Kindes darzustellen. „Das einzige Opfer ist Justin“, betonte die Richterin Ulrike Schrage am Donnerstag.
Das Gericht glaubte der Darstellung des Paares nicht, dass der Pflegesohn sich selbst verletzt und die Haare ausgerissen habe. Auch für die Behauptung, der Kleine habe die Pflegemutter angegriffen, gewürgt und ihr Kopfstöße verpasst, gebe es keine Beweise. Er sei nach Aussagen von Zeugen ein guter Esser, die Erklärung der Pflegemutter für seinen Gewichtsverlust, er habe nicht essen wollen, sei damit widerlegt. Bei seinem zehntägigen Krankenhausaufenthalt im Anschluss an das Martyrium habe er den Stationskühlschrank geplündert und Kekse gehortet.
Die Strafe wegen gefährlicher Körperverletzung und Misshandlung eines Schutzbefohlenen für die Pflegemutter liegt knapp unter der höchsten Strafe von vier Jahren, die das Amtsgericht für Erwachsene verhängen kann. Bei dem Mann übertraf das Gericht den Antrag der Staatsanwaltschaft um ein halbes Jahr. Richterin Schrage hielt der Frau vor: „Sie waren die Aktive, der Beitrag Ihres Mannes war im Wesentlichen Unterlassung.“
Leichte Behördenkritik
Das Paar, das zwei leibliche Kinder hat, ließ sich während der Urteilsbegründung äußerlich nichts anmerken. Die leibliche Mutter des Jungen, eine 22-Jährige, begrüßte die aus ihrer Sicht gerechte Strafe.
Nach Darstellung des Gerichts kümmerten sich der Angestellte und seine Frau anfangs ordnungsgemäß um den Bub. Unklar ist, was die Wende im Juli 2017 auslöste.
Der Bub hat sein Überleben einer Frau zu verdanken: Die ehemalige Kurzzeitpflegemutter hatte bei einem Besuch im September 2017 den Zustand des Kindes erkannt und das Jugendamt alarmiert – dieses war nach ihren Worten kurz zuvor in der Familie gewesen, ohne dass etwas aufgefallen wäre. Nach einem Dreivierteljahr wurde der Junge infolge des Hinweises aus der Pflege geholt. Auch die Richterin ließ leichte Behördenkritik anklingen. Es sei offen, ob ein früheres Eingreifen und eine engere Kontrolle der Pflegefamilie möglich gewesen seien. Die aufmerksame Frau hat den Jungen nun in Dauerpflege zu sich genommen.