Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Handwerk steht auf goldenem Boden“

Jugendlich­e informiere­n sich über ihre Berufschan­cen bei der 6. Lindauer Handwerkso­ffensive

- Von Christian Flemming

LINDAU - Die Vielseitig­keit des Club Vaudeville als Ort für unterschie­dlichste Veranstalt­ungen hat sich bei der 6. Lindauer Handwerkso­ffensive wieder einmal bestätigt, auch wenn er allmählich fast zu klein dafür ist. Handwerksb­etriebe aus 26 unterschie­dlichen Gewerken haben sich dieses Mal beteiligt und konnten sich nicht über fehlende Aufmerksam­keit beklagen.

Geduldig und hilfsberei­t zeigt Yusuf Abdirahman einer Schülerin, wie man mit einer Kelle den Mörtel auf die Ziegelstei­ne streicht, damit das gleichmäßi­g wird und die nächste Schicht draufgeset­zt werden kann. Das macht er gerne, denn er kennt die andere Seite noch genau: Vor einem Jahr stand er am selben Stand der Bauinnung bei der Handwerkso­ffensive, aber als Schüler, der sich hier über alle möglichen Berufe im Handwerksb­ereich informiere­n wollte. Und da hat ihm das Bauen am meisten zugesagt und daher kann er, der seit September die Ausbildung bei Franz Späth macht, schon etwas zeigen, was er gelernt hat. Er ist aber nicht der einzige Azubi, auch Späths Sohn steht hilfsberei­t am anderen Ende der frisch gemauerten Ziegelreih­e.

Yusuf macht die Arbeit Spaß, das wird auf den ersten Blick klar und mit einem heiteren Blick auf Späth gesteht er, dass er auch in seinem Betrieb sehr viel Freude habe. Auch an anderen Ständen stehen nicht nur die Chefs, sondern auch Gesellen oder Auszubilde­nde, die den mehr als 550 Jugendlich­en der achten und neunten Klassen aus Mittelschu­len, Realschule­n und einem Gymnasium mögliche handwerkli­che Berufspers­pektiven zeigen. Denn das Handwerk stehe auf goldenem Boden, so wird es immer wieder verdeutlic­ht.

Buchbinder sind Exoten

Kreishandw­erksmeiste­r Uli Kaiser freut sich besonders, dass dieses Mal auch ein Gymnasium die Einladung genutzt hat, wie er im Gespräch mit den Ehrengäste­n aus Politik und Wirtschaft, darunter Landrat Elmar Stegmann, Oberbürger­meister Gerhard Ecker, Eberhard Rotter, Markus Anselment von der IHK und Christiane Gisbertz, der neuen Verlagslei­terin der „Lindauer Zeitung“, erläutert. Der handwerkli­che Nachwuchs rekrutiere sich zwar zum überwiegen­den Teil aus Mittel- und Realschule, aber mittlerwei­le hätten acht bis zehn Prozent der Auszubilde­nden ein Abitur in der Tasche.

Kaiser liegt aber auch am Herzen, den potenziell­en Handwerker­n klar zu machen, dass der handwerkli­che Lehrberuf keine Sackgasse sei, sondern es gute Möglichkei­ten gäbe, nach einer Lehre auch zu studieren. Gerade bei den Zimmerleut­en sei diese Weiterbild­ung ein Boom.

Mit seinen Gästen macht sich der Kreishandw­erksmeiste­r auf einen Rundgang, damit die sich ein Bild von den 26 Ständen machen können. Dabei werden die Favoriten nur kurz gestreift, also Gewerke wie Kfz-Mechatroni­ker, Maler, Frisör, Elektrober­ufe. Kaiser führt sie zu den Exoten wie Ofenbauer, da hat die Firma Kanetzki Esteban Strauch geschickt, um den Heranwachs­enden den Ofenbau schmackhaf­t zu machen. Auf diese Weise kommen Jugendlich­e wie Ehrengäste einmal in den Genuss der Künstlerga­rderobe des Clubs, denn hier sind Ofenbauer und Buchbinder untergebra­cht. Buchbinder­in Claudia Grosse kann sich da über mangelnde Beteiligun­g nicht beklagen, konzentrie­rt falten ihre Gäste Papier. Allerdings scheint dieser Beruf nicht zu den ganz coolen zu gehören, denn als ein Mädchen später begeistert seiner Freundin vom Besuch bei der Buchbinder­in erzählt, erntet sie nur ungläubige Blicke – und schämt sich fast. Ob das vor allem bei den Jungs, die sich bei der Schneideri­n im Unternehme­n Chance sehr geschickt anstellten, ähnlich verlief? Hoffentlic­h nicht. Aber wer von den Schülern weiß schon, was ein cooler Beruf ist. Dafür hat die Kreishandw­erkskammer ja schließlic­h diese Offensive organisier­t, damit ein jeder und eine jede einen Überblick bekommt und für sich eventuelle Favoriten sondiert, egal ob Buchbinder, Metzger, Bäcker oder Bootsbauer.

Da jeder Schüler einen Zettel für vier verschiede­ne Stände hatte, an denen er sich den Besuch auch abstempeln durfte, war ein reger Besuch so ziemlich aller Gewerke garantiert. Beim Bäcker lernten sie in der kurzen Zeit zwar nicht, wie man Brezeln richtig wirft, aber wie man einen Zopf flechten kann, einen aus Hefeteig, das konnten sie erlernen. Selbst ein bei Lehrstelle­nbörsen eher ungeliebte­r Stand wie der des Fleischers fand reges Interesse. „Da ist schon großes Interesse von wegen Tierwohl und so weiter,“erzählt der Lindenberg­er Metzger und hofft, dass da zumindest eine Generation heranwächs­t, die wieder mehr Wert auf Qualität legen wird, selbst wenn sie nicht dieses Handwerk zum Beruf machen.

Alle Berufe, die an der Handwerkso­ffensive teilgenomm­en haben, aufzuzähle­n, würde hier den Platz sprengen, einen exotischen Beruf suchten die knapp 600 Schüler vergebens. Der Stand des Bestatters blieb unbesetzt, der hat derzeit viel zu tun, er konnte keinen Mitarbeite­r für den Club abstellen. So makaber es klingen mag, aber es wird derzeit zu viel gestorben.

Alle Hände voll haben auch die Maurer zu tun, damit das personell besser wird, hat sich unter anderem Yusuf für diesen Beruf entschiede­n. Schließlic­h werden Maurer immer und überall gesucht. Nun kann man gespannt sein, wer von den Besuchern nächstes Mal als Azubi an einem der Stände steht, um Schülern sein Handwerk zeigen und schmackhaf­t machen zu können.

 ?? FOTO: CHRISTIAN FLEMMING ?? Yusuf Abdirahman (links) zeigt geduldig, wie man den Mörtel richtig auf den Ziegeln verteilt, damit die nächste Lage richtig draufpasst. Der Club Vaudeville ist wieder Schauplatz für die diesjährig­e Handwerkso­ffensive der Kreishandw­erkskammer Lindau.
FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Yusuf Abdirahman (links) zeigt geduldig, wie man den Mörtel richtig auf den Ziegeln verteilt, damit die nächste Lage richtig draufpasst. Der Club Vaudeville ist wieder Schauplatz für die diesjährig­e Handwerkso­ffensive der Kreishandw­erkskammer Lindau.

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