Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Politiker sitzen Entscheidung über Sperrbezirk aus
Offenbar soll erst nach der Kommunalwahl über das unangenehme Thema beraten werden
RAVENSBURG - Ein unangenehmes Thema wird weiter verschleppt: Offenbar will sich der amtierende Gemeinderat nicht mehr mit dem Sperrbezirk für Ravensburg befassen. Nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“soll der Erlass, der genau regelt, wo künftig Prostitution erlaubt ist und wo nicht, erst nach der Kommunalwahl im Mai behandelt werden. Offiziell verfügt wird die Sperrbezirksverordnung dann vom Regierungspräsidium Tübingen (RP).
Ziemlich sicher steht wohl fest: Bestehende Bordelle wie die „Agentur Ravensburg“in der Rosmarinstraße oder die „Klosterfrauen“in der Klosterstraße genießen Bestandsschutz. Anders als vom Ersten Bürgermeister Simon Blümcke erhofft, kann das Rotlichtgewerbe nicht aus der Altstadt verbannt werden, auch wenn sich dort keine neuen Bordellbetreiber niederlassen dürfen. Zu diesem Ergebnis kommt sogar der eigene Gutachter, der im Auftrag der Stadtverwaltung tätig war. „Eine Gefährdung des Schutzes der Jugend und des Schutzes des öffentlichen Anstandes ist für keinen der Standorte aktuell festzustellen“, schreibt er. Und weiter: „Bestehende Betriebe, die der Prostitution dienen, haben Bestandsschutz. Diese dürfen somit auch innerhalb einer Sperrgebietszone betrieben werden.“
Untersagt werden soll das älteste Gewerbe der Welt aber künftig in der Nähe von Schulen, Spielplätzen, Jugendeinrichtungen, Kindergärten, Kirchen, Friedhöfen und sozialen Einrichtungen. Die sogenannten Toleranzzonen liegen ausschließlich in reinen Gewerbegebieten oder Mischgebieten für Wohnen und Gewerbe. Konkret handelt es sich um Erlen, Karrer, Mariatal, Teile der Bleicherstraße und ein Areal an der Schubertstraße/Schwanenstraße. Zu klein dürfen die Toleranzzonen nicht sein, weil die Verordnung ansonsten leicht vor Gericht anfechtbar wäre. Zuletzt hatte sich das Regierungspräsidium Tübingen im Auftrag der Stadt Friedrichshafen eine blutige Nase vor dem Verwaltungsgericht Mannheim (VGH) geholt, nachdem vier Prostituierte aus der Stadt am Bodensee erfolgreich gegen eine zu restriktive Sperrbezirksverordnung geklagt hatten.
Nachbarn dürften nicht begeistert sein
Das Thema ist aus mehreren Gründen heikel: Erstens sind Gebiete, in denen Prostitution erlaubt ist, häufig einem „Trading-down“-Effekt unterworfen. In der unmittelbaren Nachbarschaft siedeln sich seriöse Unternehmen nicht gerne an oder ziehen sogar weg. Zweitens nehmen einige Nachbarn Anstoß am horizontalen Gewerbe und fürchten einen Wertverlust ihrer Grundstücke und Häuser. Kein populäres Thema also so kurz vor der Kommunalwahl. Drittens könnte allein der Erlass zu einer „Sogwirkung“führen, wie ein Stadtrat befürchtet, der nicht namentlich genannt werden will. Dann könnten Bordellbetreiber nämlich auf die Idee kommen, sich verstärkt in den betreffenden Toleranzzonen anzusiedeln. „Wir halten uns deshalb lieber komplett zurück, zumal es derzeit ja keine Probleme gibt“, sagt der Kommunalpolitiker.
Die gab es zuletzt 2013. Damals wollte ein Münchner Rotlichtunternehmer ein Laufhaus mit 17 Zimmern in der Ravensburger Jahnstraße einrichten. Unter einem Laufhaus versteht man ein Bordell, in dem die Freier über einen Gang an den Zimmern vorbeiflanieren (laufen) und sich dann eine Prostituierte aussuchen. Der Stadtverwaltung gelang es seinerzeit nur mit Mühe und Not und einer Veränderungssperre samt Gerichtsverfahren, das Vorhaben in die Länge zu ziehen, bis die Ravensburger Vermieter dem Rotlichtunternehmer schließlich absagten. „Ähnliche Anfragen kann es aber jederzeit wieder geben, und dann wissen wir nicht, ob wir ohne Sperrbezirksverordnung damit durchkommen“, meint Jochen Fischinger von den Freien Wählern. Seit etwa fünf Jahren laborieren die Stadtverwaltung und das RP daran herum. Zunächst kam 2015 die schwierige Verteilung der Flüchtlinge dazwischen, die die Prioritäten verschob, und nach dem Urteil des VGH Mannheim gegen die Sperrbezirksverordnung der Stadt Friedrichshafen im Jahr 2016 musste noch einmal von vorn begonnen werden.
Erster Bürgermeister Simon Blümcke war trotz mehrmaligen Nachfragens innerhalb von 14 Tagen nicht in der Lage zu sagen, wann sich der Gemeinderat öffentlich mit der Materie auseinandersetzen wird, sodass die Verordnung erlassen werden kann. Bis zum Wahltermin am 26. Mai kommt das Stadtparlament nur noch zweimal zusammen – abgesehen von einer gemeinsamen Sitzung mit dem Schülerrat, wo das Thema kaum auf der Tagesordnung stehen dürfte.