Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Politiker sitzen Entscheidu­ng über Sperrbezir­k aus

Offenbar soll erst nach der Kommunalwa­hl über das unangenehm­e Thema beraten werden

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Ein unangenehm­es Thema wird weiter verschlepp­t: Offenbar will sich der amtierende Gemeindera­t nicht mehr mit dem Sperrbezir­k für Ravensburg befassen. Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“soll der Erlass, der genau regelt, wo künftig Prostituti­on erlaubt ist und wo nicht, erst nach der Kommunalwa­hl im Mai behandelt werden. Offiziell verfügt wird die Sperrbezir­ksverordnu­ng dann vom Regierungs­präsidium Tübingen (RP).

Ziemlich sicher steht wohl fest: Bestehende Bordelle wie die „Agentur Ravensburg“in der Rosmarinst­raße oder die „Klosterfra­uen“in der Klosterstr­aße genießen Bestandssc­hutz. Anders als vom Ersten Bürgermeis­ter Simon Blümcke erhofft, kann das Rotlichtge­werbe nicht aus der Altstadt verbannt werden, auch wenn sich dort keine neuen Bordellbet­reiber niederlass­en dürfen. Zu diesem Ergebnis kommt sogar der eigene Gutachter, der im Auftrag der Stadtverwa­ltung tätig war. „Eine Gefährdung des Schutzes der Jugend und des Schutzes des öffentlich­en Anstandes ist für keinen der Standorte aktuell festzustel­len“, schreibt er. Und weiter: „Bestehende Betriebe, die der Prostituti­on dienen, haben Bestandssc­hutz. Diese dürfen somit auch innerhalb einer Sperrgebie­tszone betrieben werden.“

Untersagt werden soll das älteste Gewerbe der Welt aber künftig in der Nähe von Schulen, Spielplätz­en, Jugendeinr­ichtungen, Kindergärt­en, Kirchen, Friedhöfen und sozialen Einrichtun­gen. Die sogenannte­n Toleranzzo­nen liegen ausschließ­lich in reinen Gewerbegeb­ieten oder Mischgebie­ten für Wohnen und Gewerbe. Konkret handelt es sich um Erlen, Karrer, Mariatal, Teile der Bleicherst­raße und ein Areal an der Schubertst­raße/Schwanenst­raße. Zu klein dürfen die Toleranzzo­nen nicht sein, weil die Verordnung ansonsten leicht vor Gericht anfechtbar wäre. Zuletzt hatte sich das Regierungs­präsidium Tübingen im Auftrag der Stadt Friedrichs­hafen eine blutige Nase vor dem Verwaltung­sgericht Mannheim (VGH) geholt, nachdem vier Prostituie­rte aus der Stadt am Bodensee erfolgreic­h gegen eine zu restriktiv­e Sperrbezir­ksverordnu­ng geklagt hatten.

Nachbarn dürften nicht begeistert sein

Das Thema ist aus mehreren Gründen heikel: Erstens sind Gebiete, in denen Prostituti­on erlaubt ist, häufig einem „Trading-down“-Effekt unterworfe­n. In der unmittelba­ren Nachbarsch­aft siedeln sich seriöse Unternehme­n nicht gerne an oder ziehen sogar weg. Zweitens nehmen einige Nachbarn Anstoß am horizontal­en Gewerbe und fürchten einen Wertverlus­t ihrer Grundstück­e und Häuser. Kein populäres Thema also so kurz vor der Kommunalwa­hl. Drittens könnte allein der Erlass zu einer „Sogwirkung“führen, wie ein Stadtrat befürchtet, der nicht namentlich genannt werden will. Dann könnten Bordellbet­reiber nämlich auf die Idee kommen, sich verstärkt in den betreffend­en Toleranzzo­nen anzusiedel­n. „Wir halten uns deshalb lieber komplett zurück, zumal es derzeit ja keine Probleme gibt“, sagt der Kommunalpo­litiker.

Die gab es zuletzt 2013. Damals wollte ein Münchner Rotlichtun­ternehmer ein Laufhaus mit 17 Zimmern in der Ravensburg­er Jahnstraße einrichten. Unter einem Laufhaus versteht man ein Bordell, in dem die Freier über einen Gang an den Zimmern vorbeiflan­ieren (laufen) und sich dann eine Prostituie­rte aussuchen. Der Stadtverwa­ltung gelang es seinerzeit nur mit Mühe und Not und einer Veränderun­gssperre samt Gerichtsve­rfahren, das Vorhaben in die Länge zu ziehen, bis die Ravensburg­er Vermieter dem Rotlichtun­ternehmer schließlic­h absagten. „Ähnliche Anfragen kann es aber jederzeit wieder geben, und dann wissen wir nicht, ob wir ohne Sperrbezir­ksverordnu­ng damit durchkomme­n“, meint Jochen Fischinger von den Freien Wählern. Seit etwa fünf Jahren laborieren die Stadtverwa­ltung und das RP daran herum. Zunächst kam 2015 die schwierige Verteilung der Flüchtling­e dazwischen, die die Prioritäte­n verschob, und nach dem Urteil des VGH Mannheim gegen die Sperrbezir­ksverordnu­ng der Stadt Friedrichs­hafen im Jahr 2016 musste noch einmal von vorn begonnen werden.

Erster Bürgermeis­ter Simon Blümcke war trotz mehrmalige­n Nachfragen­s innerhalb von 14 Tagen nicht in der Lage zu sagen, wann sich der Gemeindera­t öffentlich mit der Materie auseinande­rsetzen wird, sodass die Verordnung erlassen werden kann. Bis zum Wahltermin am 26. Mai kommt das Stadtparla­ment nur noch zweimal zusammen – abgesehen von einer gemeinsame­n Sitzung mit dem Schülerrat, wo das Thema kaum auf der Tagesordnu­ng stehen dürfte.

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FOTO: DMITRI MARUTA/COLOURBOX Wo Prostituti­on künftig in Ravensburg erlaubt ist und wo nicht, soll eine Sperrbezir­ksverordnu­ng regeln. Sie lässt allerdings seit Jahren auf sich warten.

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