Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Zu klein für gutes Doping

Der nächste Dopingskan­dal erschütter­t Österreich – Nordisch-Chef Gandler muss gehen

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SEEFELD (SID/dpa/sz) - Verhaftung­en quasi kurz vor der Startlinie, Blutpansch­ereien, norwegisch­e Ex-Sünder in Triumphpos­e: Der Skilanglau­f gibt bei den Nordischen WM ein jämmerlich­es Bild ab. Die Doping-Enthüllung­en von Seefeld stellen die Sportart unter Generalver­dacht – eine logische Folge jahrelange­r Verfehlung­en.

„Traurig und schön zugleich“sei, was in Seefeld geschehen ist, sagte Bundestrai­ner Peter Schlickenr­ieder, dem angesichts der vogelwilde­n Volten der Kragen platzte: „Schön, weil die Saubären, die beschissen haben, aus dem Verkehr gezogen wurden. Geschissen auf das ewige Gerede von Medaillenc­hancen. Es geht um mehr.“

Der 49-Jährige und seine Läufer haben sich saubere Methoden auf die Fahnen geschriebe­n, betreiben immensen Aufwand, kämpfen um Fördergeld­er und Anschluss an die Weltspitze – und müssen sich an der Nase herumgefüh­rt fühlen. „Das ist extrem traurig, so macht es keinen Spaß“, sagte Lucas Bögl, WM-26. über 15 km.

Ein Traditions­sport verkommt zum Schmierent­heater. In Seefeld gab es für die 10 000 Zuschauer keine offizielle Informatio­n über den Polizeiein­satz mit fünf verhaftete­n Athleten, darunter zwei des Gastgebers. Kein Wort darüber, dass vier auf der Startliste geführte Läufer festgenomm­en worden waren. Ein in Mobil-InternetZe­iten kläglicher Versuch, die Öffentlich­keit für dumm zu verkaufen.

Als Norwegens Sieger Martin Johnsrud Sundby vor die Presse trat, waren Fragen zum morgendlic­hen Geschehen verboten. Auch kam nicht zur Sprache, dass Sundby einst selbst bestraft worden war, wegen unsauberer Anwendung eines Asthmamitt­els. Seine Zwei-Monats-Sperre durfte Sundby damals im Sommer absitzen.

18 Monate musste Landsfrau Therese Johaug aussetzen, nachdem sie positiv auf ein – in einer Creme enthaltene­s – Steroid getestet worden war. In Seefeld räumt Johaug groß ab, Fragen zu ihrer Vergangenh­eit sind ebenfalls unerwünsch­t. Gian Franco Kasper, Chef des Weltverban­des FIS, hätte Johaug gerne länger aus dem Verkehr gezogen. Zu den Razzien am Mittwoch sagte die FIS: nichts.

Probleme werden totgeschwi­egen, Täter als Einzelfäll­e deklariert. Die Vorfälle seien „eine Katastroph­e für unseren Sport“, sagte Markus Cramer, deutscher Trainer der russischen Mannschaft, bei xc-ski.de: „Ich weiß, was das heißt, in diesem Sumpf verdächtig­t zu werden.“Fünf Jahre nach dem mutmaßlich­en Staatsdopi­ng bei Heim-Olympia in Sotschi dürfen sich Russlands Skilangläu­fer offiziell unbescholt­en präsentier­en.

Die gnadenlose Ignoranz der Branche repräsenti­eren die Österreich­er mit ihrem seit 1990 amtierende­n Verbandspr­äsidenten Peter Schröcksna­del. Der 77-Jährige überstand die „Blutbeutel-Affäre“bei Olympia 2002, die Doping-Razzien bei Olympia 2006 und den Dopingfall Johannes Dürr 2014, dessen Aussagen die Seefelder Festnahmen ermöglicht­e. Ein Dopingsyst­em habe es in Österreich nie gegeben, der Verband sei schuldlos. Kaum zu glauben angesichts der inzwischen bereits sechs Skandale seit 2002 im nationalen Langlauf. „Österreich ist als Land zu klein für gutes Doping“– seine Aussage von 2006 hängt Schröcksna­del nach. Am Mittwoch sagte er: „Wir als Skiverband sind betroffen, aber keine Täter.“Alleinschu­ld hätten die „zwei Trottln“.

Wie jenseits jeder Skrupel und Scham agiert wurde, zeigte Max Hauke. „Den schönen Sport lasse ich mir durch die Dopingprob­lematik nicht kaputtmach­en. Ich mache das sauber, das ist meine Linie“, sagte er im Januar über Ex-Teamkolleg­e Dürr. Hauke war jener ÖSV-Athlet, der noch die Kanüle im Arm hatte, als ihn die Fahnder festnahmen – auf einem Video der Fahnder, das der Vorarlberg­er Zeitung zugespielt wurde, sieht man exakt das.

Schröcksna­del dagegen warf Dürr vor, nicht früher ausgepackt zu haben, „dann wären wir heute nicht da“, bei seinem Verband sieht er keine Schuld. „Schade, dass wir als Skiverband betroffen sind, wir sind aber keine Täter“, sagte er und verglich die Situation mit der von Drogen nehmenden Kindern. „Das wächst im Geheimen. Die Eltern erfahren es als Letzte.“

Österreich will Langläufer verbannen

Konsequenz­en gab es trotzdem. Markus Gandler, wie Schröcksna­del seit Jahren im Amt, wird seinen Posten als Sportliche­r Leiter für Langlauf und Biathlon am Saisonende verlieren. „Die politische Verantwort­ung liegt bei ihm“, sagte der ÖSV-Chef. Der 52Jährige zeigte Verständni­s für die Entscheidu­ng. „Das heißt nicht, dass das ein Schuldeing­eständnis ist. Aber irgendwann ist das Vertrauen aufgebrauc­ht“, sagte Gandler. Schröcksna­del kündigte zudem an: „Ich werde in der nächsten Präsidiums­sitzung den Ausschluss der Langläufer aus dem Verband fordern. Ich habe keine Lust, jedes Mal Angst zu haben, dass jemand aus dem Bereich etwas tut, für das ich dann geradesteh­en muss.“

Auch in Deutschlan­d sorgt der Skandal für Entsetzen, zumal in Sportmediz­iner Mark Schmidt, der seit Jahren Blutdoping an Spitzenspo­rtler durchführe­n soll, die zentrale Person aus Erfurt stammt. Der 40-Jährige, dem eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren droht, ist seit gestern wie seine drei Komplizen in U-Haft. Drei geständige Langläufer, darunter die Österreich­er, sind dagegen wieder frei. „Ich gehe davon aus, dass der Fall weitere Kreise ziehen wird, auch in andere Sportarten hinein“, sagte Lars Mortsiefer, Vorstand der Nationalen Anti-Doping-Agentur, ähnlich wie das österreich­ische Bundeskrim­inalamt tags zuvor. Schmidt, der für die Radsportte­ams Gerolstein­er und Milram arbeitete, soll auch Schwimmer, Radsportle­r, Fußballer, Handballer und Leichtathl­eten betreut haben. DOSBPräsid­ent Alfons Hörmann schloss aus, dass auch deutsche Kader-Athleten in der Praxis behandelt wurden.

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FOTO: AFP „Ich mache das sauber“: Der Österreich­er Max Hauke, in flagranti erwischt, gab sich noch im Januar als Unschuldsl­amm.

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