Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Reste als Müll-Ärgernis
Warum manche Verpackungen nie ganz leer werden
RAVENSBURG (dre) - Mit Tricks muss sich der Verbraucher manchmal behelfen, wenn es darum geht, den Inhalt komplett aus der Verpackung zu bekommen. Der Grund für den alltäglichen Ärger um Ketchup, das nie vollends aus der Flasche läuft, und Duschgel, das im Plastikcontainer klebt, hat einen sperrigen Namen: Restentleerbarkeit. In manchen Fällen seien es bis zu 20 Prozent Inhalt, die in der Verpackung bleiben, sagt Professor Markus Schmid, der an der Hochschule AlbstadtSigmaringen lehrt und forscht. In den vergangenen Jahren hat sich auf dem Verpackungsmarkt einiges getan. Bis die Ketchupflasche mit Nanobeschichtung auf den Markt kommt, wird es allerdings wohl noch dauern.
RAVENSBURG - Wer kennt es nicht: Die Zahnpastatube wird ausgequetscht, aber der gesamte Inhalt kommt nicht heraus. In der Ketchupflasche hält sich ein hartnäckiger Rest, egal wie oft die Flasche geschüttelt wird. Und die Bodylotion wird zwar nie komplett leer, das letzte bisschen ist aber auch nicht herauszulocken. Das ärgert den Verbraucher, kostet ihn Geld und belastet die Umwelt.
„Ich werde das Nasenspray jetzt mit dem Multitool aufschneiden und mir den Rest so in die Nase kippen“, ärgert sich Markus Schmid. Aus dem kleinen Sprühfläschchen kommt nichts mehr, aber wenn er es schüttelt, hört Schmid, dass noch ein paar Tropfen drin sind. Schmid ist Professor an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen. Dort lehrt und forscht er zu den Themen Prozesstechnik und Prozessdesign in der Life Sciences Industrie. Den Schwerpunkt legt er auf nachhaltige Verpackungsmaterialien sowie Haltbarmachungs- und Verpackungsprozesse. Zuvor arbeitete Schmid rund zehn Jahre am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV in Freising. „Reste, die weggeworfen werden, sind ein großes Problem“, sagt er. Die Restentleerbarkeit, so der etwas sperrige Begriff für das Ärgernis im Haushalt, sei ein wichtiger Faktor für Nachhaltigkeit. In manchen Fällen seien es bis zu 20 Prozent Inhalt, der in der Verpackung bleibt.
Wie gut sich ein Behälter entleeren lässt, hängt von mehreren Faktoren ab. So lässt sich trockenes Pulver leichter aus dem Gefäß bekommen als etwa zähflüssige Creme. Auch das Design der Verpackung spielt eine Rolle: Besonders kritisch sind Schmid zufolge Tuben mit einem großen „Schulterdurchmesser“, dem Bereich rund um die Öffnung. Je nach Material kann die Tube einen „toten Winkel“haben – und verhindern, dass alles herauskommt.
Immer wieder werfen Verbraucher den Herstellern vor, dass sie ihre Produkte extra so verpacken – damit der Konsument schneller nachkaufen muss. Diese Theorie findet Schmid nicht plausibel: „Die Hersteller sind in einem hart umkämpften Markt. Wenn ich nicht an das Produkt herankomme, kaufe ich nächstes Mal eins, bei dem ich wirklich alles nutzen kann.“Ihre Kunden zu verärgern, daran können die Unternehmen seiner Meinung nach nicht interessiert sein.
Aber warum kommen innovative Ideen nicht im Massenmarkt an? Die US-Firma Liquiglide, ein Start-up des renommierten Massachussetts Institute for Technology, hat ein Art Imprägnierflüssigkeit für Produktverpackungen entwickelt. Die Innenbeschichtung lässt Flüssigkeiten und zähe Inhalte ohne Rückstände aus Behältern laufen. Doch ein Blick auf die Internetseite des Unternehmens zeigt: Die letzte Pressemitteilung ist von 2017, und auch der letzte Facebook-Post ist zwei Jahre alt. Eine Anfrage nach dem aktuellen Stand der Produktreife blieb unbeantwortet. Nun sind gerade bei Nano-Technologie auch die Bedenken der Verbraucher ein Faktor. Und es gibt auch Grenzen: So müssten Verpackungen etwa bei Lebensmitteln EU-Verordnungen entsprechen, sagt Schmid. Von der Idee zum Massenprodukt ist es ein langer Weg voller Hürden.
Nicht gesetzlich geregelt
Aus Sicht des Verbraucherschutzes müsste der Gesetzgeber aktiv werden: „Es gibt keine gesetzliche Regelung der entnehmbaren Menge“, sagt Christiane Manthey, Abteilungsleiterin Lebensmittel und Ernährung der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Während die Verpackungsverdordnung Füllmenge und mögliche Abweichung vorgibt, schreibt der Gesetzgeber nicht vor, wieviel Inhalt maximal in der Verpackung bleiben darf. Ressourcen dürften nicht durch schlechte Verpackungen verschwendet werden, sagt Manthey.
Vonseiten der Industrie heißt es, dass es bereits sehr gute Lösungen gebe und beständig weiter an der optimalen Restentleerbarkeit geforscht werde. „Wenn man Zahnpastatuben von vor 20 Jahren mit den heutigen Tuben vergleicht, merkt man deutlich die Fortschritte. Die sogenannte ‚Schulter‘, der Rand rund um die Öffnung, gibt es bei vielen Herstellern schon kaum mehr“, sagt Kim Cheng, Geschäftsführerin des Deutschen Verpackungsinstituts. „Es kommt halt immer auch darauf
an, dass der Produkthersteller die richtige Verpackung auswählt.“
Ob Verbraucher in Zukunft auch dem Einsatz von Beschichtungen aus Nanomaterialien positiv gegenüberstehen, werde man sehen müssen. „Gerade bei Nanomaterialien gibt es viele Vorbehalte. Aber es bestehen auch jenseits davon noch viele Möglichkeiten, die Restentleerbarkeit weiter zu verbessern.“Beim jährlich ausgerichteten Deutschen Verpackungspreis gebe es beispielsweise regelmäßig entsprechende Innovationen. 2016 etwa die „Active
Pouch“, eine Flasche, die sich nach dem Origami-Prinzip zusammenfalten und so restlos entleeren lässt.
Für die Industrie sei die Restentleerbarkeit ein „Baustein der Nachhaltigkeit“. Dabei dominierten aktuell die Themen Kunststoffvermeidung und Recyclingfähigkeit. „Das alles muss man zusammen bedenken“, so Cheng. „Da wird sich in Zukunft noch einiges tun.“