Schwäbische Zeitung (Tettnang)
In Algerien brodelt es
Zorn, Wut und Rufe nach freien Wahlen: In vielen algerischen Städten brodelt es. Das Land erlebt derzeit die größte Protestwelle der vergangenen Jahre. Seit bekannt wurde, dass sich der altersschwache Staatschef Abdelaziz Bouteflika am 18. April zum fünften Mal zum Präsidenten wählen lassen will, geht Algeriens junge Generation auf die Barrikaden. Die Menschen rufen: „Nein zum fünften Mandat!“Viele halten Schilder mit der durchgestrichenen Zahl 5 in die Höhe.
Der 81-Jährige schwer kranke Präsident Bouteflika tritt schon seit Jahren nicht mehr in der Öffentlichkeit auf. Bei offiziellen Veranstaltungen des Regimes oder der staatstragenden Partei wird üblicherweise nur ein riesiges Bild des Präsidenten präsentiert. Auf dem Foto schaut Bouteflika väterlich lächelnd auf sein Volk. Doch der Schein trügt: Bouteflika sitzt seit einem Schlaganfall in 2013 im Rollstuhl. Er kann sich nicht mehr bewegen, offenbar auch nicht mehr sprechen. Es ist unklar, ob er überhaupt noch selbst Entscheidungen trifft. Angeblich zieht im Präsidentenpalast schon länger Bouteflikas jüngerer Bruder Said (61) die Fäden. Zusammen mit den allmächtigen Generälen, welche Bouteflika im Jahr 1999 zum Präsidenten kürten, und die auf diese Weise bis heute ihre Macht in Algerien sicherten.
„20 Jahre sind genug“, skandierten Tausende von Menschen, die Demonstranten in Algeriens Hauptstadt Algier. auch an diesem Freitag nach dem Mittagsgebet wieder durch Algier und andere Städte zogen. Und sie riefen nach „freien und demokratischen Wahlen“. Die Polizei ging am Freitagnachmittag, wie an früheren Tagen, mit Tränengas gegen die Demonstranten vor. Polizeikräfte riegelten den Präsidentenpalast, Parlament und Regierungsgebäude in Algier ab.
Angst vor der Syrien-Spirale
Der Aufruf zur „Mobilisierung im ganzen Land“war über die sozialen Netzwerke verbreitet worden. Zu den Organisatoren der Proteste gehört die Plattform Mouwatana, zu der sich mehrere Oppositionsparteien und Bürgerrechtler zusammenschlossen. Algeriens Machtelite sorgt sich offenbar, dass die wachsende Wut außer Kontrolle geraten könnte. Regierungschef Ahmed Ouyahia (66) warnte im Parlament davor, dass die Demonstrationen in gewaltsame Auseinandersetzungen wie 2011 in Syrien münden könnte – wo aus den Protesten ein Bürgerkrieg mit Hunderttausenden Toten wurde, der seither wütet.
Auch in Algerien kam es damals zu Demonstrationen. Aus ähnlichen Gründen wie heute: Die Menschen protestieren gegen politischen Stillstand unter dem Bouteflika-Regime – und gegen fehlende Perspektiven für Algeriens junge Generation. Damals gelang es der Regierung, die Protestbewegung mit einigen sozialen Wohltaten zu besänftigen.
Zu jener Zeit war die Staatskasse des nordafrikanischen Öl- und Erdgaslandes, ein wichtiger Lieferant Europas, noch prall gefüllt. Seither ist der Rohölpreis aber stark gesunken. Die Perspektiven der jungen Generation, 70 Prozent der Algerier sind unter 30, sind nicht besser geworden. Rund ein Drittel der Jungen im arbeitsfähigen Alter steht ohne Job auf der Straße. Dies nährt die Frustration – und bei vielen den Traum von der Auswanderung in Richtung Europa.