Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Made in China 2025“
Von Benjamin Wagener NANJING/SCHANGHAI - Eigentlich will Chunhai Wang nicht über Handelspolitik, Auslandsmärkte und Einflusssphären sprechen. Eigentlich will der stellvertretende Geschäftsführer des kleinen chinesischen Autobauers Skywell auf der Innovationsmesse von Nanjing viel lieber über die Vorzüge seiner Fahrzeuge reden. Wie sehr Wang allerdings die weltwirtschaftlichen Ambitionen seiner Heimat prägen, zeigt eine beiläufige Bemerkung. „Natürlich werden 2035 die meisten Elektroautos in Europa und den USA aus China kommen“, sagt der SkywellManager. Natürlich, keine Frage – nicht Tesla, Daimler oder Volkswagen, sondern chinesische Autobauer wie Geely, BYD oder eben Wangs Unternehmen Skywell werden das Elektroauto der Zukunft herstellen.
Nach Jahrzehnten der Zurückhaltung strebt die Volksrepublik China seit der Jahrtausendwende nach Macht und Einfluss. Und das Selbstverständnis von Automanager Wang passt zu den Visionen von Staatschef Xi Jinping: China will künftig als eine der führenden Weltmächte behandelt werden. Klar ist dabei eines: Das kommunistische System versteht sich nicht als liberale, sondern als bürokratisch administrierte, autoritäre Ordnung, in der der Staat die Regeln vorgibt. Und China scheut sich nicht, diese Ordnung als Zukunftssystem in andere Länder zu exportieren, um die eigene Einflusssphäre auszudehnen.
Nach dem Willen der kommunistischen Partei führt der Weg zurück zum Glanz des alten Kaiserreichs über die Wirtschaft – und zwar über die erfolgreiche Nutzung der allgegenwärtigen digitalen Technologien. Die industriepolitische Strategie „Made in China“soll die Volksrepublik bis 2025 zum globalen Anführer dieser vierten industriellen Revolution machen. Xi Jinping hat Schlüsselsektoren identifiziert, auf die er die neue Macht Chinas gründen will – darunter die Bereiche Maschinenbau, Fertigungstechnik und Robotik, Automobilbau, Luft- und Raumfahrt sowie Bio- und Medizintechnik. Was einem Angriff auf den Wohlstand Baden-Württembergs gleichkommt, denn ausgerechnet diese Branchen gehören zu den tragenden Säulen der Volkswirtschaft im Südwesten.
Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut ist sich dieser Gefahr bewusst. „China hat eine klare Agenda: Spätestens 2049, zu ihrem 100-jährigem Bestehen, will die Volksrepublik mit ihrer speziellen Verflechtung von Markt- und Planwirtschaft zurück zu alter Größe“, sagte Hoffmeister-Kraut während ihrer Reise nach China der „Schwäbischen Zeitung“. „Vor diesem Hintergrund gibt es gerade einen Wettbewerb der Systeme.“
Die CDU-Politikerin besuchte in der vergangenen Woche mit einer Wirtschaftsdelegation den Großraum Shanghai und Shenzhen im Süden Chinas. Hoffmeister-Kraut traf sich unter anderem mit Vertretern des Autobauers und Daimler-Großaktionärs Geely und den Elektromobiltätspionieren von BYD, sie führte Gespräche beim Netzwerkausrüster Huawei und beim Technologiekonzern Tencent, der nach
Alibaba zu den einflussreichsten chinesischen Internetkonzernen gehört. Ihr Ziel war klar: Die Ministerin wollte ausloten, wie Chinas Wirtschaft den digitalen Wandel für sich nutzt – und was die baden-württembergischen Unternehmen der Dynamik der Volksrepublik entgegensetzen können. „China fordert uns heraus“, sagt Hoffmeister-Kraut. „Und wir müssen genau überlegen, welche Schwerpunkte wir bei Innovationen und Zukunftstechnologien setzen: Die Ansiedelung einer Batteriezellenfertigung in Baden-Württemberg muss einer sein genauso wie Investitionen in künstliche Intelligenz oder Projekte wie unser Cyber Valley.“
Handelspartner und Gegner
China ist allerdings nicht nur wirtschaftlicher Gegner, sondern seit Langem auch wichtiger Handelspartner der baden-württembergischen Wirtschaft: Als Ziel von Exporten setzte die Volksrepublik sich im vergangenen Jahr hinter den USA auf Platz zwei der wichtigsten Kunden. Insgesamt stieg das Exportvolumen 2018 um 1,4 Prozent auf gut 203 Milliarden Euro. Davon entfielen knapp 25,2 Milliarden auf Waren, die Unternehmen aus dem Südwesten in die USA lieferten, nach China gingen Produkte im Wert von gut 15,9 Milliarden. Chinesische Unternehmen verkauften 2018 im Gegenzug Produkte im Wert von 13,5 Milliarden in Baden-Württemberg.
Doch dieser Handel ist nicht fair, die Handelspartner begegnen sich nicht auf Augenhöhe. Vielmehr nutzt der chinesische Staat nach Meinung vieler deutscher Wirtschaftsvertreter seine autoritäre Ordnung, um eigene Industrien zu stärken, chinesische Unternehmen – staatliche wie private gleichermaßen – im Wettbewerb gegen ausländische Konkurrenz zu stützen. Und zwar ganz im Sinne des großen Ziels: der Stärkung der weltpolitischen Bedeutung der Volksrepublik. „Für mich ist das Vorgehen Chinas ein Alarmsignal“, erklärte Jan-Stefan Roell, Präsident der Industrieund Handelskammer Ulm, im Herbst im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Die Chinesen bauen in ihrem eigenen Land staatlich beschützte Großunternehmen auf, die dann im Inland ihre Produkte und Dienstleistungen so lange verbessern, bis sie Weltstandard haben. Und danach greifen sie auf dem Weltmarkt an und erobern Branche für Branche, ganz systematisch.“
So klagen deutsche Unternehmen beispielsweise darüber, dass Behörden bei Umweltauflagen ausländische und chinesische Wettbewerber nicht gleich behandeln. Auflagen beschränkten fremde Konzerne bei der Nutzung des Internets. Der Schutz geistigen Eigentums, von Patenten und Markenrechten sei nicht gewährleistet.
Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut hatte das heikle Thema bei ihren politischen Gesprächen auf ihrer Agenda und mahnte unter anderem bei ihrem Treffen mit Wu Zhenglong, dem Gouverneur der Provinz Jiangsu, eine faire Behandlung der baden-württembergischen Unternehmen an. Zuvor war sie beim Galadinner anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Partnerschaft zwischen Baden-Württemberg und Jiangsu für chinesische Verhältnisse sehr deutlich geworden. „Wir brauchen das Vertrauen, dass in China gleiche und faire Wettbewerbsbedingungen herrschen, dass die Investitionen und das Eigentum der Unternehmen geschützt sind“, sagte Hoffmeister-Kraut. „Viele Firmen in Baden-Württemberg sind sich allerdings nicht mehr sicher, ob diese Bedingungen in China wirklich erfüllt sind.“In Anwesenheit eines hohen Parteifunktionärs forderte die Politikerin eine „Win-Win-Partnerschaft auf Augenhöhe“.
Viele Unternehmer aus BadenWürttemberg haben den Kampf der Systeme angenommen – und blicken trotz großer Schwierigkeiten mit Zuversicht auf den chinesischen Markt. „Ich glaube an die Freiheit, die Kreativität und die Effizienz unseres Systems“, sagt Sven Schulz, Chef der Ravensburger Schulz-Gruppe, die industrielle Produktionsanlagen, Maschinen und Softwarelösungen plant und konstruiert sowie Batteriesysteme für Nutzfahrzeuge herstellt. Vor allem hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit müsse sich Baden-Württemberg nicht verstecken. „Wir sind deutlich effizienter und erreichen mit deutlich weniger Aufwand und Manpower sehr viel“, erläutert Schulz. Allerdings „muss Europa als Einheit auftreten und mit einer Stimme sprechen“, um China gewachsen zu sein.
Der Tuttlinger Maschinenbauer Chiron baut seine Produktion in China zurzeit aus – und Vorstandschef Markus Flik setzt im Wettstreit mit der Volksrepublik vor allem auf mittelständische Unternehmen. „Deutschland ist der Herausforderung gewachsen“, sagt Flik. „Im Mittelstand haben wir eine hohe unternehmerische und technische Kreativität.“Eine Kopie des chinesischen Systems mit Dirigismus und Protektionismus sei keine Lösung. „Wenn wir an freie Märkte glauben – und das müssen wir in Deutschland, weil wir vom Export abhängen“, verdeutlicht der Chiron-Chef, „müssen wir auch freie Märkte zulassen und einfordern.“
Die baden-württembergischen Maschinenbauer haben 2018 Maschinen und Anlagen im Wert von fünf Milliarden Euro nach China geliefert. „Ein großer Erfolg“, sagt der Geschäftsführer des baden-württembergischen Branchenverbands VDMA, Dietrich Birk. Allerdings habe der Druck der chinesischen Konkurrenz spürbar zugenommen. „Die Wettbewerber aus der Volksrepublik wollen die etablierten Industrien besetzen und fordern uns heraus“, erläutert Birk. Den politischen Anspruch der mit der Wirtschaftsoffensive Pekings einhergeht, „müssen wir anerkennen und unser eigenes Wertesystem dem entgegensetzen“.
Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut geht noch weiter, sie fordert einen neuen Aufbruch der Wirtschaft. „Wir müssen den Wettbewerb Mit der industriepolitischen Strategie will die chinesische Regierung die Wirtschaft der Volksrepublik zum Anführer im digitalen Zeitalter machen. Die Initiative zielt auf eine maßgebliche Verbesserung von Chinas Innovationsfähigkeit, Produktivität, Produktqualität und Effizienz, die bis 2025 erreicht werden soll. Chinesische Firmen sollen zu globalen Wettbewerbern aufgebaut werden, um so nach und nach ausländische Produkte im Inland zu ersetzen und ausländische Rivalen aus dem Markt zu drängen. Zentrale Felder, in denen die Strategie greifen soll, sind Informationstechnologien, die Maschinenfertigung, Luft- und Raumfahrtsysteme, Meerestechnik, Schienenverkehrssysteme, Autos mit alternativen Antrieben, Energiesysteme, landwirtschaftliche Maschinen, neue Materialien, Biomedizin sowie die Medizintechnik. (ben)
„Wir brauchen das Vertrauen, dass in China gleiche und faire Wettbewerbsbedingungen herrschen.“Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut zu Parteifunktionären der chinesischen Provinz Jiangsu
annehmen und auf eigene Innovationen setzen“, sagt Hoffmeister-Kraut. In der Grundlagenforschung sei nach wie vor keiner besser als Deutschland. „Es muss uns aber gelingen, aus diesen Ergebnissen selbst noch viel stärker Wertschöpfung, also marktreife und innovative Produkte, zu generieren.“Deutschland habe alle Vorraussetzungen, auch gegen das so stark gewordene „Hightech-Land“China zu bestehen.
Autoentwickler Chunhai Wang hat den von Nicole HoffmeisterKraut geforderten Wettbewerb angenommen, er will seine Elektroautos irgendwann auch in Europa verkaufen und gegen Unternehmen wie Daimler oder VW bestehen. Am Nebentisch auf der Innovationsmesse in Nanjing sitzt Steven Chen. Er ist beim Internetkonzern Tencent verantwortlich für die Provinz Jiangsu – und genauso zuversichtlich wie sein Kollege aus der Automobilbranche. „In fünf Jahren werden die Produkte von Tencent überall in Europa bekannt sein“, sagt Chen. Und er meint es genau so. Obwohl sein Unternehmen in Europa heute so gut wie keiner kennt.