Schwäbische Zeitung (Tettnang)
D An der Grenze
Dort, wo Trumps Mauer Migranten abschrecken soll, geht es um Leben und Tod – Unterwegs im umkämpften Grenzgebiet zwischen den USA und Mexiko
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urch die Stahlstäbe sieht man noch den alten Grenzstein. Ein grauer Obelisk, verwitterter Granit, in der Mitte eine verrostete Metallplatte. Im Jahr 1848, ist zu lesen, markierten die USA und Mexiko mit dem Friedensvertrag von Guadalupe Hidalgo ihre Grenze, alle zehn Meilen. Der Stein in der Nähe des verschlafenen Grenzübergangs Sasabe, wo Arizona endet und Mexiko beginnt, wird seit zehn Jahren von einem Zaun überragt. Rostbrauner Stahl, jede Stange so dick wie ein Oberarm. Und nun, seit ein paar Wochen, hängen an der sechs Meter hohen Barriere zwei Stacheldrahtrollen.
Hier, nur wenige Kilometer von Sasabe entfernt, geht die Wüste Sonora in die Ausläufer der San Luis Mountains über, einer kahlen, zerklüfteten Gebirgskette. Bislang hat man dort auf den Zaunbau verzichtet, in der Annahme, das schwierige Terrain sei Hindernis genug, um illegale Einwanderer abzuschrecken. Donald Trump will das bekanntlich ändern, er will die Lücken schließen. Wann, das weiß niemand in Sasabe. Im Januar jedenfalls rückten Soldaten der Nationalgarde an, um auf Weisung des Präsidenten Stacheldraht an den Stahlzaun zu binden. An einen Zaun, der im Nichts endet, wo die Berge beginnen. An einen Zaun, um den man einfach herumlaufen kann. „Trump wollte wohl zeigen, was für eine Gefahr da aus Mexiko droht“, vermutet Jerry Hamel. „Stacheldraht an der Grenze, das wirkt, als wäre Krieg. Es war Krisentheater, nur darum ging es.“
Jerry Hamel ist oft an dem Zaun. Mindestens einmal pro Woche fährt er in die Wüste, um Vorräte aufzufrischen. Er bringt Wasserflaschen, je eine Gallone, knapp vier Liter. Er stellt sie an Plätzen ab, die vermuten lassen, dass Migranten dort Rast machen auf ihrer Wanderung. Dort, wo ein paar knorrige Mesquite-Sträucher etwas Schatten spenden. Neben dem ausgetrockneten Bett eines Bachs, der sich in kürzester Zeit in einen reißenden Strom verwandelt, wenn es im Juli und August wolkenbruchartig regnet. In den Ästen hängen zerrissene Jacken, vergilbte Halstücher, offenbar vor Monaten von den Fluten herangespült.
Hamel will nicht, dass Menschen verdursten, die aus Mexiko kommend die trostlosen Täler am Rande der Wüste Sonora durchqueren, in der Hoffnung, es unentdeckt bis nach Tucson zu schaffen, in die nächste größere Stadt, etwa 110 Kilometer von der Grenze entfernt. Deshalb macht er mit bei den „Tucson Samaritans“, einer Hilfsorganisation, deren Freiwillige entlang vieler Trampelpfade Wasserflaschen ablegen.
Manche Migranten laufen sich die Füße wund und können das Tempo ihrer Gruppe nicht halten. Andere werden von Skorpionen gestochen oder von Klapperschlangen gebissen. Wer schwächelt, wird schnell im Stich gelassen von den Kojoten, den Schleppern. Manchmal erhält Jerry Hamel den Auftrag, nach Knochen zu suchen. Oder nach Jacken, Amuletten, Armbändern. Nach irgendetwas, was hilft, Vermisste zu identifizieren. Im Dezember riefen drei Schwestern aus Los Angeles bei den Samaritern in Tucson an. Sie schickten Fotos ihres Bruders, der hellbraune Stiefel trug, Jeans und einen schwarzen Rucksack. Josué, Anfang vierzig, war nach Mexiko abgeschoben worden, nachdem er in eine Verkehrskontrolle geraten war und keinen gültigen Führerschein vorzeigen konnte. In der Junihitze hatte er versucht, auf Schleichwegen zurückzukehren. „In der Nähe eines Flussbetts fanden wir braune Stiefel, Blue Jeans, einen schwarzen Rucksack. Wir fanden Rippenknochen, Teile einer Wirbelsäule und einen menschlichen Schädel, gebleicht von der Sonne“, erinnert sich Hamel.
Er meldete es dem zuständigen Sheriff. Die Knochen, ergab die Untersuchung des Gerichtsmediziners, hatten allerdings länger im Sand gelegen, als es bei einem seit sechs Monaten Vrschollenen der Fall sein konnte. Die Suche nach Josués sterblichen Überresten geht weiter.
Jerry Hamel, 66, stammt aus Seattle, ein Zimmermann im Ruhestand. Um den grauen Wintern im regnerischen Nordwesten der USA zu entfliehen, verbringt er den Winter in Arizona. Nach Trumps Amtseinführung beschloss er, sich zu engagieren, was bedeutet, am Lenkrad eines Geländewagens stundenlang durch abgelegene Karsttäler zu rumpeln. „Ich weiß nicht, was ich bewirke, ich kann es nicht sehen. Aber wenn ich nur einem Menschen das Leben rette, hat es sich schon gelohnt.“Er sei da vielleicht ein bisschen altmodisch, sagt Hamel, aber von Grenzzäunen halte er nichts. Alle Menschen seien gleich, stehe das nicht in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung? „Nur haben wir irgendwann in unserer Ignoranz entschieden, dass die eine Gruppe von Menschen besser sein soll als die andere.“Nicht mit ihm, nicht mit Jerry Hamel.
Der erste Halt, bei Sonnenaufgang auf der Fahrt von Tucson an die Grenze. Zwei Kreuze am Rande einer Ranch, eines mit einer Plastikperlenkette behängt, die Helfer in der Wüste aufgelesen haben. An der Stelle wurden zwei Leichen geborgen. Zweiter Stopp, mitten im Altar Valley, einem breiten Tal. Der Blick geht auf den Baboquivari, einen Felszacken, der markant aus einer Gebirgskette herausragt, heiliges Terrain für den Indianerstamm der Tohono O’odham. Zwischen Sträuchern liegen schwarze Plastikflaschen, hergestellt in Mexiko. Schwarz, damit sie nachts im Mondlicht nicht leuchten.
Hamel schaltet in den Vierradantrieb, biegt auf eine Geröllpiste ab und fährt zum nächsten „water drop“, wo kaum etwas angerührt ist. Da die Überwachungstürme der Grenzpatrouillen, ausgerüstet mit Radar und Kameras, mittlerweile ein dichtes Netz bildeten im Altar Valley, werden die Migranten nach Westen abgedrängt. Ins Reservat der Tohono O’odham, in einen Landstrich, der noch unwegsamer sei. Dort dürfen die Samariter nicht patrouillieren, obwohl Hilfe bitter nötig wäre.
Einige der Hauptrouten der illegalen Einwanderung führten schon immer durch die Region südlich von Tucson. Laut Statistik des US-Grenzschutzes wurden dort im Jahr 2000 rund 616 346 Menschen gestoppt, fast 40 Prozent aller an der Südgrenze der USA festgenommenen Migranten. 2017 waren es nur noch 38 657, die niedrigste Zahl seit vier Jahrzehnten, allerdings bei 118 registrierten Todesfällen allein im Pima County, dem Verwaltungsbezirk, in dem Tucson liegt. Seitdem geht der Trend wieder leicht nach oben, doch von einer historischen Ausnahmesituation kann keine Rede sein, jedenfalls nicht in Arizona. Dort wirkt es eher bizarr, dass Trump den nationalen Notstand ausrief, um sich am Parlament vorbei die Mittel für den Mauerbau zu sichern.
Private Bürgermilizen
„Alles Schwindel“, wehrt Tim Foley ab. „Neumodische Mathematik. Hokuspokus.“Staatlichen Statistiken könne man eben nicht trauen, in Wahrheit kämen immer mehr Leute ohne Papiere ins Land. Am Telefon hatte Foley gesagt, man möge die Hardscrabble Road nehmen, um zu seinem Anwesen zu gelangen. Hardscrabble, das heißt so viel wie mühselig, ärmlich, beschwerlich. Es passt zu dem kargen Landstrich, zu den steinigen Weiden und staubigen Pisten rund um Arivaca, der letzten Siedlung vor der Grenze. Als Foley nach Arivaca kam, hatte er alles verspielt, aber dazu später. Vor der Baracke, in der er wohnt, hängen zwei Skelette, das eine direkt neben der Eingangstür. Sie sollen ihn schützen. „Die Drogenbanden sind abergläubisch, sie halten sich fern von Skeletten“, glaubt Foley. Am Tor, an einem massiven Holzpfahl, weht das Sternenbanner.
Foley ist sechzig, ein sehniger Typ, die Haut vom Wetter gegerbt, am Hals ein Tattoo. Zur Begrüßung zeigt er auf eine Narbe an seiner Hand. „Stammt von einem Pitbull, von einem Pitbull wie dem da“, sagt er und zeigt grinsend auf Rocko, den Hund, mit dem er in der Einöde lebt. In seiner Baracke geht der Blick als Erstes auf ein Poster, das für „Cartel Land“wirbt. Der Dokumentarfilm handelt von zwei Bürgermilizen. Eine davon geht auf Foley zurück. Arizona Border Recon hat er sie genannt, als er sie 2010 gründete – Recon steht für Reconaissance, Aufklärung. Wie stolz er auf seine Rolle in „Cartel Land“ist, einem Streifen, der für den Oscar nominiert war, lässt sich schon an den Filmplakaten ablesen, die in seinem kleinen Arbeitszimmer hängen. Im Übrigen redet er gern mit Reportern, vorausgesetzt, die sind bereit, 200 Dollar zu zahlen. Eine Mediengebühr, so nennt er das. Tags zuvor war ein schwedisches Fernsehteam da. In den ersten zwei Monaten des Jahres, zählt Foley auf, habe er bereits zwei Dutzend Journalisten empfangen.
Trumps Mauer? „Wäre ein Anfang“, meint Foley. Er hält große Stücke auf den Präsidenten, schon deshalb, weil der nicht wie ein Politiker klinge, weil er dranbleibe, wenn er etwas versprochen habe. „Aber das Problem löst die Mauer auch nicht. Über eine Mauer kletterst du drüber, ich schaffe das in zehn Sekunden, obwohl ich jeden Tag ein Packung Zigaretten rauche.“Man müsse das Land besetzen, so wie er es tue, das sei die Lösung. Sich dort niederlassen, wo die Migrantenpfade seien. Es klingt nach einer Mischung aus Siedlerromantik und menschlichem Wall.
Einfach so, findet Foley, hat keiner die Grenze zu überqueren. „Wir reden von der größten Völkerwanderung in der Geschichte der Menschheit. Und wohin wollen die Leute? In die weißen, christlichen Nationen. Wenn man genau hinschaut, wollen sie alle in Nato-Staaten. Wir verlieren alles, unsere Kultur, unsere Souveränität, alles“, sagt er. Am Computer zeigt er ein Video: Männer in Tarnfleck, 14 sind es, die meisten waren einmal beim Militär. Foley trommelt sie alle zwei bis drei Monate zusammen, um eine Woche lang im Freien zu kampieren – und Ausschau nach „illegal aliens“zu halten.
Foley stammt aus San Francisco, er war ein Kind, als die Hippie-Bewegung die Stadt eroberte. Mit 20 ging er zur Armee, später wurde er Zimmermann. Vorarbeiter war er, baute zuletzt Hochhäuser in Tempe, einer Satellitenstadt am Rande von Phoenix. Als die amerikanische Immobilienpreisblase platzte, verlor er alles, seinen Job, sein Haus, sein geordnetes Leben. Monatelang fuhr er auf Suche nach Arbeit durchs Land, schlief in seinem Pick-up. Irgendwann habe er sich gefragt, was die Regierung denn noch so an Lügen verbreite, nachdem ihre Experten behauptet hatten, der Häusermarkt sei stabil. „Nun, das andere Märchen ging so: Sorgt euch nicht um die Sicherheit an unserer Grenze.“Nach einer Scheidung zog Foley nach Arivaca, in den entlegensten Winkel Arizonas. Mit seiner Bürgerwehr sei er das Auge und Ohr der Border Patrol, der Grenzpatrouille, deren Apparat viel zu bürokratisch sei, als dass er schnell reagieren könnte.