Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Streikgefahr vorerst gebannt
Gewerkschaften und Arbeitgeber einigen sich im Tarifstreit für den öffentlichen Dienst
BERLIN/STUTTGART - Mit einer Tarifeinigung auf stufenweise acht Prozent mehr Lohn für den öffentlichen Dienst der Länder haben Gewerkschaften und Arbeitgeber neue Streiks abgewendet. Baden-Württembergs Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) will sich dabei noch nicht festlegen, ob der Abschluss zeit- und inhaltsgleich auch auf die 185 000 Beamten und 136 000 Pensionäre übertragen wird. Bayern will die Vereinbarungen voll auf die Beamten übertragen.
Sitzmann begrüßte die Einigung: „Unsere Beschäftigten halten damit Anschluss an die allgemeine Einkommensentwicklung.“Die Gewerkschaften hatten sich mit den Ländern am späten Samstagabend darauf geeinigt, dass die Gehälter der Angestellten rückwirkend zum 1. Januar um 3,2 Prozent steigen, mindestens um 100 Euro. 2020 kommt die zweite Stufe mit weiteren 3,2 Prozent, mindestens 90 Euro, Anfang 2021 die dritte mit 1,4 Prozent, mindestens 50 Euro.
Die Auszubildenden bekommen 2019 und 2020 jeweils 50 Euro im Monat mehr. Für Pflegekräfte in Unikliniken und den Zentren für Psychiatrie Baden-Württemberg gibt es eine Zulage von 120 Euro im Monat. Für angestellte Lehrer steigt sie um 75 Euro. Die Beschäftigten im Sozialund Erziehungsdienst kommen ab 2020 in den Genuss der höheren Gehälter in den Kommunen. Insbesondere Berufsanfängern soll zugutekommen, dass die Entgelte in den unteren Einkommensgruppen überdurchschnittlich steigen.
„Das ist das beste Ergebnis seit vielen Jahren“, freute sich der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske. Insgesamt ergäben sich Gehaltserhöhungen von acht Prozent, mindestens 240 Euro. Der Verhandlungsführer der Länder, Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz, bezeichnete es als „guten Kompromiss“. Für die Länder sei es ein finanzieller Kraftakt, aber es gebe Planungssicherheit für 33 Monate.
Im Südwesten steigen die Ausgaben für die 74 000 Angestellten des Landes bis 2021 um 684 Millionen Euro, erwartet Sitzmann. Im Landeshaushalt hat sie in diesem Jahr nur eine Erhöhung um 2,1 Prozent einplant.
POTSDAM - Müde sah Verdi-Chef Frank Bsirske am späten Samstagabend aus, als er nach einem fast dreitägigen Verhandlungsmarathon vor die Kamera trat. „Es ist ein echt gutes Ergebnis“, sagte er zum Ende der Tarifverhandlungen für rund eine Million Arbeiter und Angestellte des öffentlichen Dienstes der Länder. Das wird auch die 2,3 Millionen Beamten der Länder freuen, für die der Abschluss in der Regel übernommen wird. Alle Seiten sind erleichtert – auch, weil tagelange zähe Verhandlungen überhaupt mit einem Abschluss endeten. Über Stunden hakte es allein deshalb, weil die Berechnungen so kompliziert waren und sich sogar immer wieder Rechenfehler einschlichen.
Bsirske und Co. müssen zudem ihre Drohung mit einer Streikeskalation nicht wahrmachen. Im öffentlichen Dienst der Länder können Ausstände auch nicht zu so machtvollen Kraftdemonstrationen anwachsen wie bei den Kommunen, bei denen etwa der Nahverkehr und die Müllabfuhr bestreikt werden können.
Untere Lohngruppen profitieren
Nur eine Hürde steht noch aus. Verdi will seine Mitglieder befragen, ob sie mit dem Resultat einverstanden sind. Die Tarifkommission hatte das Ergebnis zuvor mit großer Mehrheit gebilligt.
Die Beschäftigten erhalten schrittweise acht Prozent mehr Lohn. In diesem Jahr gibt es rückwirkend zum 1. Januar eine Erhöhung um 3,2 Prozent, mindestens jedoch 100 Euro. Anfang 2020 folgt der nächste Zuschlag um 3,2 Prozent oder wenigstens 90 Euro. Ein Jahr darauf gibt es weitere 1,4 Prozent oder ein Minimum von 50 Euro. „Das Ergebnis hat eine ganz ausgeprägte soziale Komponente“, erläuterte Bsirske, „es ist das beste seit vielen Jahren.“Tatsächlich profitieren die unterer und mittleren Lohngruppen besonders stark von diesem Abschluss.
So ist es den Gewerkschaft gelungen, für examinierte Pflegekräfte einen deutlichen Gehaltssprung herauszuholen. Laut Bsirske erhalten sie ab sofort einen Zuschlag von 120 Euro monatlich. Zusammen mit der Lohnerhöhung bekommen sie damit über 300 Euro im Monat. Bis zum Ende der Laufzeit summieren sich die Erhöhungen dann auf wenigstens 420 Euro.
Auf deutliche Verbesserungen dürfen sich Verdi zufolge Erzieherinnen und Erzieher sowie Angehörige der Rettungsdienste einstellen. Auch Auszubildende können sich freuen. Rückwirkend zum Jahresbeginn und noch einmal Anfang 2020 gibt es für sie jeweils 50 Euro mehr Vergütung.
Der Vertrag gilt länger als geplant
Gemessen an den Forderungen von sechs Prozent mehr Lohn bei einem Sockelbetrag von 200 Euro erscheint das Ergebnis als großer Erfolg der Gewerkschaften. Doch die Forderung bezog sich auf eine Laufzeit von einem Jahr. Nun sind daraus 33 Monate geworden. Auch haben sich Verdi und der Deutsche Beamtenbund nicht auf allen Feldern durchsetzen können. Sie hätten gerne weitere Berufsgruppen höher eingruppiert.
Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen zeigte sich ebenfalls zufrieden. Er trat erstmals als Verhandlungsführer der Arbeitgeber auf. „Angesichts der hohen Forderungen, mit denen die Gewerkschaften angetreten sind, ist das erzielte Ergebnis ein guter Kompromiss“, sagte er. Die Kosten für die Länder bezifferte der SPD-Politiker auf 7,3 Milliarden Euro. Das sei zwar ein finanzieller Kraftakt, doch angesichts der langen Laufzeit biete es den Ländern auch Planungssicherheit. Die Beschäftigten könnten an der positiven Entwicklung der Länder teilhaben und diese trotzdem neue Leute einstellen und investieren.