Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Wie Eltern mit Autismus bei ihrem Kind umgehen sollten
Bei der Fachtagung des Berufsbildungswerks Adolf Aich zeigen Experten, wieso soziale Teilhabe elementar ist
LIEBENAU/RAVENSBURG (sz) Menschen mit autistischer Wahrnehmung sehen, hören, erleben und spüren ihre Umwelt anders. Pädagogische Sichtweise, schulische Förderung und diagnostische Fragen standen im Mittelpunkt des 13. Fachtags des Kompetenznetzwerks Autismus Bodensee-Oberschwaben in Ravensburg. Gastgeber für die mehr als 220 Teilnehmer war das zur Stiftung Liebenau gehörende Berufsbildungswerk Adolf Aich (BBW).
Derzeit werden hier rund 150 junge Menschen mit Autismus fit gemacht für den Start ins Berufsleben. Aktuell ist das BBW dabei, sich als „Autismusgerechtes Berufsbildungswerk“zertifizieren zu lassen. „Ist jemand ein bisschen oder richtig autistisch?“, fragte Ludger Tebartz van Elst. Er ist stellvertretender ärztlicher Direktor und Leiter des Erwachsenenbereiches des Universitären Zentrums Autismus Spektrum in Freiburg.
Den ausgewiesenen Fachmann zum Thema Differenzialdiagnosen begrüßte Stefan Thelemann, Leiter des BBW-Fachdienstes Diagnostik und Entwicklung, als ersten Redner. Dieser verglich das bei Betroffenen lebenslang vorhandene Phänomen Autismus mit der Körpergröße. „Es macht keinen Sinn, wenn Eltern zu ihrem Kind sagen, jetzt hör‘ doch mal auf, so groß zu sein.“Man könne aber sehr wohl lernen, damit umzugehen.
„Bei Autismus finden wir ein Cluster auffälliger Merkmale“, so van Elst. Dazu gehören Schwierigkeiten im sozialen Umgang, Auffälligkeiten bei Blickkontakt und Körpersprache sowie eingeschränkte Interessen mit sich wiederholenden, stereotyp ablaufenden Verhaltensweisen.
Nicht mit der Struktur eines Menschen, zu der beispielsweise auch die Persönlichkeit gehört, zu verwechseln, seien Probleme wie Konflikte und Mobbing und ein bestimmter Zustand wie eine Depression, eine Psychose oder Ängste. „Die Phänomene sind allerdings häufig miteinander verwoben und schwer auseinander zu halten.“Deshalb sei es wichtig, ganz genau hinzuschauen.
Manuel Beusch, Heilpädagoge und Berater der Stiftung Kind & Autismus in Urdorf (Schweiz), zeigte anschaulich, wie sich das pädagogische Konzept „TEACCH“in der Schule praktisch umsetzen lässt. Situationen werden räumlich und zeitlich strukturiert und mithilfe von Kärtchen visualisiert. Als Beispiel zeigte er, wie die Schulgarderobe mit Trennwänden, Farben und Fotos gestaltet sein kann, um den Kindern das morgendliche Ankommen einfacher zu machen.
Ein Plädoyer für autistisches Verhalten als Kompetenz hielt der Erziehungswissenschaftler Peter Rödler (Universität Koblenz-Landau). Autistische Menschen würden auf ihre Weise versuchen, die Komplexität von Informationen zu reduzieren. Nur auf der Basis sozialer Teilhabe könnten sie ihre Wahrnehmungen verarbeiten. „Soziale Teilhabe ist für Autisten deshalb nicht nur ein Recht, sondern Bedingung, um zu überleben“, so Rödler.