Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Angeklagter bricht in Tränen aus
Prozess wegen versuchten Ehrenmordes in Berg geht weiter – Die Tochter sagt aus
RAVENSBURG/BERG - Eigentlich hatten Gericht und Staatsanwaltschaft auf die Vernehmung der Augenzeugin verzichten wollen. Nun lud die Kammer aber für den zweiten Verhandlungstag doch die elfjährige Tochter in den Zeugenstand. Die Schülerin soll dabei gewesen sein, als ihr Vater am Abend des 19. September 2018 mit einem Messer und einem Hammer versucht haben soll, seine von ihm getrennt lebende Frau in einem Asylbewerberheim in Berg zu ermorden.
Als das Mädchen in Begleitung einer Ehrenamtlichen und des Vormunds des Jugendamts den Gerichtssaal betritt, da fällt dem Angeklagten unversehens der Kopf in die Hände. Er weint laut und schluchzt. Selbst im Zuschauerraum ist zu spüren, wie die Tochter den Rücken steif macht und versteinert. Sie wolle sich den Fragen des Gerichts stellen, kann der Vorsitzende Richter, Stefan Maier, in Erfahrung bringen. Doch in dieser tragischen Situation kann die Schülerin einfach nicht. Die Begleiterinnen erbitten zehn Minuten Pause. Damit das Mädchen sich überlegen kann, ob sie tatsächlich unter den Augen ihres Vaters erzählen kann, wie sich der Tatabend für sie abgespielt hat. „Als der Papa der Mama zuerst in den Bauch und dann in die Füße gestochen hat. Und ihr dann mit dem Hammer auf den Kopf geschlagen hat“– das hatte sie bei der Polizei bereits ausgesagt.
„Zum Plärren ist es zu spät“, herrscht Richter Stefan Maier den Angeklagten an, er beeinträchtige die Zeugin. Die jedoch fasst sich tatsächlich nach einer kurzen Pause und macht vor dem Gericht noch einmal ihre Aussage. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit, so wie von ihrem Vormund erbeten.
Offenbar hat die Elfjährige vor der Schwurgerichtskammer nur bestätigt, was laut Ermittlungsakten schon feststeht: Der Vater habe erst von der Mutter abgelassen, als er dachte, sie sei tot. Das habe der 46-jährige Angeklagte auch nachts, unmittelbar bei der Erstvernehmung auf dem Polizeirevier in Weingarten, beschworen. Einen Dolmetscher soll er nach dem Befinden seiner Frau gefragt haben, mit dem Zusatz „Ich hoffe, sie ist tot“, erinnert sich ein Polizeibeamter. Immerhin habe seine Frau sich „falsch verhalten“, ihn zum Gespött der Familie gemacht, indem sie sich einem anderen Mann zugewandt hat.
Bereits am ersten Verhandlungstag hatte der in Syrien geborene Mann wissen lassen, für einen Ehrenmord an seiner untreuen Frau käme er in seinem Heimatland „nicht länger als sechs Monate“ins Gefängnis. Dass in Deutschland andere Regeln und auch andere Rechte für Frauen gelten, will er nicht gewusst haben. „Aber das hat doch der Landratsamtsmitarbeiter bereits ausgesagt, dass er mit Ihnen vor der Tat darüber gesprochen hat“, hilft Richter Maier dem Angeklagten auf die Sprünge. „Die Zeugen lügen alle“, lässt der Mann daraufhin übersetzen.
„Extrem ruhig und gefasst“habe der Angeklagte gewirkt, als er nach der Tat am Tatort festgenommen wurde, sagen mehrere Polizeibeamte einhellig aus. Ruhig und gefasst erscheint der 46-Jährige am zweiten Verhandlungstag auch, als ein Beamter der Spurensicherung mit den mutmaßlichen Tatwerkzeugen vor die Kammer tritt. Der Hammer mit über drei Pfund Gewicht geht durch alle Richterhände. Verpackt hat ihn der Beamte in einem Karton, der mit „handle with care“(Anmerk. d. Red: Mit Vorsicht zu behandeln) beschriftet ist. Auch das Küchenmesser mit der 20 Zentimeter langen Klinge wird in Augenschein genommen.
Ob dem Angeklagten helfen wird, dass er vor Gericht zuerst behauptet hat, er habe am Tatabend gedacht, den Nebenbuhler bei seiner Ex-Frau anzutreffen, und diesen wahlweise „erschrecken“oder umbringen wollte, ist fraglich. Auch seine wiederholten Einwände, der neue Partner seiner Ex-Frau wolle sich entweder das Kindergeld oder die elfjährige Tochter unter den Nagel reißen, wird die fünfköpfige Kammer entsprechend zu würdigen wissen.
Die Verhandlung wird am Mittwoch, 6. März, um 9.45 Uhr „mit dem Tag der Doktoren“fortgesetzt.