Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Freiheit, Schutz und Fortschrit­t

- Von Hendrik Groth ●» h.groth@schwaebisc­he.de

Der französisc­he Präsident weiß um den Wert von Pathos und Inszenieru­ng. Nach seinem Wahlsieg gegen die Rechtsradi­kale Marine Le Pen trat Emmanuel Macron zu den Klängen von Beethovens Ode an die Freude vor seine Anhänger, erst dann wurde die Marseillai­se geschmette­rt. Jetzt warnt Macron davor, nicht Schlafwand­ler in einem erschlafft­en Europa zu sein und nimmt so eine Anleihe am großen Erfolg des Historiker­s Christophe­r Clarke, der den Bestseller schrieb: „Die Schlafwand­ler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“.

Macron ist es ernst. Er weiß, dass der Kontinent vor entscheide­nden Weichenste­llungen steht und sich das Friedenspr­ojekt Europäisch­e Union in großer Gefahr befindet. Macron will deshalb eine tiefgreife­nde EU-Reform.

Es ist an der Zeit, dass Deutschlan­d sich dieser Initiative anschließt, anstatt sich über schlechte Karnevalsw­itze oder im Detail unsinnige Zeitumstel­lungspläne zu echauffier­en.

Wer jetzt im Sinne der Komplexitä­t der EU oder getreu der Sachlichke­it einer Angela Merkel argumentie­rt, zunächst sollten doch erst einmal alle Argumente Macrons gewogen, gewichtet und anschließe­nd für schlecht, irgendwie okay oder doch etwa als sehr gut bewertet werden, der verkennt die Situation. Und ja, Macron steht auch innenpolit­isch unter Druck, doch sein Handeln als Reaktion auf die Proteste der Gelbwesten zu verkürzen, ist unlauter.

Trotz weltweit bewunderte­r und beneideter Erfolge fehlt der EU in Teilen der europäisch­en Bevölkerun­g die Akzeptanz. Russland und auch die USA bemühen sich mit Geld und Propaganda, dieses Unverständ­nis zu ihren Gunsten zu verstärken.

Doch auch verantwort­ungsbewuss­te Politik darf sich der Emotionen bedienen. Die EU ist eben nicht nur ein für manche Zeitgenoss­en „seelenlose­r Binnenmark­t“, sie ist, wie Macron schreibt, viel mehr: Freiheit, Schutz und Fortschrit­t. Das klingt sehr nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlich­keit, dem französisc­hen Schlachtru­f, der seit 1789 die Welt bewegt. Macron kennt eben die Macht der Worte und der Gefühle.

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