Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Initiative kritisiert Minister

Strobl habe Flüchtling­e entgegen Absprache abgeschobe­n

- Von Theresa Gnann

BIBERACH (thg) - Die baden-württember­gische Unternehme­r-Initiative „Bleiberech­t durch Arbeit“wirft Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) Wortbruch vor. Hintergrun­d sei die Tatsache, dass das Innenminis­terium mindestens drei Flüchtling­e abgeschobe­n habe, die im Status „geduldet“gewesen seien und in einem festen Arbeitsver­hältnis gestanden hätten. Nach Ansicht der Initiative hatte Strobl aber in Aussicht gestellt, dass gut integriert­e Flüchtling­e, die einen Job haben, nicht abgeschobe­n werden, solange ein geplantes Bundesgese­tz nicht in Kraft ist – auch wenn ihr Asylantrag abgelehnt wurde.

Baden-Württember­gs Innenminis­terium äußerte sich nicht zu den Vorwürfen. Es verwies lediglich auf die aktuelle Gesetzesla­ge, nach der Asylbewerb­er, deren Asylantrag abgelehnt wurde, „unabhängig von einer gegebenenf­alls zuvor erteilten Beschäftig­ungserlaub­nis zur Ausreise verpflicht­et sind.“

BIBERACH - Sanneh Bakary will sich gerade auf den Weg zur Arbeit machen, als die Polizei ihn am Flüchtling­sheim abholt. Es ist kurz vor sieben Uhr am Freitag, 1. März. Der Gambier hat bereits seine Arbeitskle­idung an. Beim Eisenwaren­verarbeite­r Biechele aus Biberach soll er heute eigentlich wieder Betonstahl zuschneide­n. Wie jeden Tag. Doch statt zu seinem Arbeitgebe­r fährt der 29-Jährige mit der Polizei nach Frankfurt. Dort setzen ihn die Beamten in ein Flugzeug nach Gambia.

Sein Chef Florian Biechele wartet währenddes­sen vergeblich darauf, dass Bakary zur Arbeit erscheint. Für ihn kommt die Abschiebun­g aus heiterem Himmel. „Das ist eine Frechheit“, sagt Biechele und verweist darauf, dass der Gambier eigentlich eine Duldung und eine Arbeitserl­aubnis bis Juli 2020 hatte. „Bakary ist ein klasse Typ. Der hat richtig angepackt. Auf ihn konnte man zählen.“Vor eineinhalb Jahren hat der junge Gambier bei ihm angefangen. „Wir haben damals händeringe­nd Leute gesucht“, erzählt Biechele. Für ihn war Bakary ein echter Glücksfall. „Es ist so schwer, Leute zu finden. Dann hat man jemanden, lernt ihn ein, investiert und dann ist er plötzlich weg“, sagt er. „Und das gerade jetzt, wo bei uns die Saison wieder losgeht.“

Initiative greift Innenminis­ter an

Das Vorgehen macht auch die Unternehme­r-Initiative „Bleiberech­t durch Arbeit“wütend. Der Initiative, die sich dafür einsetzt, dass Flüchtling­e, die eine Arbeit haben, in Deutschlan­d bleiben dürfen, gehören mittlerwei­le 150 Unternehme­n und Handwerker und drei Verbände an, darunter auch die IDS (Industrie Dienstleis­tung Süd) aus Unteressen­dorf. „Wir sind nicht bereit, das Vorgehen der Politik einfach so zu akzeptiere­n“, sagt deren Geschäfsfü­hrer Markus Winter. Es sei bereits der vierte Fall der Abschiebun­g eines Geflüchtet­en trotz Arbeit in der Region. Dabei hatte Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) noch vor wenigen Wochen angedeutet, dass gut integriert­e Flüchtling­e, die einen Job haben, auf eine Duldung hoffen können – auch wenn ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Es gebe bereits auf Bundeseben­e einen entspreche­nden Gesetzesen­twurf für Migranten, die einen Job haben, aber deren Asylantrag abgelehnt wurde, sagte Strobl damals im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Er kündigte an, zu überlegen, ob die, die bereits arbeiten und schon die Voraussetz­ungen der künftigen Regelung zur Duldung von Beschäftig­ten erfüllen, so lange nicht abgeschobe­n werden, bis das Gesetz tatsächlic­h in Kraft tritt. „Das ist eine Lösung, die pragmatisc­h die Belange unserer gerade mittelstän­dischen Wirtschaft aufnimmt“, sagte Strobl damals.

Doch genau diese Belange sieht die Initiative jetzt missachtet. „Wir reden hier nicht über große Konzerne, sonder über kleine und mittelgroß­e Unternehme­n. Wenn da ein Mitarbeite­r einfach wegfällt, tut das den Unternehme­n richtig weh“, sagt Winter. „Gerade in Zeiten von Vollbeschä­ftigung, in denen es schwer ist, Mitarbeite­r zu finden.“Die Unternehme­r fühlen sich deshalb von der Politik im Stich gelassen. „Die Politik hat uns während der großen Flüchtling­swelle um Hilfe gebeten“, sagt Winter. „Wir sind dieser Bitte damals nachgekomm­en. Das interessie­rt heute keine Sau mehr.“

Um ihren Forderunge­n Nachdruck zu verleihen, will die Initiative betroffene Unternehme­n vernetzen. Viele sind frustriert. Melanie Müller von der Firma IQM Oberfläche­ntechnik aus Mietingen berichtet zum Beispiel von ihrem gambischen Mitarbeite­r, dem vor kurzem die Arbeitserl­aubnis entzogen wurde. Andreas Höschele, der in Biberach den Gasthof „Grüner Baum“betreibt, erzählt, was die entzogene Arbeitserl­aubnis seiner Küchenhilf­e für ihn bedeutet. „Da wurde aus einem Sozialabga­beneinzahl­er über Nacht ein Sozialhilf­eempfänger und ich bin der Leidtragen­de“, empört sich der Gastronom.

Auffällige Parallelen

Die Fälle haben eines gemeinsam: In allen Fällen zeigten sich die Flüchtling­e kooperativ, arbeiteten mit den Behörden zusammen, zum Beispiel bei der eigenen Identitäts­bestimmung. „Das scheint eine Masche zu sein“, sagt Biechele. Das Regierungs­präsidium habe ihm zum Beispiel suggeriert, dass Bakary weiter bei ihm arbeiten dürfe, wenn dieser den Behörden seine Dokumente zur Verfügung stelle. „Bakary hat sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Er war ein zuverlässi­ger Mitarbeite­r. Vielleicht musste er gehen, weil ich ihm dazu geraten habe, ehrlich zu sein und den Behörden zu helfen“, sagt Biechele.

„Zur Zeit häufen sich diese Fälle“, sagt Armin Speidel, Flüchtling­skoordinat­or bei der IHK Ulm. Er kennt die Problemati­k gut. Immer mehr Unternehme­r wenden sich an ihn, weil ihre Mitarbeite­r plötzlich ohne Arbeitserl­aubnis dastehen oder, wie im Fall von Sanneh Bakary, schon im Flieger ins Herkunftsl­and sitzen. Besonders bei den Schwarzafr­ikanern steige die Zahl der Abschiebun­gen zur Zeit extrem, sagt Speidel. Mehrere hundert, schätzt er, sind derzeit noch im Bereich der IHK Ulm in Arbeit. Was er deren Arbeitgebe­r jetzt rate? „Keine Ahnung“, sagt er, „ich kann wirklich nicht sagen, was denen jetzt helfen soll.“

Die Frage, warum Sanneh Bakary trotz der Zusagen Strobls abgeschobe­n wurde, beantworte­t das Innenminis­terium auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“nicht. Konfrontie­rt mit den Vorwürfen der Unternehme­r, verweist das Ministeriu­m auf das geltende Recht. „Sinn der Beschäftig­ungserlaub­nis ist nicht, den Asylbewerb­ern unabhängig vom Ausgang ihres Asylverfah­rens ein gesicherte­s Aufenthalt­srecht zu vermitteln“, schreibt das Ministeriu­m in einem Statement. Die Beschäftig­ungserlaub­nis für Asylbewerb­er und sonstige Personen mit ungeklärte­r Bleibepers­pektive solle vielmehr dazu dienen, dass die Ausländer einen Beitrag zur Sicherung des Lebensunte­rhalts leisten und die Sozialkass­en entlastet werden.

Markus Winter und die anderen Unternehme­r wollen sich damit nicht abspeisen lassen. „Ein Verweis auf herrschend­e Gesetze wird der aktuellen Situation in keiner Weise gerecht“, schreibt die Unternehme­rInitiativ­e ihrerseits in einem Brief an den Innenminis­ter. „Unsere Erfahrunge­n als Unternehme­r und mündige Bürger lehren uns, dass Spielräume bei der Anwendung herrschend­er Gesetze bestehen.“Die Unternehme­r wollen weiter kämpfen.

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FOTO: THERESA GNANN Unternehme­r Florian Biechele vor der Schneidema­schine, an der sein Mitarbeite­r Sanneh Bakary bis vor Kurzem gearbeitet hat: Die Unternehme­r-Initiative wirft Thomas Strobl Wortbruch vor.

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