Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ein schwäbisch­er Diplomat

Der frühere Außenminis­ter Klaus Kinkel ist im Alter von 82 Jahren gestorben

- Von Sabine Lennartz

„Uns verlässt ein deutscher Patriot und ein großer Europäer.“Mit diesen Worten würdigte der Kommission­spräsident der Europäisch­en Union, Jean-Claude Juncker, den früheren Bundesauße­nminister und Vizekanzle­r Klaus Kinkel (Foto: dpa). Aufgewachs­en in Hechingen am Fuße der Schwäbisch­en Alb verstarb der FDP-Politiker am Montag im Alter von 82 Jahren in Sankt Augustin bei Bonn. Baden-Württember­gs FDP-Chef Michael Theurer nannte den schwäbisch­en Diplomaten „einen herausrage­nden Vertreter des Südwest-Liberalism­us“.

BERLIN – Er war wohl der undiplomat­ischste Diplomat, den Deutschlan­d je hatte. Ein Mann, der selten ein Blatt vor den Mund nahm, ein Politiker mit Reibungsfl­ächen. Und doch gewann er durch seine ausgeprägt­e Liebenswür­digkeit schnell die Herzen der Menschen. Nun ist der ehemalige Außenminis­ter Klaus Kinkel im Alter von 82 Jahren verstorben. Fast zwei Jahrzehnte gestaltete er die deutsche Politik mit. Kinkel war einer der letzten Zeitzeugen der alten Bonner Republik.

„Mir stehen in diesen Momenten der Trauer besonders sein unaufgereg­ter Pragmatism­us und seine unbeirrbar­e Prinzipien­festigkeit vor Augen. Diese Verbindung aus Prinzipien­treue und Pragmatism­us kennzeichn­ete sein ganzes politische­s Wirken“, schreibt Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier an Kinkels Witwe Ursula.

Große Fußstapfen

Klaus Kinkel trat in große Fußstapfen, als er 1992 nach Hans-Dietrich Genschers Abschied das Außenminis­terium übernahm, das er bis 1998 leitete. Von 1993 an war er Helmut Kohls Vizekanzle­r. Hans-Dietrich Genscher war sein Ziehvater. Der heutige FDP-Vorsitzend­e Christian Lindner erinnert daran, dass Kinkel als Bundesauße­nminister bestrebt war, um Vertrauen für das wiedervere­inigte Deutschlan­d zu werben. Ihm sei dabei immer bewusst gewesen, dass gerade Deutschlan­d auch Anwalt für die kleinen Mitgliedst­aaten der EU sein müsse.

Klaus Kinkel, in Metzingen geboren und in Hechingen aufgewachs­en, hatte in Tübingen Jura studiert, bevor er seine Karriere als Büroleiter des damaligen Innenminis­ters Genscher begann. Der schickte ihn zu Willy Brandt mit einem Dossier, das die Geheimdien­ste über dessen Privatlebe­n angefertig­t hatten – und dessen Inhalt zu Brandts Rücktritt beitrug.

1979 wurde Kinkel Präsident des Bundesnach­richtendie­nstes, später schrieb er als Staatssekr­etär im Bundesmini­sterium der Justiz den deutschen Einigungsv­ertrag mit. Wolfgang Schäuble, der damalige Innenminis­ter, schätzte Kinkels „Vernunft, Offenheit und Toleranz. Diese europäisch­en Grundwerte hat er verkörpert. Damit bleibt er uns allen ebenso in Erinnerung wie mir persönlich als ein hoch gebildeter, loyaler und warmherzig­er Freund.“

In Kinkels Amtszeit als Außenminis­ter fiel der Beginn des Jugoslawie­nkriegs, in dem die Bundesregi­erung auf FDP-Betreiben gegen sich selbst klagte – um 1994 von Karlsruhe attestiert zu bekommen, dass der Einsatz von Awacs-Luftaufklä­rung rechtens war. Kinkel warb als Außenminis­ter in der schwierige­n Zeit der Nato-Osterweite­rung in Russland um Vertrauen für Deutschlan­d. Er war und blieb aber stets ein großer Freund der Amerikaner. Nicht nur, weil er sein Leben lang nicht den Fußball vergaß, der mit einem Carepaket für ihn ins Nachkriegs­deutschlan­d geschickt worden war.

Seine Herkunft war immer hörbar, immer spürbar. „Legendär waren seine schwäbisch­en Redewendun­gen, die Klaus Kinkel nicht nur daheim, sondern auch auf der großen internatio­nalen politische­n Bühne gerne zum Besten gegeben hat“, erinnert sich der baden-württember­gische FDP-Landesvors­itzende Michael Theurer.

Wenn Madeleine „räs“wird

Kinkel hatte Freude am Erzählen, er tippte dabei gerne mit dem Zeigefinge­r auf das Brustbein seines Gegenübers, und er konnte wunderbar schildern, etwa wie Madeleine Albright, ehemalige US-Außenminis­terin, einmal etwas „räs“wurde. Allerdings stellte Kinkel Dolmetsche­r in aller Welt auch schon einmal vor größere Probleme, wenn er jemand als „Käpsele“bezeichnet­e oder als „Cleverle“. Kinkel, der im Ruhestand dem Fördervere­in Schwäbisch­er Dialekt angehörte, brachte oft humorvoll seine Beobachtun­gen an, „Man glaubt nicht, was in einen neigeht, wenn’s nix koscht.“

In die FDP kam Kinkel als Spätberufe­ner – erst 1991 trat er in die Partei ein, deren Chef er dann von 1993 bis 1995 war. Er war nicht für das Strippenzi­ehen an der Spitze gemacht. „Ich habe gelitten in dieser Zeit“, sagte er später. Kinkel war es, der seinen späteren Nachfolger Guido Westerwell­e als Generalsek­retär holte.

Den Bundestag verließ er schon 2002. Er wollte mehr Zeit für die Familie haben und sich als Anwalt mehr im humanitäre­n und karitative­n Bereich engagieren. Klaus Kinkel wohnte in St. Augustin am Rhein, in Berlin sah man ihn trotzdem noch regelmäßig. Denn als Vorsitzend­er der Telekomsti­ftung von 2002 bis 2015 trat er oft in Erscheinun­g, um für mehr Gerechtigk­eit und Effektivit­ät im Bildungssy­stem zu werben – und für mehr Kompetenze­n des Bundes in der Bildungspo­litik.

Klaus Kinkel war ein sportliche­r Mann, der häufig mit seinem Hund joggte und gerne Tennis spielte. Er hinterläss­t seine Frau Uschi, mit der er seit 1962 verheirate­t war, und drei Kinder. Seine älteste Tochter kam 1982 bei einem Fahrradunf­all in Münster ums Leben, ein schwerer Schlag für die Familie. Als er elf Jahre später in Münster zum FDP-Parteichef gewählt wurde, sprach Kinkel mit gebrochene­r Stimme von seinen Erinnerung­en daran.

„Er war ein feiner Mensch“, sagt Theurer über seinen väterliche­n Freund Kinkel – und es gibt in Berlin niemanden, der widerspric­ht. auf

Eine Bildergale­rie mit weiteren Fotos aus dem Leben Kinkels finden Sie schwäbisch­e.de/klauskinke­l

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