Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Türkei vor dem nächsten Schritt Richtung Russland

Die USA versuchen, Präsident Erdogan vom Kauf eines Raketenabw­ehrsystems abzuhalten – Der lässt sich nicht auf Verhandlun­gen ein

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Die USA wollen den Nato-Partner Türkei in den kommenden Monaten vom Kauf eines russischen Raketenabw­ehrsystems abbringen. Zwei hochrangig­e Beamte des US-Außenminis­teriums sprechen diese Woche in Ankara mit türkischen Regierungs­vertretern, um den Kauf russischer S-400 durch die Türkei noch zu verhindern. Präsident Recep Tayyip Erdogan betonte jedoch kürzlich, das Geschäft mit Russland sei unter Dach und Fach. Die Lieferung der russischen Raketen soll im Juli beginnen. Europa und USA sehen den Import als neues Zeichen einer Abwendung der Türkei vom Westen.

Erdogans Regierung argumentie­rt, die Türkei brauche eine eigene Raketenabw­ehr – früher musste Ankara westliche Staaten wie Deutschlan­d um die Stationier­ung des Patriot-Abwehrsyst­ems bitten, um sich gegen mögliche Angriffe aus dem Bürgerkrie­gsland Syrien zu schützen.

Das in der Nato verbreitet­e Patriot-System ist der Türkei zu teuer. Auch lehnen die USA einen Technologi­e-Transfer ab. Zudem sorgt sich Ankara, dass der amerikanis­che Kongress das Geschäft am Ende verhindern könnte. Deshalb kam die Türkei mit Russland ins Geschäft. Für 2,5 Milliarden Dollar hat Ankara bei Moskau zwei Batterien der S-400-Raketen bestellt, das modernste System der russischen Rüstungsin­dustrie. Amerikaner und Europäer befürchten, dass die S-400-Anlagen innerhalb der Nato nicht kompatibel seien – und dass die Russen über die Systeme westliche Waffensyst­eme wie die hochmodern­en F-35-Kampfflugz­euge ausspionie­ren könnten. Die USA haben deshalb die Lieferung der Jets an die Türkei vorerst gestoppt.

Erdogan lässt sich davon nicht beeindruck­en. Das Geschäft mit den Russen werde nicht rückgängig gemacht, sagte Erdogan. Allerdings sei die Türkei offen dafür, zusätzlich zu den S-400 auch Patriots zu kaufen. Schließlic­h braucht die Türkei mehr als nur zwei Abwehrbatt­erien. Die USA wollen aber kein Nebeneinan­der von Patriots und S-400.

Die Bedenken stoßen wiederum in Ankara auf wenig Verständni­s. Das Nato-Mitglied Griechenla­nd habe schließlic­h auch das russische Vorgängerm­odell S-300 kaufen können, heißt es in der türkischen Hauptstadt. Anders als die Amerikaner haben die Russen den türkischen Kunden einen Technologi­e-Transfer versproche­n, der Ankara mittelfris­tig in die Lage versetzen könnte, eigene Abwehrrake­ten zu entwickeln.

Hauptprobl­em liegt woanders

US-Vizepräsid­ent Mike Pence warnte kürzlich, Washington werde nicht tatenlos zuschauen, wenn die Türkei das russische System kaufen sollte. Ein Angebot der USA, noch in diesem Jahr die Patriots zu schicken, wenn die Türkei auf die S-400 verzichtet, hat Erdogans Regierung aber abgelehnt, wie die Nachrichte­nagentur Bloomberg berichtete.

Das Hauptprobl­em ist jedoch ein anderes. Die Wurzel der Differenze­n sei der „Mangel an Vertrauen“zwischen den USA und der Türkei, schrieb die türkische Journalist­in Barcin Yinanc in der Zeitung „Hürriyet Daily News“. Ankara und Washington sind sich im Syrien-Konflikt uneins, in dem die Amerikaner die kurdische Miliz YPG unterstütz­en, die von den Türken als Terrororga­nisation angesehen wird. US-Präsident Donald Trump hat gedroht, er werde die Türkei „wirtschaft­lich zerstören“, wenn die Türkei die syrischen Kurdenkämp­fer angreifen sollte.

Dagegen arbeitet Erdogan in Syrien und anderswo eng mit dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin zusammen, der alles daransetzt, die Kluft zwischen der Türkei und ihren westlichen Partnern zu verbreiter­n. So baut Russland unter anderem das erste türkische Atomkraftw­erk.

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FOTO: DPA Das russische Flugabwehr­system S-400.

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