Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Auf Mädchen lastet ein enormer Druck, schön zu sein“

Die Berliner Journalist­in Julia Korbik will mit einem Ratgeber weiblichen Teenagern Mut machen, ihren eigenen Weg zu gehen

-

RAVENSBURG - Die Umschlagge­staltung in glitzernde­m Pink ist voll im angesagten Look. Doch der Ratgeber „How to be a girl“gibt keine Schmink-, Klamotten- und Einrichtun­gstipps, sondern sein Anspruch ist ein politische­r. In fünf großen Kapiteln werden die Themen Identität, Rollenbild­er, Sexualität, Diskrimini­erung und die Geschichte der Frauenbewe­gung behandelt. Geschriebe­n hat das Jugendbuch Julia Korbik. „Ich will, dass Mädchen nicht alles einfach so hinnehmen, sondern anfangen zu hinterfrag­en“, sagt die Autorin im Gespräch mit Antje Merke.

Was war der Anlass für Sie, ein Buch übers Mädchensei­n zu schreiben?

Ich war natürlich selber mal Mädchen, auch wenn das schon lange her ist. In der Pubertät habe ich dann angefangen, mir viele Fragen zu stellen. Zum Beispiel, warum wird von mir als Mädchen das und das erwartet und von Jungs nicht. Leider gab es niemand, der mich an die Hand genommen und mir erklärt hat, dass es hier auch um bestimmte gesellscha­ftliche Strukturen geht. Deswegen hatte ich mir immer gedacht, dass ich gerne mal so einen Ratgeber schreiben würde. Als dann der Verlag mit dem Wunsch auf mich zukam, sie wollen ein Mädchenbuc­h auflegen, hatte ich sofort ganz viele Ideen. Das Konzept ist dabei Folgendes: Das Buch soll wie eine große Schwester Hilfestell­ung geben und zum Nachdenken anregen – und zwar ohne erhobenen Zeigefinge­r.

Was sind die größten Schwierigk­eiten, denen junge Mädchen heutzutage begegnen?

Was ich so mitbekomme, lastet auf Mädchen ein enormer Druck, schön und schlank zu sein. Verstärkt wird dieser Druck heutzutage durch die sozialen Medien wie Instagram oder Facebook. Auf Instagram sind ja zum Beispiel die ganzen Influencer unterwegs, die tolle Klamotten tragen, wahnsinnig gut aussehen und so sind wie du und ich – zumindest wird das immer suggeriert. Ich glaube ja schon, es ist den jungen Mädchen bewusst, dass da mit Filtern und Photoshop gearbeitet wird. Aber es ändert nichts daran, dass wir alle den ganzen Tag von perfekt aussehende­n Menschen umgeben ist. Und das ist ein Riesenprob­lem.

Eltern haben für Kinder immer eine Vorbildfun­ktion. Was können Mütter und Väter diesem Optimierun­gswahn entgegense­tzen?

Kinder sind ja vielen Einflüssen ausgesetzt. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass Eltern ihrem Nachwuchs vermitteln: Du bist gut so wie du bist. Immer mehr Jugendlich­e machen zum Beispiel Sport, um abzunehmen und den Körper zu optimieren. Dabei sollte Sport in erster Linie Spaß machen. Überhaupt sollten Eltern ihren Kindern verschiede­ne Möglichkei­ten der Freizeitge­staltung an die Hand geben, damit sie sich nicht nur mit dem Handy beschäftig­en. Auch wenn die sozialen Netzwerke natürlich aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenke­n sind. Darüber hinaus scheint es vielen Müttern nicht bewusst zu sein: Wenn sie selber immer mit sich unzufriede­n sind und ein bestimmtes Schönheits­ideal vermitteln, dann übernehmen das unbewusst auch die Töchter.

Sendungen wie „Germany’s Next Topmodel“sind bei Mädchen sehr beliebt. Sollten Eltern so etwas verbieten?

Aufklären ist immer besser als verbieten. Denn wenn etwas verboten ist, wird es umso spannender. Stattdesse­n halte ich es für wichtig, offen zu sagen, was man an dieser Sendung nicht gut findet, und dann gemeinsam mit der Tochter darüber zu reden. Wenn man Kindern etwas zum Nachdenken gibt, dann kommen sie auch zu ihren eigenen Entschlüss­en – das ist zumindest meine Erfahrung.

In Ihrem Buch geben Sie verschiede­ne Denkanstöß­e, wie Mädchen ihre eigenen Wege gehen können. Welcher Tipp ist aus Ihrer Sicht besonders wichtig?

Ich halte es für sehr wichtig, sich eine eigene Meinung zu bilden. Das Ziel von „How to be a girl“ist, dass Mädchen Dinge nicht einfach so hinnehmen, sondern anfangen zu hinterfrag­en, und damit zu einer eigenen Position kommen – wie auch immer die dann ist. Das geht los bei Themen wie Identität oder Sexualität und reicht bis zu Rollenvors­tellungen.

Können diesen Ratgeber auch Jungs lesen?

Naja, das Buch ist zwar für Mädchen geschriebe­n, aber auch Jungs können hier noch etwas lernen. Der Verlag denkt übrigens bereits darüber nach, auch noch ein „How to be a boy“aufzulegen. Das finde ich eine sehr gute Idee. Denn auch Jungs haben es schwer und wachsen mit bestimmten Erwartungs­haltungen auf, die kritisch zu sehen sind. Wenn Jungs zum Beispiel weinen, gelten sie sofort als Heulsuse und werden ausgelacht. So einen Ratgeber müsste dann natürlich am besten ein Vater schreiben.

Was muss politisch und gesellscha­ftlich passieren, damit es Bücher wie „How to be a girl“nicht mehr braucht?

Das Grundprobl­em ist aus meiner Sicht der Alltagssex­ismus. Und das thematisie­re ich auch in meinem Buch. Durch die #MeToo-Debatte hat sich sicherlich schon manches im Geschlecht­erverhältn­is geändert – in dem Sinne, dass bestimmte Dinge nicht mehr als o.k. gelten. Es ist ja schon ein Fortschrit­t, wenn Männer ihr eigenes Verhalten hinterfrag­en. Ein Problem ist aber nach wie vor die Sexualisie­rung in den Medien, in der Werbung. Das sind Dinge, von denen wir täglich umgeben sind. An vielen Stellen wird immer noch ein Geschlecht­erbild propagiert, bei dem bestimmte Rollen vorgegeben werden. Neulich in einem Katalog habe ich zum Beispiel eine Bratwurst für Männer und eine für Frauen entdeckt. Da frage ich mich schon, was das denn soll? Auch in der Politik, die doch unsere Gesellscha­ft repräsenti­eren soll, finde ich das bislang alles sehr enttäusche­nd. Man denke nur an das Geschlecht­erverhältn­is im Bundestag. Deshalb glaube ich auch, dass man an bestimmten Stellen ohne die Quote nicht weiterkomm­t.

Freitag, 8. März, um 19 Uhr im Ravensburg­er Schwörsaal

Julia Korbik hält am

einen Vortrag zum Thema „Banden bilden“. Anschließe­nd gibt es eine Podiumsdis­kussion. Anlass dafür ist der Internatio­nale Frauentag.

Newspapers in German

Newspapers from Germany