Schwäbische Zeitung (Tettnang)
AKK ist auf bestem Weg zur konservativen Reizfigur
Die SPD will die CDU-Chefin im Fall der Fälle nicht zur Kanzlerin wählen – und auch die Grünen reagieren mit zunehmender Distanz
BERLIN - Bei den Grünen breitet sich Unbehagen aus, führende Sozialdemokraten haben am Freitag ganz ausgeschlossen, sie zur Kanzlerin zu wählen, falls Angela Merkel vor 2021 zurücktreten sollte. „Das wird niemand in der SPD mitmachen“, sagte Johannes Kahrs, Sprecher des einflussreichen, eher konservativen Seeheimer Kreises, dem „Spiegel“. „Wenn Frau Merkel versuchen sollte, ihre Kanzlerschaft an Frau KrampKarrenbauer zu übergeben, gäbe es sofort Neuwahlen.“
Das ist in weiten Teilen der SPD offenbar Konsens. Juso-Chef Kevin Kühnert schloss „eine solche Machtübernahme“aus: „Würde Merkel abtreten, wäre das quasi die Aufkündigung der Geschäftsgrundlage dieser Regierung.“NRW-Landeschef Sebastian Hartmann betonte: „Wir haben einen Koalitionsvertrag mit Frau Merkel als Kanzlerin unterzeichnet.“Die Parteilinke Hilde Mattheis sagt: „Ich glaube, die Geschäftsgrundlage wäre ohne Frau Merkel eine völlig andere. Ich würde mich sehr schwer damit tun und Frau Kramp-Karrenbauer höchstwahrscheinlich nicht wählen.“
Dabei steht ein solcher Wechsel nicht bevor. Angela Merkel hat mehrfach gesagt, dass sie bis 2021 Kanzlerin bleiben will – auch wenn sie sich im Dezember vom Parteivorsitz zurückzog. Annegret Kramp-Karrenbauer hat die Zeit seitdem genutzt, die CDU konservativer aufzustellen. Sie schloss Grenzschließungen nicht aus, griff die Deutsche Umwelthilfe an, machte im Karneval einen Scherz auf Kosten von Intersexuellen.
Schon vor ihrer Wahl zur Parteichefin hatte sich Kramp-Karrenbauer gegen die Ehe-Öffnung ausgesprochen und vor „anderen Forderungen“gewarnt: „etwa eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen“. Dass sie so gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit Inzest gleichsetzt, wollte sie nicht sehen. Eine Entschuldigung lehnte Kramp-Karrenbauer mehrfach ab – und sagte: „Es gibt gesellschaftspolitische Themen, bei denen ich konservativer bin.“
Das verschreckt nicht nur führende Sozialdemokraten, sondern auch die Grünen-Spitze. Grünen-Chefin Annalena Baerbock nannte es in der „taz“„irritierend, wie die Union Kurs und Sprache derzeit verschärft, sei es in Fragen der Ökologie, der Gesellschaftspolitik, oder sei es die Abkehr von einer proeuropäischen Flüchtlingspolitik“. Immer wieder ist in jüngster Zeit über eine Zusammenarbeit zwischen Grünen und Union spekuliert worden. Ein Zweierbündnis wäre laut einigen Umfragen möglich. Auch ein zweiter Anlauf für eine Jamaika-Koalition wird nicht ausgeschlossen. FDP und Grüne haben im Zuge der Grundgesetzänderung jüngst eng zusammengearbeitet; FDP-Chef Christian Lindner wäre wohl für ein Jamaika-Bündnis bereit, wenn Merkel sich zurückzieht.
Annegret Kramp-Karrenbauers Versuche, bei den Konservativen zu punkten, machen den Spitzen-Grünen diese Annäherung allerdings schwer. So schreibt Parteichef Robert Habeck in einem Blogpost zur CDU-Flüchtlingspolitik: „Das Signal, das unter Annegret Kramp-Karrenbauers Führung ausgesendet wurde, heißt: Nicht Frau Merkel, sondern Seehofer Horst hatte beim Streit der letzten Jahre recht.“Habecks Schlussfolgerung: „Angela Merkel fehlt schon jetzt.“