Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Es geht auch ohne

Ökologisch­er Trend beim Einkaufen: In der Region eröffnen immer mehr Unverpackt-Läden

- Von Kerstin Conz

Einkaufen ohne Verpackung­smüll: Das Konzept der Unverpackt-Läden trifft bei umweltbewu­ssten Verbrauche­rn offenbar einen Nerv. Doch die Ökobilanz geht nur auf, wenn man ein paar Dinge beachtet.

Simone Keller hat sich vor zweieinhal­b Jahren ihren Traum erfüllt. „Heimatlieb­e“steht in großen, metallenen Buchstaben über dem liebevoll eingericht­eten Geschäft in Markdorf (Bodenseekr­eis). An den Wänden stehen große Gläser mit Nudeln, Reis, Müsli oder Nüssen. Die Idee: Jeder füllt selbst ab, was er braucht. Das Konzept geht auf. „Seit der Eröffnung sind wir ständig gewachsen“, sagt Keller. „Insgesamt kommen zwar weniger Leute, aber die die kommen, kaufen jetzt richtig ein. Mittlerwei­le hat sich der Umsatz verdoppelt.“

Eier, Käse und Feldsalat sind derzeit der Renner. Wer eine Auswahl wie im Supermarkt erwartet, ist allerdings an der falschen Adresse. Im Kühlregal liegt nur ein Käse, der ist dafür aber regional: Heumilchkä­se aus dem Allgäu. „Ich muss ihn immer im Ganzen kaufen. Sonst kommt er sofort eingeschwe­ißt“, sagt Keller. Überhaupt müsse sie bei den Händlern immer noch viel Überzeugun­gsarbeit leisten. Einmal im Jahr tauscht die Unternehme­rin sich mit anderen Inhabern von Unverpackt-Läden aus. Sie selbst hatte vor der Eröffnung einen Workshop bei Marie Delaperriè­re besucht, der Frau, die 2014 in Kiel den ersten Unverpackt Laden Deutschlan­ds gegründet hat.

Heute gibt es in ganz Deutschlan­d solche Läden. Um einen Großstadtt­rend handelt es sich schon lange nicht mehr. Allein im Allgäu gibt es mehrere Geschäfte. In Leutkirch eröffnete Anfang Februar das „happyend“. Ein weiterer Laden ist in Immenstadt geplant und im April soll in Anlehnung an die Tante-Emma-Läden ein Tante-Lose-Laden mit unverpackt­en Produkten eröffnen.

Auch auf der Ostalb läuft das Geschäft. Bereits seit 2015 betreibt Stephanie Adler in Schwäbisch Gmünd ein Geschäft. Da sie viele Kunden aus Aalen hat, wollte sie auch dort ein Geschäft eröffnen. Das Geld hat sie gerade über eine Crowdfundi­ngKampagne eingesamme­lt.

Bei umweltbewu­ssten Verbrauche­rn treffen die Läden offenbar einen Nerv. „Viele Leute wollen etwas ändern und da ist so ein Laden ein leichter Schritt“, sagt Alicia Dannecker. Sie betreibt seit 2017 den Unverpackt-Laden „Wohlgefühl“in Ravensburg und berät Interessie­rte, die überlegen, selbst einen Laden zu eröffnen. Auch ihre Erwartunge­n wurden übertroffe­n. Neben Pasta, Frühstücks­flocken, Nüssen, Ölen und Gewürzen hatte sie anfangs auch Obst und Gemüse sowie Butter und Käse im Angebot. Das sei aber an den Lieferbedi­ngungen gescheiter­t. „Wir sind noch zu klein, um bezahlbare Preise zu bekommen.“

Auch Kosmetik, offene Handcreme oder Deo zum Abfüllen, Bodylotion oder Gesichtscr­eme aus dem Pfandglas oder Haarseife gibt es bei ihr im „Wohlgefühl“. Mehrweg statt Einweg. „Man könnte noch viel mehr machen“, findet Alicia Dannecker. Auf Teneriffa habe sie gesehen, wie Kunden sogar Tiefkühlge­müse aus großen Boxen schöpfen konnten. „So etwas gibt es bei uns in Deutschlan­d bislang nicht.“

Probleme mit Motten oder anderen Plagegeist­ern habe man mit den abgefüllte­n Lebensmitt­eln ihrer Meinung nach nicht. Im Gegenteil: Motten habe man eher, wenn die Lebensmitt­el in geöffneten Schachteln und Tüten im Schrank stehen. Viele würden daher die Produkte zuhause ohnehin in verschließ­bare Gefäße füllen.

Man braucht nicht unbedingt einen Unverpackt-Laden im Ort, um Verpackung­smüll zu reduzieren. Viele Kunden gehen mittlerwei­le mit Mehrwegdos­en auf den Markt, zum Metzger oder in den Supermarkt, um dort Wurst, Käse oder Fleisch direkt abfüllen zu lassen.

Nicht jeder Händler macht das mit. Grund sind die Hygienevor­schriften. „Die Lebensmitt­elboxen dürfen nicht in den hygienisch­en Bereich hinter der Ladentheke“, erklärt Alicia Dannecker. Mittlerwei­le hätten jedoch viele Händler das Problem mit einem Kundentabl­ett gelöst. „Die Kunden stellen einfach ihr Gefäß darauf. So kommt es auch beim Abfüllen nicht mit der Theke in Berührung.“

„Die Unverpackt-Läden sind ein guter Ansatz. Man muss sich aber genau anschauen, wie die Produkte eingekauft werden“, sagt Ralph Weishaupt. Der Lebensmitt­elingenieu­r aus Wangen im Allgäu berät unter anderem Hersteller von Bioprodukt­en wie Rapunzel, wie sie ihre Produkte möglichst umweltfreu­ndlich verpacken können.

Seiner Meinung nach treffen viele Verbrauche­r schlicht aus Unwissenhe­it falsche Entscheidu­ngen. Beim Einkauf kommt es beispielsw­eise nicht nur darauf an, welche Produkte man kauft, sondern wie man sie nach Hause schafft. „Wer extra mit einem Auto zum Unverpackt-Laden fährt, hat etwas nicht verstanden“, sagt Weishaupt. Denn nur vier Prozent unseres Ölverbrauc­hs gehen auf Verpackung­en zurück. Die viel größeren Posten seien das Auto, Flugreisen und Heizen. Sprich: Auf Plastiktüt­en verzichten ist gut, auf Flugreisen verzichten besser.

Regionale Produkte sind besser

„Das Thema Verpackung­en ist hochkompli­ziert“, sagt Weishaupt. Kauft man die passierten Tomaten für die Spaghetti Bolognese lieber im Glas, in der Dose oder im leichten Tetrapack? „Kommt ganz darauf an“, sagt Weishaupt. Die passierten Tomaten aus Italien kauft man am besten in der Dose. Denn die Klimabilan­z hängt nicht nur mit der Verpackung zusammen, sondern auch mit dem Transportw­eg. Regional abgefüllt, ist das Glas klar im Vorteil, da es sehr gut recyclingf­ähig ist. Das ist die Dose aber auch – nur, dass sie viel leichter ist. Daher schneidet sie bei langen Transportw­egen besser ab. Beim Recycling abgeschlag­en sind die Tetrapacks. Selbst wenn sie fleißig gesammelt werden, könne maximal ihr Papierante­il verwertet werden.

Auch der Allgäuer Joghurt im Pfandglas ist nur ökologisch, wenn das Glas nicht durch die halbe Republik gekarrt wurde. In Hamburg oder Berlin kauft man ihn lieber im Plastikbec­her. Oder noch besser: Man entscheide­t sich gleich für ein regionales Produkt. Statt uns vom Marketing blenden zu lassen, sollten wir Einkaufsen­tscheidung­en viel öfters mit Blick auf Herkunft, Inhalt und Verpackung treffen, rät Weishaupt. Recht einfach ist es beim Bier. „Hier kauft man am besten die Mehrwegfla­schen einer lokalen Brauerei.“

Ob Bier oder Kaffee – viele Abfallströ­me entstehen erst, weil Verbrauche­r heute alles „to go“wollen, statt in Ruhe zu genießen, sagt Weishaupt. „Für die Umwelt wäre schon viel getan, wenn wir nicht immer versuchen würden, alles im Laufen zu erledigen.“

Alle Teile der Serie finden Sie im Netz unter www.schwäbisch­e.de/ müll. Eine Karte mit Unverpackt­Läden in der Region und einen Podcast zum Thema gibt es unter www.schwäbisch­e.de/unverpackt

 ?? FOTO: IMAGO ?? In Kiel entstand vor fünf Jahren der erste Unverpackt-Laden. Dort kann man Nudeln, Reis, Getreidefl­ocken, aber auch Flüssiges wie Duschgel, Putzmittel, Öl oder Likör kaufen – ohne Verpackung.
FOTO: IMAGO In Kiel entstand vor fünf Jahren der erste Unverpackt-Laden. Dort kann man Nudeln, Reis, Getreidefl­ocken, aber auch Flüssiges wie Duschgel, Putzmittel, Öl oder Likör kaufen – ohne Verpackung.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany