Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Es geht auch ohne
Ökologischer Trend beim Einkaufen: In der Region eröffnen immer mehr Unverpackt-Läden
Einkaufen ohne Verpackungsmüll: Das Konzept der Unverpackt-Läden trifft bei umweltbewussten Verbrauchern offenbar einen Nerv. Doch die Ökobilanz geht nur auf, wenn man ein paar Dinge beachtet.
Simone Keller hat sich vor zweieinhalb Jahren ihren Traum erfüllt. „Heimatliebe“steht in großen, metallenen Buchstaben über dem liebevoll eingerichteten Geschäft in Markdorf (Bodenseekreis). An den Wänden stehen große Gläser mit Nudeln, Reis, Müsli oder Nüssen. Die Idee: Jeder füllt selbst ab, was er braucht. Das Konzept geht auf. „Seit der Eröffnung sind wir ständig gewachsen“, sagt Keller. „Insgesamt kommen zwar weniger Leute, aber die die kommen, kaufen jetzt richtig ein. Mittlerweile hat sich der Umsatz verdoppelt.“
Eier, Käse und Feldsalat sind derzeit der Renner. Wer eine Auswahl wie im Supermarkt erwartet, ist allerdings an der falschen Adresse. Im Kühlregal liegt nur ein Käse, der ist dafür aber regional: Heumilchkäse aus dem Allgäu. „Ich muss ihn immer im Ganzen kaufen. Sonst kommt er sofort eingeschweißt“, sagt Keller. Überhaupt müsse sie bei den Händlern immer noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Einmal im Jahr tauscht die Unternehmerin sich mit anderen Inhabern von Unverpackt-Läden aus. Sie selbst hatte vor der Eröffnung einen Workshop bei Marie Delaperrière besucht, der Frau, die 2014 in Kiel den ersten Unverpackt Laden Deutschlands gegründet hat.
Heute gibt es in ganz Deutschland solche Läden. Um einen Großstadttrend handelt es sich schon lange nicht mehr. Allein im Allgäu gibt es mehrere Geschäfte. In Leutkirch eröffnete Anfang Februar das „happyend“. Ein weiterer Laden ist in Immenstadt geplant und im April soll in Anlehnung an die Tante-Emma-Läden ein Tante-Lose-Laden mit unverpackten Produkten eröffnen.
Auch auf der Ostalb läuft das Geschäft. Bereits seit 2015 betreibt Stephanie Adler in Schwäbisch Gmünd ein Geschäft. Da sie viele Kunden aus Aalen hat, wollte sie auch dort ein Geschäft eröffnen. Das Geld hat sie gerade über eine CrowdfundingKampagne eingesammelt.
Bei umweltbewussten Verbrauchern treffen die Läden offenbar einen Nerv. „Viele Leute wollen etwas ändern und da ist so ein Laden ein leichter Schritt“, sagt Alicia Dannecker. Sie betreibt seit 2017 den Unverpackt-Laden „Wohlgefühl“in Ravensburg und berät Interessierte, die überlegen, selbst einen Laden zu eröffnen. Auch ihre Erwartungen wurden übertroffen. Neben Pasta, Frühstücksflocken, Nüssen, Ölen und Gewürzen hatte sie anfangs auch Obst und Gemüse sowie Butter und Käse im Angebot. Das sei aber an den Lieferbedingungen gescheitert. „Wir sind noch zu klein, um bezahlbare Preise zu bekommen.“
Auch Kosmetik, offene Handcreme oder Deo zum Abfüllen, Bodylotion oder Gesichtscreme aus dem Pfandglas oder Haarseife gibt es bei ihr im „Wohlgefühl“. Mehrweg statt Einweg. „Man könnte noch viel mehr machen“, findet Alicia Dannecker. Auf Teneriffa habe sie gesehen, wie Kunden sogar Tiefkühlgemüse aus großen Boxen schöpfen konnten. „So etwas gibt es bei uns in Deutschland bislang nicht.“
Probleme mit Motten oder anderen Plagegeistern habe man mit den abgefüllten Lebensmitteln ihrer Meinung nach nicht. Im Gegenteil: Motten habe man eher, wenn die Lebensmittel in geöffneten Schachteln und Tüten im Schrank stehen. Viele würden daher die Produkte zuhause ohnehin in verschließbare Gefäße füllen.
Man braucht nicht unbedingt einen Unverpackt-Laden im Ort, um Verpackungsmüll zu reduzieren. Viele Kunden gehen mittlerweile mit Mehrwegdosen auf den Markt, zum Metzger oder in den Supermarkt, um dort Wurst, Käse oder Fleisch direkt abfüllen zu lassen.
Nicht jeder Händler macht das mit. Grund sind die Hygienevorschriften. „Die Lebensmittelboxen dürfen nicht in den hygienischen Bereich hinter der Ladentheke“, erklärt Alicia Dannecker. Mittlerweile hätten jedoch viele Händler das Problem mit einem Kundentablett gelöst. „Die Kunden stellen einfach ihr Gefäß darauf. So kommt es auch beim Abfüllen nicht mit der Theke in Berührung.“
„Die Unverpackt-Läden sind ein guter Ansatz. Man muss sich aber genau anschauen, wie die Produkte eingekauft werden“, sagt Ralph Weishaupt. Der Lebensmittelingenieur aus Wangen im Allgäu berät unter anderem Hersteller von Bioprodukten wie Rapunzel, wie sie ihre Produkte möglichst umweltfreundlich verpacken können.
Seiner Meinung nach treffen viele Verbraucher schlicht aus Unwissenheit falsche Entscheidungen. Beim Einkauf kommt es beispielsweise nicht nur darauf an, welche Produkte man kauft, sondern wie man sie nach Hause schafft. „Wer extra mit einem Auto zum Unverpackt-Laden fährt, hat etwas nicht verstanden“, sagt Weishaupt. Denn nur vier Prozent unseres Ölverbrauchs gehen auf Verpackungen zurück. Die viel größeren Posten seien das Auto, Flugreisen und Heizen. Sprich: Auf Plastiktüten verzichten ist gut, auf Flugreisen verzichten besser.
Regionale Produkte sind besser
„Das Thema Verpackungen ist hochkompliziert“, sagt Weishaupt. Kauft man die passierten Tomaten für die Spaghetti Bolognese lieber im Glas, in der Dose oder im leichten Tetrapack? „Kommt ganz darauf an“, sagt Weishaupt. Die passierten Tomaten aus Italien kauft man am besten in der Dose. Denn die Klimabilanz hängt nicht nur mit der Verpackung zusammen, sondern auch mit dem Transportweg. Regional abgefüllt, ist das Glas klar im Vorteil, da es sehr gut recyclingfähig ist. Das ist die Dose aber auch – nur, dass sie viel leichter ist. Daher schneidet sie bei langen Transportwegen besser ab. Beim Recycling abgeschlagen sind die Tetrapacks. Selbst wenn sie fleißig gesammelt werden, könne maximal ihr Papieranteil verwertet werden.
Auch der Allgäuer Joghurt im Pfandglas ist nur ökologisch, wenn das Glas nicht durch die halbe Republik gekarrt wurde. In Hamburg oder Berlin kauft man ihn lieber im Plastikbecher. Oder noch besser: Man entscheidet sich gleich für ein regionales Produkt. Statt uns vom Marketing blenden zu lassen, sollten wir Einkaufsentscheidungen viel öfters mit Blick auf Herkunft, Inhalt und Verpackung treffen, rät Weishaupt. Recht einfach ist es beim Bier. „Hier kauft man am besten die Mehrwegflaschen einer lokalen Brauerei.“
Ob Bier oder Kaffee – viele Abfallströme entstehen erst, weil Verbraucher heute alles „to go“wollen, statt in Ruhe zu genießen, sagt Weishaupt. „Für die Umwelt wäre schon viel getan, wenn wir nicht immer versuchen würden, alles im Laufen zu erledigen.“
Alle Teile der Serie finden Sie im Netz unter www.schwäbische.de/ müll. Eine Karte mit UnverpacktLäden in der Region und einen Podcast zum Thema gibt es unter www.schwäbische.de/unverpackt