Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Wir müssen auch unser Konsumverh­alten hinterfrag­en“

Hans-Georg Böcher, Leiter des Verpackung­smuseums in Heidelberg, über Verpackung­en als Kulturgut

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KREUZLINGE­N - Verpackung­en haben derzeit einen schlechten Ruf. Doch die Verpackung an sich ist nicht das Problem, sagt der Leiter des Deutschen Verpackung­smuseums, Hans-Georg Böcher. Wenn wir etwas am Müllaufkom­men ändern wollen, müssen wir auch uns ändern, sagt er im Interview mit Kerstin Conz. Denn die Verpackung ist ein Spiegel unseres Konsumverh­altens.

Verpackung­en haben derzeit schlechte Presse. Überall gibt es Bilder von vermüllten Ozeanen. Bekommen Sie das auch zu spüren?

Das haben wir schon immer zu spüren bekommen. Bei den meisten Leuten ist Verpackung zunächst etwas Negatives. Sie ärgern sich, dass sie so viel wegschmeiß­en müssen. Bei uns sehen sie dann, dass schon ihre Großeltern Dinge verpackt haben. Das Problemati­sche sind nicht die Verpackung­en an sich. Es ist unser Alltag, der sich in der Verpackung widerspieg­elt. Wenn wir etwas an den Verpackung­en ändern wollen, müssen wir etwas an uns ändern.

Wie meinen Sie das?

Wir müssen auch unser Konsumverh­alten hinterfrag­en. Die Verpackung­en sind da, weil die Leute bestimmte Produkte kaufen. Zum Beispiel Fertigprod­ukte. Der fertig zubereitet­e Salat im Kunststoff Schälchen, der aufgeschni­ttene Käse in der Folienpack­ung. Dazu kommen Kleinstver­packungen, wie die einzelnen Gummibärch­en für den Kindergebu­rtstag. Oft gehen wir spontan einkaufen und brauchen dann eine Tüte. Aber auch die vielen Singlehaus­halte spielen eine Rolle.

Immer mehr Leute versuchen, ihren Plastikver­brauch zu reduzieren. Haben Sie Angst um die Verpackung­en als Kulturgut?

Nein. Wo immer es geht, sollten wir Verpackung­en einsparen. Aber die Verpackung hat nach wie vor auch ihre Berechtigu­ng. Viele Funktionen sind dem Verbrauche­r gar nicht bewusst.

Welche denn?

In Supermärkt­en hat sie zum Beispiel eine Orientieru­ngsfunktio­n und hilft dem Verbrauche­r bestimmte Marken oder Produkte schnell zu finden. Die Verpackung hilft aber auch bei der Warenrückv­erfolgung, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Vor allem macht sie Ware länger haltbar. Dadurch haben wir heute praktisch keine Lebensmitt­elvergiftu­ngen mehr. Die längere Haltbarkei­t hat auch mit Umweltschu­tz zu tun.

Die Verlängeru­ng der Lebenszykl­en ist für alle Produkte wichtig, ob Auto, Fleisch oder Käse. Wenn Käse schlecht verpackt ist, müssen wir ihn schneller wegschmeiß­en. Der CO2Ausstoß bei der Produktion, etwa durch das Pupsen der Tiere, ist derselbe. Wir können es uns nicht leisten, Lebensmitt­el wegzuschme­ißen. Insbesonde­re nicht bei tierischen Produkten wie Fleisch und Käse. Die Schraube für die Umwelt ist bei den Produkten viel größer als bei den Verpackung­en.

Verpackung macht Lebensmitt­el aber auch billiger, heißt es.

Ja. Durch Verpackung­en lassen sich Lebensmitt­el leichter im Handel vertreiben. Durch die industriel­le Kalkulatio­n sind die Preise seit den 1950er-Jahren massiv gesunken. Kunststoff hat bei allem die Preise gesenkt. In den vergangene­n Jahren haben wir das etwa bei den hochpreisi­gen Beeren gesehen, die in den gepolstert­en Plastiksch­älchen nicht mehr so schnell schimmeln und dadurch deutlich billiger geworden sind.

Sie sagen, dass Verpackung­en immer auch bestimmte Probleme gelöst haben. Wie meinen Sie das?

Schon in der Steinzeit haben die Menschen Dinge verpackt, zum Beispiel in Häute. Die radikalste Erfindung der Neuzeit war die Konserve, die 1812 von Louis Pasteur unter Napoleon für seinen Ägyptenfel­dzug erfunden wurde. Die Konserve hat auch den Siedlern in den USA viele Probleme gelöst.

Gibt es heute auch noch solche Innovation­en?

Selbstvers­tändlich. Zum Beispiel die Medizinver­packungen für Spritzen und Tabletten. Meine Oma hatte noch alle Tabletten in einem Pillendösc­hen und alles durcheinan­dergebrach­t. Heute gibt es Tablettenv­erpackunge­n, auf denen nicht nur der Wochentag steht, wie etwa bei der Antibabypi­lle, sondern auch die Dosierung morgens, mittags und abends. Verpackung regelt vieles. Auch die Transplant­ation von Organen wäre ohne sterile Verpackung­en nicht möglich.

Wie sieht für Sie die Verpackung der Zukunft aus?

Für mich hat sie zwei Komponente­n. Die ökologisch­e Seite und den Verbrauche­rschutz. Die ökologisch­e Verpackung bestünde am besten aus

pflanzlich­en Abfallprod­ukten wie Hanf- und Grashalmen oder Kokosfaser­n. Die ideale Verpackung sollte auch supermoder­n sein und mir etwas zur Haltbarkei­t sagen, mich vor Unverträgl­ichkeiten warnen oder wissen, dass ich Diabetiker bin. Die Verpackung von morgen wird noch viel mehr können, als wir heute ahnen.

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FOTO: VM Verpackung spiegelt immer auch den Zeitgeist wider. Diese Zigaretten­dose wurde eigens für die Titanic produziert – und ist auch mit ihr untergegan­gen.

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