Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Polizei befreit Senioren aus „Horrorhaus“
101-jährige Deutsche unter verdächtigen Umständen in Spanien gestorben
CÁDIZ - Die spanische Guardia Civil fand drastische Worte für das Bild, das sich Ermittlern in einer Villa in der Nähe von Cádiz bot: Ein „Horrorhaus“sei das Seniorendomizil im andalusischen Chiclana gewesen, twitterte die Polizei empört, nachdem sie zwei Rentner – einen Deutschen und eine Niederländerin – von dort befreit hatte. „Sie wurden eingesperrt, unter Drogen gesetzt und durch eine Nasensonde ernährt“, hieß es.
Die betrügerischen Pfleger, ein Mann und eine Frau, welche beide die deutsche wie die kubanische Staatsangehörigkeit besitzen sollen, wurden verhaftet. Sie sollen sich wenigstens 1,8 Millionen Euro erschlichen haben. Zudem setzte die Polizei vier Verdächtige fest, die bei den Misshandlungen und dem Betrug geholfen haben sollen. Gegen neun weitere Personen wird wegen Beihilfe ermittelt. Den Beschuldigten wird Unterschlagung, Misshandlung, Urkundenfälschung, Betrug und Geldwäsche zur Last gelegt. Viele Details der zeitlichen Abläufe, der mutmaßlichen Straftaten und der polizeilichen Maßnahmen in Spanien waren am Freitag noch unklar.
Die beiden aus dem Chalet in der Nähe von Cádiz befreiten Rentner waren nicht die einzigen Opfer: Die Polizei geht davon aus, dass mindestens vier weitere ausländische Senioren, darunter wenigstens eine Deutsche und ein Italiener, in diesem „Horrorhaus“misshandelt wurden. Alle vier verstarben den Ermittlungen zufolge auf verdächtige Art und Weise, und zwar kurz nachdem sie das betrügerische Pflegerpaar als Erben ihres gesamten Eigentums eingesetzt hatten. Vermutlich geschah auch dies unter rechtswidrigen Umständen und mithilfe von gefälschten Dokumenten.
Zu den Opfern zählt auch die Deutsche Maria B., die im Alter von 101 Jahren unter ungeklärten Umständen starb. „Ohne Familie in Spanien, mit Immobilienbesitz und einer interessanten Rente war sie das ideale Opfer“, schrieb die spanische Zeitung „El Mundo“.
Dieser Fall hatte den Stein erst ins Rollen gebracht: Maria B. habe bis 2015 in Frankfurt/Main gewohnt und sei dann nach Teneriffa umgezogen, sagte ein Sprecher der dortigen Polizei. Sie habe aber lange Kontakt zu ihrer früheren Nachbarin in Deutschland gehalten – bis diese sie plötzlich nicht mehr erreichen konnte. Die Frau meldete Maria B. Ende 2017 als vermisst – und die Frankfurter Polizei bat die spanischen Kollegen um Hilfe bei der Auffindung der Seniorin.
Keine Autopsie möglich
Beamte fanden die betagte Dame schließlich in schlimmem Zustand und holten sie aus dem „Horrorhaus“, während die Ermittlungen weiterliefen. Maria B. wurde in eine andere Pflegeeinrichtung gebracht, wo sie sich langsam erholte. Dort erzählte sie den Polizisten ihre Geschichte.
Das deutsch-kubanische Paar soll B. dann – wohl mit Hilfe einer gefälschten notariellen Vollmacht – aus dem Pflegeheim abgeholt haben. Kurz darauf war sie tot. „Sie verließ um 11 Uhr die Einrichtung. Um 16 Uhr teilte das Paar mit, die Frau sei bei ihnen im Auto gestorben. Ohne Zeugen“, schrieb „El Mundo“.
Die Verdächtigen ließen die Deutsche umgehend einäschern, eine Autopsie sei nicht mehr möglich gewesen, sagte ein Sprecher der Guardia Civil zu Journalisten. Zudem kam heraus, dass sie sich mit einem gefälschten Testament ein Haus auf Teneriffa überschreiben ließen, das B. gehörte.
Konten leer geräumt
Die Betrügerbande soll sie zuvor überredet haben, von ihrem Haus auf den Kanarischen Inseln in das Heim in Chiclana umzuziehen. Dort aber sei sie dann misshandelt und monatelang gefesselt und eingesperrt worden. Der Mordverdacht der Polizei wird auch dadurch genährt, dass die Betrüger dank ihrer Generalvollmacht umgehend die Konten der Verstorbenen leer räumten. Im Fall von B. seien 160 000 Euro von deren Konto gestohlen worden.
Die beiden zuletzt aus der „Casa de los horrores“befreiten Rentner seien unterernährt und „schläfrig, wie unter Drogen gesetzt“aufgefunden worden, so die Zeitung „Diario de Cádiz“. Sie wurden umgehend in eine andere Einrichtung in Jerez gebracht, wo sie sich erholen sollen.