Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ein Leichenwagen zieht um
Das Inventar des Cavazzen wird beim Umzug ins neue Depot um eine alte Kutsche erweitert
LINDAU - Kuriose Umzugsaktion: Das gesamte Inventar des Cavazzen wandert derzeit vom Stadtmuseum in das neu erbaute Depot, damit das altehrwürdige Bürgerhaus am Marktplatz grundlegend saniert werden kann. So ganz nebenbei hat sich aber der Bestand um eine Kutsche erweitert, genauer um eine Kutsche für Leichentransporte, die jetzt den Weg ins Depot gefunden hat. Wie aber kommt so ein Leichenwagen nach Jahrzehnten plötzlich ans Tageslicht? Da spielte der Zufall eine nicht ganz unwichtige Rolle.
Vor kurzem hatte die „Schwäbische Zeitung“über die Keller unter den GWG-Gebäuden in der Dreierstraße berichtet. Als Redaktionsleiter Dirk Augustin vom Geschäftsführer der GWG, Alexander Mayer, in die ehemaligen Brauereikeller geführt wurde war auch der Autor dieser Zeilen mit seiner Kamera dabei. Im letzten Kellergewölbe, das der Zeitungsbesuch zu Gesicht bekam, stand eine alte Kutsche, eindeutig als Leichenwagen zu erkennen, die sehr gut erhalten zu sein schien.
Das Gewölbe diente zuletzt Peter Witzigmann als Lager für Mal-Utensilien. Der Maler erzählte, dass er die Kutsche von Klaus Burger erhalten hatte, der in einem Kellergewölbe viele alte Möbel gelagert hatte. Als er diesen vor Jahren ausräumte, überließ er Witzigmann das Gefährt. Über die Geschichte der Kutsche wusste dieser jedoch so gut wie nichts. ANZEIGEN
Die Kutsche ging dem Fotografen nicht mehr aus dem Kopf, besonders vor dem Hintergrund, dass auch Witzigmanns Keller geräumt werden sollte. Vor seinem geistigen Auge sah er sie bereits im Cavazzen stehen, dessen Inventar-Umzug der Fotograf begleitete. Also nahm er erneut Kontakt zu Witzigmann auf, um zu erfahren, was mit der Kutsche geschehen solle. Der Malermeister gestand, dass er nicht wisse, wohin mit dem altertümlichen Gefährt, er es aber nicht zerstören wolle. „Mir wäre es am liebsten, wenn sie in gute Hände käme“, sagte er.
Museumsleiterin Barbara Reil, die einige Fotos von dem Leichenwagen erhalten hatte, war erstaunt über die Kutsche. Sie habe davon gehört, dass irgendwo auf der Hinteren Insel ein Leichenwagen stehen solle, dass es sich aber um eine Kutsche handelte, wusste sie nicht. Die Idee, seine Kutsche dem Museum zur Verfügung zu stellen, stieß bei Witzigmann auf offene Ohren. Eine Übergabe zum jetzigen Zeitpunkt hatte den Vorteil, dass die Kutsche wie alles Inventar des Cavazzen in eine Thermobehandlung könnte, die extra für die Umzugsaktion nach Lindau geholt worden war. Denn sicher hauste der ein oder andere Holzwurm in dem Wagen.
Kutsche ging in den 70er-Jahren in städtischen Besitz über
Nach der Abmachung stellte sich heraus, dass die Kutsche eigentlich Eigentum der Stadt ist, denn sie diente und gehörte der Gemeinde Oberreitnau als Leichenwagen im 19. Jahrhundert und ging bei der Eingemeindung der beiden Reitnauer Dörfer Ende der 1970er Jahre in städtischen Besitz über. Zu dieser Zeit kam Klaus Burger ins Spiel, der damalige Leiter des Bauamtes. Dort, wo heute das Freizeitzentrum steht, war seinerzeit ein Stadel, in dem unter anderem auch der Leichenwagen vor sich hin darbte. Der Stadel wurde abgerissen, um für das neue Gebäude Platz zu machen. Burger erzählt: „Damals hatte keiner ein Interesse an alten Dingen, die ganzen Gegenstände, darunter ein alter Bauernschlitten und, so weit ich mich erinnere, eine alte Feuerwehrspritze auf einem Wagen, wären damals vernichtet worden.“
So rettete Burger die obdachlose Kutsche und den Schlitten. Letzterer überlebte die Jahrzehnte in der Feuchte des Stabsgebäudes auf der Hinteren Insel, wo jetzt die Luitpoldkaserne saniert steht, nicht. Wohl aber die Kutsche, die Ende der 1990er-Jahre dann in den Brauereikeller umzog, bevor mit der Sanierung der ehemaligen Kaserne begonnen wurde und die ganzen Schuppen und Garagen abgerissen wurden.
Burger freute sich zu hören, dass es den Leichenwagen noch gibt und dass er in den Besitz der Stadt zurückgeht. Denn damals wollte keiner den Wagen haben. „Ich hatte in den Bauernhofmuseen Wolfegg und Illerbeuren angefragt, auch bei einem Kutschenmuseum, aber die wollten den Wagen nicht, der Bedarf an Leichenwagen war gedeckt“, berichtet Burger. Auch Peter Witzigmann freut sich riesig und ist dankbar, dass die Kutsche eine sichere Bleibe erhalten hat, denn das war ihm am Wichtigsten. „Vielleicht sehe ich sie ja eines Tages als Teil irgendeiner Ausstellung“, sagt er.
So kam Ludwig Strobel als Abschleppdienst in den seltenen Genuss, diesen rund 200 Jahre alten Leichenwagen bei schönstem Nachmittagswetter ins Depot transportieren zu dürfen. Fast liebevoll zogen Wolfgang Kuen und Holzfachmann Oliver Junk den Wagen aus dem Keller, die Kutsche rollte dabei fast leichtfüßig ans Tageslicht. Das Tageslicht garantierte auch, dass kein Vampir mehr in dem Wagen versteckt war, denn während der Fahrt von der Hinteren Insel aufs Festland wehten die Vorhänge freudig im Wind. Da hätte ein Blutsauger keine Chance mehr gehabt, sich vor dem Tageslicht zu verstecken.