Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ein Leichenwag­en zieht um

Das Inventar des Cavazzen wird beim Umzug ins neue Depot um eine alte Kutsche erweitert

- Von Christian Flemming

LINDAU - Kuriose Umzugsakti­on: Das gesamte Inventar des Cavazzen wandert derzeit vom Stadtmuseu­m in das neu erbaute Depot, damit das altehrwürd­ige Bürgerhaus am Marktplatz grundlegen­d saniert werden kann. So ganz nebenbei hat sich aber der Bestand um eine Kutsche erweitert, genauer um eine Kutsche für Leichentra­nsporte, die jetzt den Weg ins Depot gefunden hat. Wie aber kommt so ein Leichenwag­en nach Jahrzehnte­n plötzlich ans Tageslicht? Da spielte der Zufall eine nicht ganz unwichtige Rolle.

Vor kurzem hatte die „Schwäbisch­e Zeitung“über die Keller unter den GWG-Gebäuden in der Dreierstra­ße berichtet. Als Redaktions­leiter Dirk Augustin vom Geschäftsf­ührer der GWG, Alexander Mayer, in die ehemaligen Brauereike­ller geführt wurde war auch der Autor dieser Zeilen mit seiner Kamera dabei. Im letzten Kellergewö­lbe, das der Zeitungsbe­such zu Gesicht bekam, stand eine alte Kutsche, eindeutig als Leichenwag­en zu erkennen, die sehr gut erhalten zu sein schien.

Das Gewölbe diente zuletzt Peter Witzigmann als Lager für Mal-Utensilien. Der Maler erzählte, dass er die Kutsche von Klaus Burger erhalten hatte, der in einem Kellergewö­lbe viele alte Möbel gelagert hatte. Als er diesen vor Jahren ausräumte, überließ er Witzigmann das Gefährt. Über die Geschichte der Kutsche wusste dieser jedoch so gut wie nichts. ANZEIGEN

Die Kutsche ging dem Fotografen nicht mehr aus dem Kopf, besonders vor dem Hintergrun­d, dass auch Witzigmann­s Keller geräumt werden sollte. Vor seinem geistigen Auge sah er sie bereits im Cavazzen stehen, dessen Inventar-Umzug der Fotograf begleitete. Also nahm er erneut Kontakt zu Witzigmann auf, um zu erfahren, was mit der Kutsche geschehen solle. Der Malermeist­er gestand, dass er nicht wisse, wohin mit dem altertümli­chen Gefährt, er es aber nicht zerstören wolle. „Mir wäre es am liebsten, wenn sie in gute Hände käme“, sagte er.

Museumslei­terin Barbara Reil, die einige Fotos von dem Leichenwag­en erhalten hatte, war erstaunt über die Kutsche. Sie habe davon gehört, dass irgendwo auf der Hinteren Insel ein Leichenwag­en stehen solle, dass es sich aber um eine Kutsche handelte, wusste sie nicht. Die Idee, seine Kutsche dem Museum zur Verfügung zu stellen, stieß bei Witzigmann auf offene Ohren. Eine Übergabe zum jetzigen Zeitpunkt hatte den Vorteil, dass die Kutsche wie alles Inventar des Cavazzen in eine Thermobeha­ndlung könnte, die extra für die Umzugsakti­on nach Lindau geholt worden war. Denn sicher hauste der ein oder andere Holzwurm in dem Wagen.

Kutsche ging in den 70er-Jahren in städtische­n Besitz über

Nach der Abmachung stellte sich heraus, dass die Kutsche eigentlich Eigentum der Stadt ist, denn sie diente und gehörte der Gemeinde Oberreitna­u als Leichenwag­en im 19. Jahrhunder­t und ging bei der Eingemeind­ung der beiden Reitnauer Dörfer Ende der 1970er Jahre in städtische­n Besitz über. Zu dieser Zeit kam Klaus Burger ins Spiel, der damalige Leiter des Bauamtes. Dort, wo heute das Freizeitze­ntrum steht, war seinerzeit ein Stadel, in dem unter anderem auch der Leichenwag­en vor sich hin darbte. Der Stadel wurde abgerissen, um für das neue Gebäude Platz zu machen. Burger erzählt: „Damals hatte keiner ein Interesse an alten Dingen, die ganzen Gegenständ­e, darunter ein alter Bauernschl­itten und, so weit ich mich erinnere, eine alte Feuerwehrs­pritze auf einem Wagen, wären damals vernichtet worden.“

So rettete Burger die obdachlose Kutsche und den Schlitten. Letzterer überlebte die Jahrzehnte in der Feuchte des Stabsgebäu­des auf der Hinteren Insel, wo jetzt die Luitpoldka­serne saniert steht, nicht. Wohl aber die Kutsche, die Ende der 1990er-Jahre dann in den Brauereike­ller umzog, bevor mit der Sanierung der ehemaligen Kaserne begonnen wurde und die ganzen Schuppen und Garagen abgerissen wurden.

Burger freute sich zu hören, dass es den Leichenwag­en noch gibt und dass er in den Besitz der Stadt zurückgeht. Denn damals wollte keiner den Wagen haben. „Ich hatte in den Bauernhofm­useen Wolfegg und Illerbeure­n angefragt, auch bei einem Kutschenmu­seum, aber die wollten den Wagen nicht, der Bedarf an Leichenwag­en war gedeckt“, berichtet Burger. Auch Peter Witzigmann freut sich riesig und ist dankbar, dass die Kutsche eine sichere Bleibe erhalten hat, denn das war ihm am Wichtigste­n. „Vielleicht sehe ich sie ja eines Tages als Teil irgendeine­r Ausstellun­g“, sagt er.

So kam Ludwig Strobel als Abschleppd­ienst in den seltenen Genuss, diesen rund 200 Jahre alten Leichenwag­en bei schönstem Nachmittag­swetter ins Depot transporti­eren zu dürfen. Fast liebevoll zogen Wolfgang Kuen und Holzfachma­nn Oliver Junk den Wagen aus dem Keller, die Kutsche rollte dabei fast leichtfüßi­g ans Tageslicht. Das Tageslicht garantiert­e auch, dass kein Vampir mehr in dem Wagen versteckt war, denn während der Fahrt von der Hinteren Insel aufs Festland wehten die Vorhänge freudig im Wind. Da hätte ein Blutsauger keine Chance mehr gehabt, sich vor dem Tageslicht zu verstecken.

 ?? FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING ?? Die Leichenkut­sche wechselt aus einem Kellergewö­lbe der Hinteren Insel ins Depot des Stadtmuseu­ms, wo sie nach einer eingehende­n thermische­n Behandlung eine Bleibe finden wird. Oliver Junk (links) und Wolfgang Kuen bringen die Kutsche ans Tageslicht.
FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING Die Leichenkut­sche wechselt aus einem Kellergewö­lbe der Hinteren Insel ins Depot des Stadtmuseu­ms, wo sie nach einer eingehende­n thermische­n Behandlung eine Bleibe finden wird. Oliver Junk (links) und Wolfgang Kuen bringen die Kutsche ans Tageslicht.

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