Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Fasten und verzichten – eine gewinnbringende Übung?
Ja, es ist sinnvoll, während der Fastenzeit das Leben aus religiösen oder persönlichen Gründen bewusst anders zu gestalten. Und: Ja, es fällt mir heute, am dritten Tag, noch schwer, meinen Vorsatz durchzuziehen, mein Handy wegzulegen und nicht dauernd aufs Display zu schauen. Bis Ostern – wenigstens – will ich mich in Gesprächen, beim Essen, beim Autofahren, beim Fernsehen oder im Kino auf den Gesprächspartner, die Mahlzeit, die Straße, die Sendung oder den Film konzentrieren.
Zur Erinnerung: Seit Jesu Tod erinnern sich Christen in den Wochen vor Karfreitag an das Leiden und Sterben Jesu Christi und bereiten sich auf Ostern vor, auf die Botschaft von der Auferstehung.
Früher drohten die Kirchen mit dem Verlust des Seelenheils bei Verstößen gegen die strengen Fastenregeln. Das ist zum Glück vorbei. Die Fastenzeiten halte ich aber für sinnvoll, weil sie den Anstoß geben, besonders über die eigene Lebensweise nachzudenken. Ich zwinge mich, überkommene Denkund Verhaltensmuster zu hinterfragen. Ich bekomme den Impuls zu überlegen, was ich sofort oder künftig besser machen kann. Ich hoffe ganz persönlich, mehr Wertschätzung und Respekt, höhere Aufmerksamkeit und mehr Zeit für meine Mitmenschen aufbringen zu können. Und dann wird aus dem Verzicht Gewinn.
Sicher, es ist ein bestechendes Konzept: Ein paar Wochen auf Süßes oder Wein weglassen, um dafür das ganze
Jahr wieder reichlich und ohne schlechtes Gewissen zuschlagen zu können. Oder ein paar Tage auf feste Nahrung zu verzichten, um dann schein- bar entgiftet und im Hochgefühl der eigenen Leichtigkeit durchs Leben zu schweben. Meinem
Kopf würde das prima gefallen, es ist so wunderbar einfach und reduziert den Körper auf eine Art Abflussröhrensystem, das regelmäßig durchgeputzt werden muss, um gut zu funktionieren.
Leider verfüge ich über einen Körper, der da nicht mitmacht. Er hält eine regelmäßige Versorgung mit Nahrung für dringend geboten. Außerdem mag er Nachtisch, schon immer, und wird bockig, wenn ich ihn auf Entzug setze. Der wohlmeinende Versuch, diesem Körper eine Detox-Kur mit Milch und trockenen Semmeln zuzumuten, endete einst im Desaster – außer sensationell schlechter Laune und Würgereiz beim bloßen Anblick von Semmeln kam dabei nichts raus. Basierend auf dieser üblen Erfahrung haben wir gemeinsam beschlossen, dass er ab und zu Brokkoli isst, wenn ich zugestehe, dass ein Stück Apfelkuchen mit Sahne nur ein Stück Apfelkuchen mit Sahne ist – und kein Teufelszeug. Damit herrscht Frieden, und zwar das ganze Jahr über.