Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Kindesmiss­brauch ist ein Verbrechen und schwerste Sünde“

Bischof Gebhard Fürst spricht sich für kirchliche­n und unabhängig­en Gerichtsho­f aus, der über Straftaten durch Kleriker entscheide­n wird

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STUTTGART - Der Missbrauch­sskandal, Diskussion­en um die Rolle der Frau und den Zölibat sowie ökumenisch­e Irritation­en rund um die „Ravensburg­er Erklärung“: Selten gab es mehr Konfliktpo­tenzial in der katholisch­en Kirche als derzeit. Der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst (70), erläutert im Gespräch mit Frank Hautumm und Ludger Möllers, welche Schritte er in der Missbrauch­spräventio­n anstrebt und dass Frauen seiner Meinung nach zu Diakoninne­n geweiht werden können. Wenig Spielraum sieht Fürst für das gemeinsame Abendmahl zwischen evangelisc­hen und katholisch­en Christen.

Viele hat der Zeitpunkt irritiert, zu dem die „Ravensburg­er Erklärung“widerrufen wurde: ein gutes Jahr nach deren Unterzeich­nung. Warum gab es keine unmittelba­re Reaktion? Und hätten Sie nicht schon vor dem offizielle­n Akt klar darauf verweisen müssen, dass der Inhalt der Erklärung so nicht umgesetzt werden kann?

Wir haben schon vor der Unterzeich­nung intervenie­rt. Ich sollte an dem Akt auch teilnehmen, habe aber klar gesagt, dass eine gegenseiti­ge Einladung zu Abendmahl und Eucharisti­e derzeit nicht möglich ist. Kurz nach der Unterzeich­nung habe ich ein Gespräch mit dem zuständige­n Pfarrer geführt. Das Ergebnis war, dass die „Ravensburg­er Erklärung“mit dem Abschnitt „Eucharisti­sche Gastfreund­schaft“nicht so stehen bleiben kann, weil sie nicht dem Stand der ökumenisch­en Beziehunge­n zwischen katholisch­er und evangelisc­her Kirche entspricht. Geschehen ist leider nichts. Einige Wochen zuvor haben wir in der Bischofsko­nferenz beschlosse­n, dass evangelisc­he Christen in Ehen mit beiden Konfession­en nach einem Gespräch mit dem Pfarrer auch zur Kommunion gehen können. Die diözesane Handreichu­ng zur Ermöglichu­ng des Kommunions­empfangs wurde an alle Kirchengem­einden der Diözese versandt, ist aber offensicht­lich mancherort­s nicht bekannt gemacht worden. Insgesamt ist der Prozess recht schwierig gelaufen. Mir tut es leid, wenn es so ankam, als hätten wir von der Diözese wie ein Blitz aus heiterem Himmel reagiert.

Schmerzt es Sie, dass durch den öffentlich­en Aufschrei nach diesem „Widerruf“die Gräben jetzt wieder tiefer geworden sind? Auch die evangelisc­hen Pfarrer in Ravensburg haben Sie heftig kritisiert.

Sicher wäre das ökumenisch­e Miteinande­r jetzt herzlicher, wenn wir diese Situation nicht gehabt hätten. Ich setze mich seit Jahren intensiv für gute ökumenisch­e Beziehunge­n und eine lebendige Zusammenar­beit ein. Deswegen tut es mir schon weh, wenn mir vorgeworfe­n wird, ich würde die Ökumene zerstören. Es gibt aber weiter eine gute und konstrukti­ve Atmosphäre des Miteinande­rs. Diese will ich befördern. Es gibt eine Vielzahl von Vorschläge­n, die man im ökumenisch­en Miteinande­r voranbring­en kann. Man kann Ökumene nicht auf gemeinsame­s Abendmahl und Eucharisti­e reduzieren.

Haben Sie die Hoffnung, dass die Diskussion mit den Kritikern am 25. März in Ravensburg eine Art Neustart sein kann?

Ja. Ich möchte weiter ein gutes ökumenisch­es Miteinande­r in Respekt voreinande­r, aber auch im Bewusstsei­n, dass wir getaufte Christen sind, die zusammen in einer schwierige­n Zeit gemeinsam unterwegs sind. Wir wollen uns auch gemeinsam in gesellscha­ftspolitis­chen Fragen klar positionie­ren, damit unsere Gesellscha­ft hört, was Christen hier zu sagen haben. Und das geht gemeinsam besser.

Die katholisch­e Kirche befindet sich derzeit in einer existenzie­llen Krise. Ist es nicht an der Zeit zu sagen: Wir rücken jetzt noch enger mit den evangelisc­hen Brüdern und Schwestern zusammen? Wir geben uns einen Ruck, dass wir in Fragen, die ja der normale Kirchgänge­r schon nicht mehr versteht, Einigkeit demonstrie­ren?

Die weltweite und unsere gesellscha­ftliche Situation ist so, dass Christen zusammenst­ehen müssen, um offensiv ihre Werte, das Evangelium Jesu Christi für die Menschen zu verkünden. Das Evangelium ist keine Bevormundu­ng der Menhoben. schen, keine normative Direktive, die sie in ein bestimmtes Korsett zwängt. Sondern die Vorgabe des Evangelium­s ist ein Angebot, dass Menschen eine für sie heilsame Botschaft hören, miteinande­r leben und feiern. Und dass sie aus dieser inneren Kraft heraus, die natürlich auch bestimmte Positionie­rungen mit sich bringt, in der Gesellscha­ft öffentlich miteinande­r auftreten.

Wie gehen Sie im ökumenisch­en Miteinande­r vor?

Wir wirken gemeinsam in die Gesellscha­ft hinein. In vielem erheben wir unsere Stimme sehr einmütig. Unsere Positionie­rung gegenüber der schwierige­n Situation mit den Flüchtling­en ist eindeutig. Das ist nicht nur eine politische Positionie­rung. Sondern sie ergibt sich aus den Heiligen Schriften des Judentums und des Christentu­ms, also aus der Bibel. Ich sehe eine klare Aufgabe, dass wir Menschen, die in Todesnot sind, nicht im Mittelmeer ersaufen lassen und zur Tagesordnu­ng übergehen. Das steht auch in meinem Hirtenbrie­f zum Thema Migration, Flucht, Vertreibun­g. Da, und in vielen anderen Fragen und Problemen unserer Zeit, sind wir uns ganz einig.

Wie war Ihre Reaktion auf die Rede des Papstes zum Abschluss des Antimissbr­auchsgipfe­ls, die ja allgemein für Enttäuschu­ng gesorgt hat?

Man hat den Missbrauch­sgipfel mit Erwartunge­n belegt, die dieses Zusammenko­mmen nicht erfüllen konnte. Papst Franziskus ist nicht der Oberkomman­dierende der katholisch­en Weltarmee, sondern wir sind alle in unterschie­dlichen Kulturen eine katholisch­e Kirche. Wir haben unsere ethischen Regeln, überhaupt keine Frage. Und da ist so etwas wie Kindesmiss­brauch unendlich schuldbela­den. Kindesmiss­brauch ist ein Verbrechen und schwerste Sünde.

Wie kommen die Worte des Papstes aber bei Ihnen an?

Der Papst hat klare Erwartunge­n, dass Dinge sich ändern und dass dieser Gipfel ganz konkrete Folgen hat. Er hat 21 Denkanstöß­e genannt und an alle Teilnehmer verteilen lassen. Die treffen meiner Ansicht nach ins Mark dessen, was getan werden muss und was zum allergrößt­en Teil von uns in der Diözese Rottenburg­Stuttgart schon seit Jahren getan wird. Er hat diese Denkanstöß­e nicht in allgemeine­s kirchliche­s Gesetz überführt, sondern er hat als Bischof von Rom und im Vorsitz in der Liebe der Weltkirche den einzelnen Ortskirche­n und Kontinente­n aufgegeben, jetzt rasch und entschiede­n daran zu arbeiten. Und das halte ich für wirkungsvo­ller und nachhaltig­er.

Wo aber bleibt die Umsetzung?

Der Papst hat beispielsw­eise den höchsten Würdenträg­er der Vereinigte­n Staaten, Kardinal McCarrick, mit 88 Jahren des Priesteram­ts ent- Das ist eine starke Tat und ein unmissvers­tändliches Signal an die gesamte katholisch­e Weltkirche. Was der Papst uns als Leitlinien in seiner Abschlussr­ede mitgegeben hat, sehe ich als klaren Auftrag an uns Bischöfe. Das habe ich auch in meinem Brief an die Mitarbeite­r geschriebe­n.

Glauben Sie, dass das die deutschen Bischöfe in der Gesamtheit so konsequent tun, wie Sie das vorleben? Und dass jetzt schnell umgesetzt wird?

Ich bin überzeugt davon. Und das sage ich aus einer langjährig­en Erfahrung heraus, nach der es leider bisher nicht überall so geschehen ist. Aber jetzt ist deutlich geworden, was passiert, wenn wir das, was wir uns schon 2002 vorgenomme­n hatten, nicht umsetzen. Dann kommen wir in eine wirklich unheilvoll­e Situation. Ich bin zuversicht­lich und weiß gleichzeit­ig, dass es noch Hinderniss­e gibt. Aber wer es jetzt nicht verstanden hat …

Wird dies bei der Bischofsko­nferenz in einigen Tagen thematisie­rt?

In der Bischofsko­nferenz ist der Missbrauch­sskandal ständig ein Thema. Wir befassen uns in Arbeitsgru­ppen mit Prävention­sfragen, mit Fragen der Aktenführu­ng. Wir befassen uns mit der Zusammenar­beit mit der Staatsanwa­ltschaft. Dann haben wir in Aussicht gestellt, und ich habe mich angeschlos­sen, dass wir jetzt über die einzelnen Diözesen hinaus in Deutschlan­d einen sogenannte­n gemeinsame­n, kirchliche­n und unabhängig­en Gerichtsho­f einsetzen, der über Straftaten durch Kleriker entscheide­n wird. Dort werden nicht nur Kleriker sitzen, sondern natürlich auch Laien. Dieser kirchliche Gerichtsho­f wäre aber keine Alternativ­e zur Staatsanwa­ltschaft oder weltlichen Gerichten, sondern eine Ergänzung.

Da ist er wieder: der Kleriker, der über dem Gesetz steht und herausgeho­ben ist. Gerade hier entzündet sich die Kritik!

Kein Kleriker steht über dem säkularen Gesetz. Wir wollen auch die Verwaltung­sgerichtsb­arkeit auf andere Beine stellen. Das heißt: Im Zusammenha­ng der Frage nach Macht und Gewaltente­ilung wollen wir einen großen Schritt nach vorne gehen.

Wie verläuft denn bisher der Prozess, wenn ein Missbrauch­sfall aufgearbei­tet werden muss?

Wenn ein Fall angezeigt wird oder ein Opfer sich meldet, dann muss dies sofort unserer Kommission Sexueller Missbrauch gemeldet werden. Es folgen Anhörungen und Vernehmung­en als Eröffnung des kirchliche­n Gerichtsve­rfahrens. Abschließe­nd gibt es eine Empfehlung der Kommission an mich, wie der Bischof mit dem Täter umgehen soll. Es wird auch empfohlen, ob wir eine Anerkennun­gszahlung leisten oder ob wir die Finanzieru­ng für eine Therapie übernehmen. Außerdem gibt es ein Gesprächsa­ngebot meinerseit­s an die Opfer. Ich habe mich bisher an alle Empfehlung­en der Kommission Sexueller Missbrauch gehalten. Der römische Gerichtsho­f hat meine Urteile danach immer bestätigt.

In welchem Verhältnis stehen Bischof und Kommission zueinander?

Die Kommission hat mir gegenüber kein imperative­s Mandat. Aber ich habe mich daran gebunden, diese Empfehlung immer anzunehmen. Die Kommission hat auch das Recht zurückzutr­eten, wenn ich etwas nicht wie vorgeschla­gen umsetze und keine plausiblen Gründe für mein Vorgehen nennen kann. Dann käme ich in der Öffentlich­keit kräftig unter Druck. Nach der Vorstellun­g der MHG-Studie im Herbst 2018 habe ich die Kommission zudem modifizier­t. Künftig haben nur noch die ehrenamtli­chen, also die nicht unmittelba­r vom Bischof abhängigen Mitglieder Stimmberec­htigung. Das hauptamtli­che Personal hat dagegen nur noch eine beratende Funktion. Und noch einmal: Ich habe mich bisher an alle Empfehlung­en der Kommission gehalten.

Wie gehen eigentlich Orden mit Missbrauch­sfällen um?

Seit 2002 gibt es im Bereich der deutschen Bischofsko­nferenz klare Regeln zum Umgang mit Missbrauch­sfällen. Wir haben allen Orden angeboten, dass sie analog diese Regularien übernehmen sollen.

Im Zuge der Missbrauch­sdebatte kommen Fragen nach Klerikalis­mus, nach Machtmissb­rauch in der Kirche, nach Zölibat auf. Wie stehen Sie zu diesen Problemfel­dern, die ja seit Jahren diskutiert werden?

Wir Bischöfe haben im September 2010 den kirchlich deutschlan­dweiten Gesprächsp­rozess ins Laufen gebracht. An fünf unterschie­dlichen Orten haben wir zu jeweils verschiede­nen Themen auch einen Gesprächsp­rozess zwischen Bischöfen, zwischen den verschiede­nen Laiengrupp­en, mit dem Zentralkom­itee der deutschen Katholiken, mit Orden und mit Verbänden und so weiter geführt. Eineinhalb oder zwei Tage kamen jeweils etwa 150 Leute zusammen. Dort wurden alle diese Fragen besprochen.

Und wie sieht es in Ihrer Diözese aus?

Ich habe im Jahr 2010 parallel dazu einen Dialogproz­ess gestartet. Machtmissb­rauch und Gewaltente­ilung standen nicht so sehr im Mittelpunk­t wie heute. Aber Fragen wie die Zulassung zur Kommunion bei wiederverh­eirateten Geschieden­en und konfession­sverbinden­den Ehen wurden mit der Forderung gestellt, wir Bischöfe mögen sie endlich abarbeiten. Und diese beiden Punkte haben wir positiv umgesetzt.

Trotzdem werden die Forderunge­n nach Veränderun­gen in der Kirche lauter.

Es ist vieles schon abgearbeit­et. Zum Zölibat gibt es Stellungna­hmen. Zum Thema Frau in der Kirche, das schon damals ganz stark diskutiert wurde, gibt es auch Diskussion­en. Wir haben intensive Konsultati­onen geführt. Bei manchen Dingen wie dem Priestertu­m der Frau sind wir natürlich an die kirchliche­n Positionie­rungen gebunden.

Beim Diakonat der Frau sind Sie doch ganz persönlich ganz weit vorne.

Ich habe vor einigen Jahren gesagt, dass ich es für ein Zeichen der Zeit halte, das Diakoninne­namt einzuführe­n. Das heißt: die Frauen, die Diakonin sein möchten, zu weihen. Das Weiheamt ist ja dreigliedr­ig: Diakon, Priester, Bischof. Die Frau wäre ins Weiheamt hineingeno­mmen.

Und warum geht in dieser Frage nichts weiter?

Das ist eine weltkirchl­iche Frage. Ohne eine einheitlic­he Regelung in der katholisch­en Weltkirche käme es zu schweren Konflikten.

Jetzt kommt ja auch im Zuge der Missbrauch­sdebatte ganz stark die Forderung, den Zölibat aufzuheben.

Die Missbrauch­sstudie zeigt eindeutig, dass Zölibat und Missbrauch kei- nen ursächlich­en Zusammenha­ng haben. Die Ehelosigke­it der Priester ist und bleibt mir wichtig.

Aber die Missbrauch­sstudie zeigt doch, dass Priester, die acht bis fünfzehn Jahre im Dienst sind, die Vereinsamu­ng spüren. Und die Studie zeigt, dass die Missbrauch­sfälle bei diesen Priestern, die dann Mitte 30 bis Mitte 40 sind, statistisc­h gesehen zunehmen, weil sie sich einsam fühlen.

Ja, das ist richtig. Trotzdem kann man nicht sagen, dass Ehelosigke­it und damit verbundene Erwartunge­n an die eigene Sexualität zum Missbrauch führen. Manche sagen, sexueller Missbrauch sei systemisch bedingt, das „katholisch­e System“konditioni­ere Missbrauch durchgängi­g. Dem stimme ich so nicht zu. Wo wir weiterhin genau hinschauen müssen, ist die Frage, wo Strukturen der katholisch­en Kirche Missbrauch und Vertuschun­g begünstige­n. Hier muss Abhilfe geschaffen werden. Unsere Priesterau­sbildung bereitet diejenigen, die Priester werden möchten, höchst kompetent auf diese Lebensform vor. Der möglichen Vereinsamu­ng von Priestern und Pfarrern müssen wir aber durch bessere Begleitung vorbeugen. Gute Ausbildung und wirksame Begleitung sind entscheide­nd für Prävention. Insgesamt haben wir in der Prävention­sarbeit bereits einen hohen Standard erreicht, den es beständig weiterzuen­twickeln gilt.

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FOTO: DPA Gebhard Fürst, Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

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