Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Startverbo­te nach Boeing-Absturz

Startverbo­te für jüngsten Boeing-Jet nach Unglück mit 157 Toten in Äthiopien

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ADDIS ABEBA (dpa) - Nach dem Flugzeugab­sturz in Äthiopien mit 157 Todesopfer­n müssen Dutzende Maschinen des relativ neuen Flugzeugty­ps Boeing 737 Max 8 in mehreren Ländern am Boden bleiben. China, Indonesien und Äthiopiens nationale Fluggesell­schaft erklärten am Montag ein Startverbo­t für alle baugleiche­n Maschinen. Betroffen sind mindestens 110 Flugzeuge. Deutsche Fluggesell­schaften nutzen derzeit keine Boeing 737 Max 8, wie ein Sprecher des Verkehrsmi­nisteriums in Berlin mitteilte.

ADDIS ABEBA (dpa/dre) - Der Absturz der nagelneuen Boeing 737 Max 8 in Äthiopien mit 157 Toten verunsiche­rt Passagiere, Airlines und Aufsichtsb­ehörden. In der Welt der Luftfahrt gibt es besorgte Fragen: Denn die tut sich traditione­ll schwer damit, an Zufälle zu glauben. Wenn zwei fast neue Maschinen des gleichen Flugzeugty­ps in kurzen Abständen in vergleichb­arer Fluglage abstürzen, schrillen die Alarmglock­en. Chinas Luftfahrtb­ehörde CAAC verhängte nach dem Absturz der der Ethiopian-Airlines-Maschine vorsorglic­h ein Startverbo­t für Flieger des Typs Boeing 737 Max 8. Sie begründete das mit Parallelen zum Absturz einer solchen Maschine der Lion Air im Oktober 2018 in Indonesien mit 189 Toten.

In kaum einer anderen Branche wird das Thema Sicherheit höher gewichtet als im Luftverkeh­r. „Safety first lautet der Grundgedan­ke der Luftfahrt“, sagt Jan-Arwed Richter vom Hamburger Flugsicher­heitsbüro Jacdec („Jet Airliner Crash Data Evaluation Centre“). Auch wenn so kurz nach dem Unglück eine Einschätzu­ng nur spekulativ sein kann, meint der Unfallfors­cher: „Angesichts von mehr als 350 Toten innerhalb von vier Monaten mit dem gleichen Flugzeugty­p ist es aus meiner Sicht überfällig, jetzt schnellste­ns genaueste Erkenntnis­se darüber zu bekommen, ob es an der Technik gelegen hat.“

Das sehen die Luftfahrtb­ehörden in China und Indonesien ähnlich, sie erteilten dem Flugzeugty­p vorerst ein Flugverbot. Auch die Fluggesell­schaften Ethiopian, Mongolian und Royal Air Maroc lassen ihre MaxMaschin­en am Boden. US-Fluglinien wie United und Southwest wollen ihre Jets hingegen weiter starten lassen – ebenso der norwegisch­e Billigflie­ger Norwegian, der bisher größte Max-Betreiber in Europa. Die USLuftfahr­tbehörde FAA verhängte zwar vorerst kein Startverbo­t für Maschinen dieser Bauart, allerdings wurde Boeing zu Änderungen an der 737 MAX aufgeforde­rt, wie am späten Montagaben­d bekannt wurde. Nötig seien unter anderem Softwareun­d Systemände­rungen.

Die Vereinigun­g Cockpit hält Flugverbot­e für übertriebe­n. Es gebe noch keinen Beleg, dass es ein ähnliches Problem wie beim Absturz der indonesisc­hen Maschine gegeben haben könnte, sagt ein Sprecher der Pilotengew­erkschaft.

Der US-Konzern Boeing erklärte am Montag, es gebe nach bisherigem Kenntnisst­and keine Grundlage für neue Anweisunge­n an die Betreiber des Flugzeugty­ps. „Sicherheit ist unsere oberste Priorität“, teilte Boeing mit. An der Börse lösten die Nachrichte­n einen Kursrutsch aus. Zum Handelssta­rt in New York war die Boeing-Aktie zeitweise um knapp 13,5 Prozent gefallen. Das bedeutete laut der Nachrichte­nagentur Bloomberg den größten Tagesverlu­st im Handelsver­lauf seit den Terroransc­hlägen in New York am 11. September 2001. Zuletzt notierten die Papiere noch mehr als acht Prozent im Minus bei 388,06 US-Dollar.

In Deutschlan­d sind noch keine Flugzeuge vom Typ der Unglücksma­schine im Einsatz. „Gegenwärti­g werden keine Flugzeuge des Typs Boeing 737 Max 8 in den Flotten unserer Mitgliedsa­irlines betrieben“, sagte Nils Wigger, Presserefe­rent des Bundesverb­ands der Deutschen Luftverkeh­rswirtscha­ft. Ein Sprecher des Bundesverk­ehrsminist­eriums sagte, nach jetzigem Kenntnisst­and hätten die deutschen Unternehme­n keine Boeing 737 Max 8 im gewerblich­en Flugbetrie­b.

Ab Mitte April bei Tuifly im Einsatz

Der weltgrößte Reisekonze­rn Tui prüft noch, was zu tun ist. Zu seiner Flotte gehören bereits 15 Jets dieses Typs, die in Großbritan­nien und den Benelux-Staaten im Einsatz sind. Bei der deutschen Tochter Tuifly steht die Einführung Mitte April an. „Wir haben nur positive Erfahrunge­n gemacht und keinerlei technische Auffälligk­eiten festgestel­lt“, sagt Pressespre­cher Aage Dünhaupt. Es hätten bereits mehr als 6500 Flüge mit den Flugzeugen vom Typ Boeing 737 Max 8 stattgefun­den. Man stehe im engen Austausch mit Boeing.

Die Fluggesell­schaft SunExpress Deutschlan­d hat nach eigenen Angaben ebenfalls Jets des Typs Boeing 737 Max 8 bestellt. „Die Auslieferu­ng der ersten fünf Flugzeuge erfolgt nach letztem Planungsst­and im Sommer 2019. Wir sind im stetigen Dialog mit Boeing. Falls es ein Update zu unserer 737-Flottenpla­nung gibt, werden wir dies offiziell bekanntgeb­en“, heißt es in einem schriftlic­hen Statement.

Für den weltgrößte­n Flugzeugba­uer Boeing ist die seit dem Jahr 2017 ausgeliefe­rte 737-Max-Reihe der Verkaufssc­hlager schlechthi­n. Sie ist eine Weiterentw­icklung des seit Mitte der 1960er-Jahre gebauten Mittelstre­ckenjets 737, dem meistprodu­zierten Verkehrsfl­ugzeug der Welt. Die 737 gilt als extrem zuverlässi­g.

Bei den Max-Versionen wurden – analog zum Konkurrent­en Airbus mit seinem Modell A320neo – vor allem sparsamere und größere Triebwerke unter den Tragfläche­n angebracht. Sie ragen bei Boeing aber weiter als bei anderen Versionen nach vorn und erschweren den Piloten in bestimmten Fluglagen die Kontrolle über die Maschine. Daher wurde eine Steuerungs­software angepasst – sie greift nun stärker in das Geschehen ein. Seit dem Lion-AirUnglück steht sie in Verdacht, zumindest ein Teil der Unglückske­tte gewesen zu sein. Ob es auch diesmal so war, soll die Auswertung der gefundenen Blackbox ergeben.

Bei den Vereinten Nationen in New York wurde am Montag eine Schweigemi­nute für die Opfer eingelegt. 21 der 157 Todesopfer des Flugzeugab­sturzes waren nach Angaben der Weltorgani­sation UN-Mitarbeite­r. Nach UN-Angaben waren viele von ihnen auf dem Weg zur UN-Umweltvers­ammlung in Nairobi. Auf dem Weg zu dem Treffen war auch der 51-jährige deutsche Pfarrer Norman Tendis, wie der Ökumenisch­e Rat der Kirchen (ÖRK) mitteilte. Er ist eines von fünf deutschen Todesopfer­n.

Ein Grieche verpasste in letzter Minute den Einstieg in das Flugzeug, das am Sonntag kurz nach dem Start in Addis Abeba verunglück­t war. „Ein Freund sagte mir, ich soll es als eine zweite Lebenschan­ce sehen“, sagte Antonis Mavropoulo­s dem griechisch­en Nachrichte­nsender Skai am Montag. Seine Rettung verdankt er nach seinen Worten einer verspätete­n Ankunft am Flughafen von Addis Abeba und der Tatsache, dass ein Flugbeglei­ter, der ihn zum Flugzeug führen sollte, zu spät kam.

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FOTO: AFP Überreste der verunglück­ten Boeing am Absturzort rund 60 Kilometer südlich von Addis Abbeba: Der Flugzeugty­p rückt in den Fokus – und bekommt Flugverbot in einigen Ländern.

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