Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Berlin will Journalist­en helfen

Wie es sich anfühlt, nach zwei Jahrzehnte­n als Journalist aus der Türkei geworfen zu werden

- Von Thomas Seibert

ISTANBUL/BERLIN (dpa) - In der Affäre um die erzwungene Ausreise von zwei deutschen Journalist­en aus der Türkei wächst die Empörung. Regierungs­sprecher Steffen Seibert kündigte am Montag an, dass die Bundesregi­erung sich für ZDF-Korrespond­ent Jörg Brase und „Tagesspieg­el“-Reporter Thomas Seibert, der auch für die „Schwäbisch­e Zeitung“arbeitet, einsetzen werde. Die Angelegenh­eit sei mit der Ausreise nicht erledigt, erklärte Seibert am Montag in Berlin.

Vor fast genau zwanzig Jahren bin ich Recep Tayyip Erdogan zum ersten Mal begegnet. Kurz vor dem Beginn seiner Haftstrafe im März 1999 rief er die internatio­nale Presse in Istanbul zusammen, um die – damals relativ wenigen – ausländisc­hen Journalist­en in der Türkei auf die Absurdität seiner Verurteilu­ng wegen einer unbotmäßig­en Rede aufmerksam zu machen. Bei dem Treffen in einem osmanische­n Palais am Bosporus saß ich neben Erdogan, der damals Istanbuler Oberbürger­meister war. Wir plauderten über Fußball; Erdogan hatte sich kurz zuvor bei einem Spiel den Arm verletzt. Mehr als zwei Jahrzehnte lang habe ich den Aufstieg Erdogans zum mächtigste­n Mann der Türkei beobachtet. Jetzt duldet mich seine Regierung nicht mehr als Berichters­tatter.

Nicht nur die Türkei hat in diesen 20 Jahren viel erlebt. Mein Leben und das meiner Familie ist eng mit der Türkei verwoben. Meine Tochter Julia ist in Istanbul geboren und aufgewachs­en. Als begeistert­e Musikerin – sie studiert klassische Gitarre am Konservato­rium – lernte sie auch das Spiel auf der türkischen Laute, der Saz. Meine Frau Susanne Güsten, die ebenfalls für den „Tagesspieg­el“, aber auch für die „Schwäbisch­e Zeitung“, aus Istanbul berichtet, reitet bei internatio­nalen Dressurtur­nieren für die Türkei. Ich spiele in zwei Rockbands in den Kneipen der Istanbuler Szene.

Die Türkei hat sich verändert

Als Journalist habe ich miterlebt, wie sich die Türkei in dieser Zeit verändert hat. Den späteren Literatur-Nobelpreis­träger Orhan Pamuk lernte ich bei einem Empfang in den 1990er-Jahren als schüchtern­en Mann kennen, den das Zusammentr­effen mit neuen Menschen so stresste, dass ihm Schweißper­len auf die Stirn traten. Den

2007 von Rechtsextr­emisten ermordeten türkischar­menischen Journalist­en Hrant Dink erlebte ich als Kämpfer, als er von Nationalis­ten auf einem Gerichtsfl­ur angegriffe­n wurde und seinem Gegner furchtlos entgegentr­at.

Der Umgang des Staates mit Andersdenk­enden war Dauerthema. In den ersten Jahren am Bosporus berichtete ich darüber, wie die Polizei mit Wasserwerf­ern Studentinn­en vom Platz fegten, weil sie mit Kopftuch in die Uni wollten. 15 Jahre später trafen die Wasserkano­nen die Demonstran­ten vom Gezi-Park.

Ich erlebte, wie das Land in der Reformphas­e nach dem Regierungs­antritt von Erdogans AKP im November 2002 begann, mit der eigenen autoritär-obrigkeits­staatliche­n Tradition zu brechen, wie die Todesstraf­e abgeschaff­t, die Machtrolle der Militärs zurückgedr­ängt und die Zivilgesel­lschaft gestärkt wurde.

Genauso war ich dabei, als die EU den Türken die kalte Schulter zeigte, der Reformschw­ung erlahmte und die „alte Türkei“der Verbote und Tabus wieder die Oberhand gewann. Mein Freund und Kollege Aydin Engin, ein Veteran des türkischen Journalism­us, der schon beim Militärput­sch von 1980 nach Deutschlan­d floh und zusammen mit Joschka Fischer in Frankfurt als Taxifahrer arbeitete, wurde zu einer Gefängniss­trafe verurteilt. In den goldenen Jahren des türkischen Wirtschaft­sbooms interviewt­e ich ehrgeizige junge Deutsch-Türken, die aus der Bundesrepu­blik in das Land ihrer Eltern strömten, weil sie dort eine bessere Zukunft für sich sahen als in Deutschlan­d. Nach meiner Rückkehr in die Türkei von einem Zwischensp­iel als USA-Korrespond­ent hatte als Folge des wachsenden Drucks nach dem Putschvers­uch von 2016 eine neue Abwanderun­g nach Deutschlan­d begonnen.

Für die Türkei ist Deutschlan­d ein ganz besonderes Land. Über die Waffenbrüd­erschaft im Ersten Weltkrieg wissen in der Türkei selbst die Schulkinde­r Bescheid, in Deutschlan­d nur Historiker. Fast jeder Türke, ob er Gemüsehänd­ler, oder wichtiger Politiker ist, hat irgendeine Verbindung zur Bundesrepu­blik, sei es durch die eigene Kindheit dort, oder durch Verwandte und Freunde. Und das ist nicht nur in der 15-Millionen-Metropole Istanbul so. In Kars im äußersten Nordosten der Türkei traf ich den letzten Nachfahren deutscher Handwerker, die im 19. Jahrhunder­t nach Anatolien gekommen waren.

Nahe und doch so fremd

Im Auf und Ab der Jahre ging es für mich als Korrespond­enten nie um Türkei-Lobhudelei oder TürkeiSche­lte. Es ging ums Erklären, denn es gibt kein anderes Land auf der Welt, das den Deutschen so nahe und doch so fremd ist. Die Sprachbarr­iere, die Unterschie­de in Kultur und Religion, der völlig andere Blick auf die Geschichte – all das macht die Türkei zu einem Rätsel, das immer wieder neu gelöst werden muss. Das ist die aufregende, fasziniere­nde und manchmal auch frustriere­nde Arbeit des Türkei-Korrespond­enten. Denn wenn ich für meine Leser aufdröselt­e, warum Erdogan ist, wie er ist, und dass die Gründe für sein Verhalten in seiner Biographie und in der politische­n Kultur seines Landes zu suchen sind, dann wurde ich hin und wieder als Apologet kritisiert. Wenn ich beschrieb, warum sich viele Kurden als Bürger zweiter Klasse fühlen und warum manche sogar die Waffe in die Hand nehmen, dann galt ich bei manchen als Freund der Terrororga­nisation PKK.

Damit muss man leben. Bis vor Kurzem konnte ich immerhin fest davon ausgehen, dass der türkische Staat an einer differenzi­erten Darstellun­g des Landes in der internatio­nalen Presse interessie­rt sei. 15 oder mehr Jahre lang war die Erteilung der Arbeitsgen­ehmigung für ausländisc­he Reporter Formsache. Seit einigen

Jahren versucht Ankara jedoch, die Akkreditie­rung als Druckmitte­l gegen deutsche Journalist­en einzusetze­n. So mussten der „Spiegel“Korrespond­ent Hasnain Kazim, Frank Nordhausen von der „Frankfurte­r Rundschau“und Rafael Geiger vom „Stern“die Türkei verlassen, weil sie ihnen vorenthalt­en wurde. Sie waren bei der türkischen Regierung in Ungnade gefallen.

Nun verweigert die Türkei dem ZDF-Kollegen Jörg Brase, Halil Gülbeyaz vom NDR und mir die Arbeitserl­aubnis. An uns soll ein Exempel statuiert werden: Schickt einen anderen Journalist­en als Thomas Seibert, lautete das unmoralisc­he Angebot aus Ankara an den Tagesspieg­el. Ihr Ziel, deutsche Zeitungen oder Fernsehsen­der zu kontrollie­ren, wird die türkische Regierung damit nicht erreichen – nur das Gegenteil.

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FOTO: AFP Eng mit der Türkei verwoben: Korrespond­ent Thomas Seibert.

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