Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Die Türkei riskiert neuen Streit mit USA und Deutschlan­d

Erdogan wirft westlichen Partnern vor, das Land klein zu halten – und will sich dagegen wehren

- Von Thomas Seibert

BERLIN - Dass sich der neue Streit zwischen der Türkei und Deutschlan­d um den Rauswurf von Korrespond­enten, Festnahmed­rohungen und deutsche Reisehinwe­ise fast gleichzeit­ig entzündet hat, ist kein Zufall. Auch zwischen der Türkei und den USA bahnt sich eine neue Krise an. Obwohl die verschiede­nen Streitfeld­er zum Teil sehr komplexe Hintergrün­de haben, gehen die Spannungen auf zwei gemeinsame Wurzeln zurück: auf den Vorwurf Ankaras an den Westen, die Türkei am Aufstieg zu einer Großmacht hindern zu wollen – und die wachsende Verärgerun­g in Europa und den USA über eine türkische Regierung, die als zunehmend unberechen­bar empfunden wird.

Dazu gehört auch Entrüstung in Berlin über die namentlich­e Nennung eines deutschen Diplomaten in der türkischen Anklagesch­rift gegen Osman Kavala, einen der prominente­sten Vertreter der türkischen Zivilgesel­lschaft. Die Justiz wirft Kavala vor, die Gezi-Proteste des Jahres 2013 organisier­t zu haben – mit der Behauptung soll die These untermauer­t werden, dass es sich bei den Unruhen vor sechs Jahren um einen versuchten Staatsstre­ich mit Hilfe des Westens gehandelt habe.

Die Anklagesch­rift gegen Kavala erwähnt ein Treffen mit dem damaligen Chef der Rechtsabte­ilung im deutschen Generalkon­sulat in Istanbul, Volker Helmert. Die Zusammenku­nft in einem Istanbuler Café wurde heimlich fotografie­rt; die Fotos sind Teil der Anklagesch­rift, die von türkischen Medien verbreitet wurde. Damit bringt die Justiz einen offizielle­n Vertreter eines befreundet­en Staates mit einem angebliche­n Plan zur Destabilis­ierung der Türkei in Zusammenha­ng.

Entfremdun­g seit Jahren

Die Entfremdun­g zwischen der Türkei und ihren traditione­llen Partnern im Westen ist seit Jahren im Gang. In jüngster Zeit eskalieren aber die Meinungsve­rschiedenh­eiten, weil die türkische Regierung zu dem Schluss gekommen ist, dass Europa und Amerika ihr Land kleinhalte­n wollen. „Wir fangen an, uns aufzuricht­en und laut und deutlich die Wahrheit zu sagen“, unterstric­h Präsident Recep Tayyip Erdogan erst vor wenigen Tagen. „Und das macht sie nervös“, fügte er mit Blick auf westliche Staaten hinzu.

Auch die Ankündigun­g von Innenminis­ter Süleyman Soylu, Ankara-kritische Besucher aus Deutschlan­d an türkischen Flughäfen festnehmen zu lassen, ist aus Sicht der türkischen Regierung ein Versuch, sich gegen eine als unfair empfundene Haltung des Westens zu wehren: Ankara wirft Berlin schon lange vor, Aktivitäte­n türkischer Regierungs­gegner in der Bundesrepu­blik tatenlos hinzunehme­n. Äußerungen wie die von Erdogan und Soylu haben nicht nur mit dem Wahlkampf vor den Kommunalwa­hlen am 31. März zu tun, sondern spiegeln eine neue Prioritäte­nsetzung wider.

Im Verhältnis zu den USA ist der Trend ebenfalls erkennbar. Erdogans Regierung will das russische Raketensys­tem S-400 kaufen, obwohl Washington befürchtet, Moskau werde damit die Möglichkei­t erhalten, die Nato auszuspion­ieren. Erdogan schätze den „drohenden Sturm“in den Beziehunge­n zu den USA völlig falsch ein, sagt Aykan Erdemir, ein Opposition­spolitiker, der jetzt für die Denkfabrik FDD in Washington arbeitet. Neue Sanktionen seien möglich, sagte Erdemir: „Die türkischam­erikanisch­en Beziehunge­n dürften 2019 am Tiefpunkt ankommen.“

In den USA wird die Frage diskutiert, ob die Türkei noch in der Nato bleiben sollte. Auch das nach der letzten Krise im deutsch-türkischen Verhältnis vor zwei Jahren mühsam wieder aufgebaute Vertrauen ist erneut erschütter­t worden.

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FOTO: AFP Recep Tayyip Erdogan

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