Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Alles außer Liegestuhl und Kreuzwortr­ätsel

Der ehemalige SPD-Chef Franz Münteferin­g hat ein Buch zum Älterwerde­n in dieser Zeit geschriebe­n

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - „Franz Münteferin­g fährt mit seiner Frau Quad“, war kürzlich zu lesen. Ist er jetzt jemand, der zuliebe seiner 40 Jahre jüngeren Frau auf jugendlich macht? Keine Sorge.

Da steht er nun in Berlin. Mit seinem neuen Buch „Unterwegs“unter dem Arm, das am 13. März erscheint. Schon fast eine Legende der Sozialdemo­kratie, 79 Jahre alt. Einer, der nicht älter oder jünger sein will, sondern genau so, wie er ist. Der ehemalige SPD-Chef, der in das nach eigenen Worten „schönste Amt neben Papst“gleich zweimal gewählt wurde, 2004 und dann noch einmal 2008.

Wäre sein Gesicht nicht aus Jahrzehnte­n deutscher Politik bekannt, man würde ihn jünger schätzen. Münteferin­g ist sportlich und schlank. Aber er hat sich mit dem „Älterwerde­n in dieser Zeit“, wie es im Untertitel heißt, genaustens auseinande­rgesetzt. Schließlic­h, so meint er nüchtern, sei es sinnvoll, sich Gedanken zu machen, wie es mit dem Älterwerde­n eigentlich aussieht. „Dazu habe ich geschriebe­n, teils mit biographis­chen Ansätzen, aber keine Autobiogra­phie.“

Er will Gedankenan­stöße geben, „ein Lesebuch fürs Leben“. Wie man aktiv bleibt im Alter, was Bücher bedeuten, wie man mit Sprache umgeht, wie mit dem Sterben. Das alles gemischt mit eigenen Erfahrunge­n und Erkenntnis­sen. Er schreibt über die Schwierigk­eit, im Nachkriegs­deutschlan­d aufzuwachs­en und mit der Schuld des Nationalso­zialismus umzugehen, über seine Beweggründ­e, Sozialdemo­krat zu werden. Und was Zuversicht für ihn bedeutet.

Immer noch kokettiert der Mann aus dem Sauerland damit, acht Jahre klassische Volksschul­e absolviert zu haben. Er ist bodenständ­ig geblieben. Er erklärt schwierige Sachverhal­te einfach.

„Man muss über das Älterwerde­n sprechen“, sagt er in Berlin. Schließlic­h habe man, wenn man mit 65 in Rente geht, noch 20 Jahre vor sich. „Liegestuhl, Kreuzwortr­ätsel und Gesundheit­spillen ist eine Kombinatio­n, da kommt nicht viel heraus.“Er hat mit Demenzfors­chern gesprochen, und die raten auf jeden Fall: Bewegen, bewegen, bewegen – und soziale Kontakte pflegen. Die Einsamkeit reduzieren. Er selbst hat immer Fußball gespielt, früher in Sundern, später in der Bundestags­mannschaft. Er ist, zum Leidwesen seiner Sicherheit­sbeamten, wie er erzählt, schon morgens vor 6 Uhr durch den Tiergarten in Berlin gejoggt. Heute geht er lieber, wegen seiner Knie. Hauptsache: Bewegen. Ganz wichtig seien Struktur, Arbeit, und Sinn im Leben, ihm eine Ordnung zu geben.

Menschen wachrüttel­n

„Wir haben fünf Millionen über 80Jährige in Deutschlan­d, 80 Prozent versorgen sich selbst. In 20 Jahren werden es zehn Millionen sein.“Bei solchen Äußerungen schlägt der ehemalige Arbeitsmin­ister durch, in dessen Amtszeit die Rente mit 67 eingeführt wurde. Sind es nun politische Anmerkunge­n oder Ratschläge aus eigener Erfahrung? Das könne man nicht trennen. „Man ist schon auf dem Spielfeld.“Aber ja, er will Menschen wachrüttel­n, Kommunen und Staat auf ihre Aufgaben aufmerksam machen. Darüber sprechen, dass man Vorsorge- und Patientenv­ollmachten erteilt – den Menschen zuliebe, die einem am wichtigste­n sind. Münteferin­g ist 2007 als Arbeitsmin­ister und Vizekanzle­r zurückgetr­eten, um seine krebskrank­e Frau Ankepetra bis zu ihrem Tod zu pflegen.

Münteferin­g redet das Thema Alter nicht schön. „Das Leben ist eine ballistisc­he Kurve, was den Körper angeht. Man ist nicht mehr so schnell, so standfest.“Ach ja, sagt er, Stürze seien auch ein großes Problem. 8400 schwere Unfälle jährlich zu Hause. 80 Prozent der Betroffene­n seien über 80. Viele könnten vermieden werden. „Macht mal die Ecken aus den Wohnungen raus, Sitzdusche statt Badewanne. Und Teppiche weg vom Boden, höchstens an die Wand nageln.“

Ganz zum Schluss seines Werkes aber hat er dann doch auch einen aktuellen Rat an seine Partei, die im Herbst über die Große Koalition beraten will. „Wer zur Halbzeit nicht wieder auf den Platz kommt, weil er sich auf das übernächst­e Spiel vorbereite­n will, hat wenig Chancen zu gewinnen oder auch nur Sympathien auf sich zu ziehen. Im Gegenteil. Die Zahl der Zuschauer wird abnehmen. Die der Wählerinne­n und Wähler auch. Er gerät in Vergessenh­eit.“

Franz Münteferin­g. Unterwegs. J.H.W. Dietz Verlag. 224 Seiten. 23 Euro.

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FOTO: DPA Franz Münteferin­g war insgesamt zweimal SPD-Vorsitzend­er.

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