Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Popmusik mit Botschaft

Hozier reflektier­t auf seinem zweiten Album „Wasteland, Baby!“chaotische Zeiten

- Von Steffen Rüth

BADEN-BADEN - Der schlaksige, dabei hünenhafte Ire Andrew HozierByrn­e, kurz Hozier, hat sich fünf Jahre lang Zeit gelassen, um nach dem überwältig­enden Erfolg des Songs „Take Me to Church“sein zweites Album „Wasteland, Baby!“aufzunehme­n. Verlernt hat der 28-Jährige glückliche­rweise nichts.

Was tun, wenn man auf dem Dachboden seines Elternhaus­es ein Lied geschriebe­n hat, das so einzigarti­g und kraftvoll ist, dass es das am häufigsten gestreamte Stück des Jahres 2014 wird und überall auf der Welt für dermaßen begeistert­e Reaktionen sorgt, dass man drei Jahre lang praktisch auf Dauertourn­ee ist? Hozier kam erst mal wieder heim nach Wicklow, einem kleinen Ort an der irischen Küste, etwa eine Autostunde entfernt von Dublin. „Ich zog bei meinen Eltern aus und allein in einen hübschen Bungalow ganz in der Nähe“, erzählt er. „Das Haus liegt wirklich wunderschö­n, und ich konnte nach und nach das Tourleben abschüttel­n und wieder total alltäglich­e Sachen machen – aufstehen, einkaufen, kochen, putzen. Das hört sich vielleicht bescheuert an, aber wenn du so lange unterwegs warst, empfindest du es als großes Glück, dir endlich mal wieder deinen eigenen Kaffee machen zu können.“

Auf der Suche nach Substanz

Kein Wunder, dass Hozier den Lärm und die Überdrehth­eit seines neuen Lebens für eine Weile auf Abstand halten wollte. Mit „Take Me to Church“und seinem auch „Hozier“genannten Debütalbum sammelte er Chartplatz­ierungen und Auszeichnu­ngen en masse, zugleich sorgte er mit dem Video zur mitreißend­en Blues-Gospel-Pop-Single, in dem er Homophobie, Frauenhass und die einschlägi­gen Verfehlung­en christlich­er Glaubenstr­äger scharf anprangert­e, für Diskussion­en. „Ich denke nicht, dass es sich ausschließ­en muss, Popmusik zu machen und positive Botschafte­n zu verbreiten“, so Hozier. „Mein Song war ein sehr ungewöhnli­cher Hit. Guck dir die Top Ten an und sag mir Bescheid, wenn du dort etwas Substanzie­lles findest. Ich bin skeptisch, dass Musik die Welt verändern kann, aber es ist ein lohnendes Abenteuer, über Dinge zu singen, die einem wichtig sind.“

Mit diesem Ansatz näherte er sich auch seinem zweiten Album „Wasteland, Baby!“, das erneut glänzend und leidenscha­ftlich beseelt geworden ist, selbst wenn ein Überhit wie „Take Me to Church“dieses Mal nicht dabei ist. Wieder setzt Hozier auf mitreißend­e und dramatisch­e Kompositio­nen, wie etwa in der Bürgerrech­ts-, Zusammenha­lts- und Feminismus-Hymne „Nina Cried Power“, auf der die 79-jährige Soulsänger­in Mavis Staples einen Gastauftri­tt hat. „Mavis und ich standen schon länger in Kontakt. Ich bewundere sie. Mavis war dabei, als Martin Luther King auf Kundgebung­en gegen Rassendisk­riminierun­g eintrat, sie hatte ein wirklich unglaublic­hes Leben und ist immer noch voller Energie.“Barack Obama wählte „Nine Cried Power“für seine Lieblingss­ong-des-Jahres-Liste aus.

Eine Überdosis Nachrichte­n

„Wasteland, Baby!“ist ein optimistis­ch klingendes, manchmal gar überschwen­gliches Werk, doch es steht laut Hozier auch im Kontext des Weltgesche­hens seit 2016, seit Trump und Brexit, den der Musiker für ein „lächerlich­es und völlig realitätsf­ernes Projekt der herrschend­en Klasse“hält. „Ich habe mich in meiner Pause wohl einer Überdosis Nachrichte­n ausgesetzt, und mir Sorgen gemacht um das Überleben unserer Zivilisati­on. Seit 1960 sind so viele Tierarten auf dem Planeten ausgerotte­t worden, während viele Menschen sich unversöhnl­ich und mit spaltender Rhetorik und Verachtung gegenübers­tehen. Unterschwe­llig hat die allgegenwä­rtige Weltunterg­angsstimmu­ng das Album fraglos beeinfluss­t.“Doch das hört man „Wasteland, Baby!“kaum an. Nach wie vor spielt Hozier gern mit euphorisch­en Gospeleinf­lüssen wie in „To Noise Making (Sing)“, es überwiegen klar die aufbauende­n, zur Bewegung auffordern­den Stücke wie „Movement“oder das leicht jazzige „Almost“. Auch Blues und Soul sind weiterhin Komponente­n des Hozier-Sounds, und im Titelsong, in dem er über das Festhalten an der Liebe singt, wird Hozier auch mal ganz ruhig und innig-akustisch. „Ich denke, ich habe ein klassische­s, vielleicht auch ein altmodisch­es, Album gemacht“, sagt der Ire. „Es ist auch gut möglich, dass diese Kunstform unwiederbr­inglich zu Ende geht. Doch so lange es noch möglich ist, will ich an der schönen Tradition, ein Album zu machen, das den Zeitgeist widerspieg­elt und nicht völlig inhaltshoh­l ist, sehr gern festhalten.“

Live:

11.9. München, Circus Krone.

 ?? FOTO: UNIVERSAL MUSIC ?? „Wasteland, Baby!“ist ein optimistis­ch klingendes, manchmal gar überschwen­gliches Werk, doch es steht laut Hozier auch im Kontext des Weltgesche­hens seit 2016.
FOTO: UNIVERSAL MUSIC „Wasteland, Baby!“ist ein optimistis­ch klingendes, manchmal gar überschwen­gliches Werk, doch es steht laut Hozier auch im Kontext des Weltgesche­hens seit 2016.

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