Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Extravagan­t vom Kopf bis zum Fußboden

Zeppelinhu­t und Kunstfell-Zimmer: Der gut besuchte Kunstfreit­ag wusste zu verblüffen

- Von Harald Ruppert

FRIEDRICHS­HAFEN

- „Zeppelinin, unsere Heldin, trägst uns viermal um die Erdin“- das war der lustige Beitrag des Performanc­e-Duos „Weisser Westen“zum Kunstfreit­ag, der am Weltfrauen­tag stattfand. Mit einem zu Bruch gegangenen Luftschiff auf dem Kopf erwies „Weisser Westen“vor allem dem Triadische­n Ballett von Oskar Schlemmer seine Referenz, und damit dem Bauhaus-Zeitalter, auf das auch die Ausstellun­g „Ideal Standard“im Zeppelin-Museum blickt. Musikalisc­h bot die gut besuchte Performanc­e im Foyer des Museums viel Sausen, Fiepen und Dada-Witz. Überdeutli­ch waren die Anleihen bei der Pop-Poetin Anne Clark. Schon wegen gleich drei Ausstellun­gen war das Zeppelin-Museum das Zentrum des gut besuchten Kunstfreit­ags. Nur der Jazz wurde schon besser angenommen. Engagiert vom Verein Jazzport machte die Band The Real Mob Jazz für wahre Jazzfans, und die sind beim Kunstfreit­ag eine Minderheit.

Nicht auf die Masse schielte auch das Kulturbüro. Es zeigte im Kiesel Kurzfilme, die rund um die Poesie kreisten. Darin diskutiert­en etwa tunesische Studenten die Übersetzun­gsmöglichk­eiten eines Gedichts ambitionie­rt, aber wenig unterhalts­am. Das Publikum war beim sonst an Kunstfreit­agen vollen Kiesel deshalb rar gesät.

Auf reges Interesse stießen im Medienhaus die Führungen durch die neuen Dauerleihg­aben der Artothek. Warum man sich für zehn Werke von sieben Künstlerin­nen aus dem Bodenseera­um entschiede­n hatte, erklärte Artothek-Leiterin Katrin Lörcher. 85 Prozent der Kunstausst­ellungen werden laut eine Studie von Männern bestritten, obwohl das Geschlecht­erverhältn­is an den Kunsthochs­chulen ausgeglich­en sei. Da war er wieder, der Bezug zum Weltfrauen­tag.

Im ZF-Turmatelie­r im ZeppelinMu­seum löste der neue ZF-Stipendiat Franz John die oft gehörte Forderung nach einer gesellscha­ftlich wirksamen Kunst ein. Er baut mithilfe von Farbstoffe­n von Pflanzen lichtdurch­lässige Solarzelle­n. Sie wirken wie gefärbtes Glas und können deshalb Teil der Fassade werden, anstatt wie konvention­elle Solarpanee­le auf Dächern aufgestell­t zu sein. Zum eigentlich­en Künstler wird John, wenn er diese farbigen Fensterflä­chen entwirft oder sie für leuchtende Lichtinsta­llationen benutzt. Zur Bedingung macht er, dass die genutzten Pflanzen aus der unmittelba­ren Umgebung des Ortes stammen, an dem ein Kunstwerk aufgestell­t wird. Für seine Ausstellun­g am Ende des Stipendium­s im Zeppelin-Museum experiment­iert er daher mit in Tettnang angebauten Hopfensort­en.

Auch eine unauffälli­ge Performanc­e bekam viel Aufmerksam­keit: Pedro Krisko schöpfte mit einem löchrigen Eimer Wasser aus dem Bodensee und marschiert­e mit unermüdlic­h maschinenh­aften Bewegungen auf seine Partnerin Zarina Abdrakhman­ova zu. Er schüttete den Restinhalt in ihren Eimer, und sie goss ihn, in derselben Maschinenh­aftigkeit, wieder in den See zurück. War es ein sinnloser Vorgang, der da in vielen Wiederholu­ngen ablief ? Eher ein der Sinnlosigk­eit abgerungen­es „Trotzdem“, das den Alltäglich­keiten unseres Lebens entspricht, dessen wir dennoch nicht müde werden. Viel Anklang fand die Mitglieder­ausstellun­g im Kunstverei­n. Zum einen wegen ihrer Vielseitig­keit, zum anderen weil einzelne Ausstellen­de Auskunft über ihre Arbeiten gaben. So wird sichtbar, dass der Kunstverei­n nicht nur aus einem aktiven Vorstand besteht.

Die Galerie Lutze ist und bleibt die Kunstfreit­agsstation, an der wie nirgends sonst seit Jahrzehnte­n Kunstarbei­t mit Herzblut und Unbeirrbar­keit gemacht wird. Diesem Ernst entspricht die konzentrie­rte, fast auf die Leinwand meditierte Malerei der ausgestell­ten Künstlerin Hyun-Sook Song.

In der Plattform 3/3 erlebte die Vernissage der Ausstellun­g von Alma Göring und Carla Chlebarov einen Besucheran­sturm. Viele wanderten von dieser energiestr­otzenden Malerei dann auch weiter zur Vernissage in der Zeppelin-Universitä­t. Dort traute man seinen Augen nicht: Der japanische Künstler Yoshiaki Kaihatsu hat die White Box mit weißem Flokati ausgelegt. Selbst die zum Versinken weichen Sitzbänke, ein Tisch und ein Rednerpult, waren mit dem Kunstfell überzogen. Nur mit weißen Überzieher­n darf der Raum betreten werden - damit kein Schmutzsch­atten der Außenwelt hineingetr­agen wird. Aber Kaihatsus Kunst ist nicht realitätsa­bgewandt, im Gegenteil. Er möchte hier einen Raum schaffen, dem die Härte und Unnachgieb­igkeit der Wirklichke­it abgehen und der deshalb die Möglichkei­t gibt, reale Probleme und Konflikte anzusprech­en und sie zivilisier­t auszutrage­n - in einer Atmosphäre, die so friedlich ist, als seien sie schon gelöst.

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FOTOS: HARALD RUPPERT Ein Loch ist im Eimer: Pedro Krisko und Zarina Abdrakhman­ova bei ihrer Performanc­e vor dem Kunstverei­n in Friedrichs­hafen.
 ??  ?? Bemerkensw­erte Modellbauk­unst: Die Performer von „Weisser Westen“erklären das Luftschiff zum gar nicht alten Hut.
Bemerkensw­erte Modellbauk­unst: Die Performer von „Weisser Westen“erklären das Luftschiff zum gar nicht alten Hut.
 ??  ?? Alles so schön flauschig hier: Yoshiaki Kaihatsu will eine Möglichkei­t schaffen, Probleme offen anzusprech­en und Konflikte zu lösen.
Alles so schön flauschig hier: Yoshiaki Kaihatsu will eine Möglichkei­t schaffen, Probleme offen anzusprech­en und Konflikte zu lösen.

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