Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Kriminalität im Südwesten auf Tiefstand
Zahl der Straftaten sinkt erneut – Aggressionen in der Öffentlichkeit nehmen zu
STUTTGART - Die Zahl der Straftaten in Baden-Württemberg ist 2018 erneut gesunken. Die Polizei im Südwesten erfasste etwas mehr als 572 000 Delikte und damit so wenig wie zuletzt im Jahr 1990. Das teilte Innenminister Thomas Strobl (CDU) am Freitag in Stuttgart mit. Dort stellte er die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) vor, die die Zahl aller Ermittlungsverfahren und Tatverdächtigen bündelt.
Mit einem Minus von 1,3 Prozent lag die Zahl der Taten noch einmal unter dem Vorjahreswert. Besonders deutlich fällt der Rückgang bei Wohnungseinbrüchen aus: Hier weist die Statistik 15,5 Prozent weniger Delikte aus als 2017, die rund 7100 Einbrüche bedeuten ein Zehn-Jahres-Tief. Asylbewerber und Flüchtlinge waren bei etwa jeder zehnten Tat verdächtig, sie sollen knapp 55 650 Delikte begangen haben. Das sind neun Prozent weniger als 2017.
In anderen Bereichen verzeichnet die Statistik dagegen deutliche Steigerungen. Demnach gab es unter anderem wesentlich mehr Angriffe auf Polizisten, mehr Rauschgiftdelikte und einen Anstieg bei der Computerkriminalität. Deutlich häufiger als noch in den Vorjahren wurden Senioren Opfer von Betrügern. Diese gaben sich in rund 1490 Fällen als Enkel aus und erschlichen sich so mehr als 2,4 Millionen Euro.
Die Zahl der Sexualdelikte nahm um ein Fünftel zu. Ein Grund: Seit 2016 zählen auch Übergriffe als sexuelle Belästigung, die früher nur als Beleidigung eingestuft wurden. Außerdem würden heute mehr Taten angezeigt, sagte Strobl. Zusammen mit einem anderen Phänomen bereitet ihm vor allem dieses Thema Sorgen. Zunehmend werden Attacken auf offener Straße begangen. „Frauen sollen den öffentlichen Raum nicht meiden müssen“, sagte Strobl. Daher müsse sich die Polizei verstärkt um das Problem kümmern.
Die Grünen, in der Koalition in Stuttgart Strobls Regierungspartner, lobten die Polizei für deren hohe Aufklärungsquote von fast 63 Prozent. Innenexperte Hans-Ulrich Sckerl mahnte jedoch: „Die zunehmende politisch motivierte Gewalt gegen Flüchtlinge und Asylsuchende beunruhigt uns. Hunderte Übergriffe bis hin zu Mordversuchen bescheren Baden-Württemberg den traurigen Platz zwei nach Sachsen.“
Die Oppositionsparteien kritisierten, das Land tue zu wenig gegen Gewalt auf Straßen und Plätzen. „Wenn die Menschen in unserem Land das Gefühl haben, sich nicht mehr sicher im öffentlichen Raum bewegen zu können, ist das fatal. Umso bedauerlicher ist es, dass der Innenminister die Prävention im öffentlichen Raum vernachlässigt“, sagte SPD-Innenexperte Sascha Binder. Sein FDP-Pendant Ulrich Goll forderte, Justiz und Polizei mit mehr Personal auszustatten. Außerdem gelte es, ausländische Täter rascher abzuschieben. Immerhin machten sie 40 Prozent der Verdächtigen bei Gewalttaten in der Öffentlichkeit aus.
STUTTGART - Weniger Straftaten, mehr aufgeklärte Delikte: Innenminister Thomas Strobl (CDU) hat am Freitag gute Nachrichten zur Kriminalität im Land verkündet. Doch die Polizeiliche Kriminalstatistik 2018 (PKS) zeigt auch Trends, die Sorgen bereiten. Ein Überblick.
Was die Statistik erfasst – und was nicht
In die PKS fließen Informationen am Abschluss eines Ermittlungsverfahrens. Dann werden Angaben zu Tatverdächtigen und Opfern erfasst. Ob ein Verdächtiger später verurteilt oder freigesprochen wird, zählt die Polizei nicht. Naturgemäß erfasst sie nicht alle begangenen Straftaten – sondern nur jene, von denen sie weiß. Das sogenante Dunkelfeld ist bei bestimmten Taten besonders hoch, zum Beispiel bei Missbrauch. Hier werden erheblich weniger Taten angezeigt als tatsächlich geschehen. Außerdem spielen wie bei jeder Statistik verschiedene Einflüsse eine Rolle – etwa, ob es neue Straftatbestände gibt oder ob die Polizei während eines Jahre besondere Schwerpunkte setzt und dadurch mehr Delikte in einem Bereich aufdeckt.
Gesamtbilanz
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Die fällt erfreulich aus. Die Zahl der erfassten Straftaten ist so niedrig wie seit 1990 nicht mehr und lag 2018 bei mehr als 572 100. Die Polizei klärte knapp 63 Prozent alle Taten auf – so hoch lag der Wert noch nie seit 1971. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Statistik elektronisch geführt. Im Bundesvergleich liegt Baden-Württemberg damit über dem Schnitt, allerdings knapp hinter Bayern. Dort lag die Aufklärungsquote bei mehr als 64 Prozent. Pro 100 000 Einwohner wurden rund 5200 Straftaten erfasst, rund 200 weniger als noch 2009. Bayern zählt deutlich unter 5000 Delikte. Fast jede zweite Straftat ist ein Eigentumsdelikt – also ein Einbruch, ein Diebstahl oder ein Betrug. Sexuelle Übergriffe machen etwas mehr als ein Prozent aller Delikte aus, körperliche Angriffe knapp 15 Prozent.
Einbrüche
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Bei den Wohnungseinbrüchen meldet die Polizei Erfolge. Etwa 7130-mal musste sie ermitteln. 2008 waren es noch doppelt so viele Fälle. Die Hälfte aller erfassten Einbrüche scheiterte. Strobl wertet das als Beleg dafür, dass Bürger ihre Häuser und Wohnungen besser sichern. Steigerungsfähig ist aus seiner Sicht der Anteil der aufgeklärten Fälle: Nur bei jedem fünften fanden die Beamten einen Tatverdächtigen.
Ausländische Verdächtige
Menschen ohne deutschen Pass begehen rund 40 Prozent der Straftaten. Vor allem Türken, Italiener, Rumänen und Syrer fielen 2018 auf. Der Anteil ist seit 2014 nahezu konstant. Dabei stellen Ausländer nur 15 Prozent der Bürger im Südwesten. Asylbewerber und Flüchtlinge begingen rund 55 640 Straftaten, vor allem Körperverletzungen und Ladendiebstähle. Die Zahl der Taten sank erneut, und zwar um neun Prozent. Asylbewerber begingen 2018 jede zehnte Straftat, machen aber lediglich zwei Prozent der Bevölkerung aus. Dabei muss man unter anderem berücksichtigen, dass unter ihnen mehr Männer als Frauen sind – und Männer insgesamt mehr als dreimal so viele Straftaten begehen wie Frauen.
Sexualdelikte
Ihre Zahl hat stark zugenommen. Sie stieg von knapp 4370 auf knapp 5330, ein Plus von einem Fünftel. Es geschahen auch mehr Sexualstraftaten in der Öffentlichkeit – diesen Trend beobachtet die Polizei bei Aggressionsdelikten allgemein. Asylbewerber sind unter den Verdächtigen überrepräsentiert. Der Anstieg der Sexualdelikte hat mehrere Gründe. Zum einen fallen seit 2016 Taten in diese Kategorie, die früher nur als Beleidigung gewertet wurden. Außerdem würden Frauen Übergriffe häufiger anzeigen, so Minister Strobl – dazu habe die Debatte um das Thema beigetragen. „Wir haben da ein gigantisches Dunkelfeld. Die übergroße Zahl der Sexualdelikte findet im Nahbereich statt: Familie, Arbeitskollegen, gute Bekannte begehen diese Taten“, konstatierte Strobl. Wenn es gelinge, dass mehr Opfer Taten anzeigten, sei viel gewonnen – auch wenn dadurch die Zahl der Delikte in der Statistik ansteige.
Gewalt gegen Polizisten
Die Zahl der Angriffe auf Polizisten ist um zehn Prozent angestiegen, rund 4250 gewalttätige Übergriffe wurden 2018 gezählt. Knapp 2400 Beamte wurden verletzt, ein Plus von 22 Prozent. Der Trend hält seit mehreren Jahren an. Strobl setzt vor allem auf die Bodycams – also Kameras, die Polizisten an der Uniform tragen und aktivieren, wenn sie auf Widerstand stoßen. Sie sollen Angreifer abschrecken, weil deren Taten nun besser dokumentiert werden und der Polizist vor der Aufnahme über deren Start informiert.
Weitere Problembereiche
Gegen den Trend nahmen einige Delikte deutlich zu. Es wurden ein Drittel mehr Morde verübt als 2017, nämlich 148. Außerdem nahm die Zahl junger Menschen unter 21 Jahren zu, die wegen Cannabisvergehen ins Visier der Polizei gerieten. Seit 2014 gibt es hier ein Plus von mehr als 2000 Delikten auf über 10 240. Die Rauschgiftkriminalität insgesamt steigt seit Jahren, zuletzt um sieben Prozent. Deutlich häufiger verüben Betrüger ihre Tricks via Internet, hier gab es ein Plus von einem Viertel im Vergleich zu 2017.